© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/17 / 03. Februar 2017

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Vergangenheitspolitik A: Die ARD hat eine Dokumentation zur Lage der deutschen Soldaten in französischer Gefangenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg ausgestrahlt. Die Schilderungen der Überlebenden im Hinblick auf die Opferzahlen, den Hunger, die Quälereien, die Härte und Gefährlichkeit der Arbeit sind erschütternd, die Hinweise auf zeitgenössische Beurteilungen bemerkenswert (auch französischerseits gab man zu, es gebe in den Lagern Verhältnisse „fast wie in den Konzentrationslagern“). Selbst der Kommentar versucht den Eindruck nicht zu korrigieren durch Aufrechnung oder Verharmlosung. Das alles ist aufschlußreich, auch wenn die Bearbeitung des Themas spät kommt und man so brisante Informationen tunlichst versteckt, am besten im Nachtprogramm (Montag, 23. Januar, 23.30 Uhr!). Aber wir wollen nicht undankbar sein: Hier wird an jenes Schweigegebot gerührt, das auf den tatsächlichen Vorgängen von 1945ff. liegt und das die beamtete Historikerschaft gefälligst befolgt. Man darf Zweifel hegen, daß das Geheimnis der Erlösung Erinnerung heißt, aber die unvollständige Erinnerung, die uns verordnet wird, ist jedenfalls heillos.

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Natürlich hat das Entsetzen unserer Eliten über die Präsidentschaft Donald Trumps damit zu tun, daß der Mann frei ist von jenem konservativen Demonstrationsbedürfnis des Ich-bin-doch-gar-nicht-so. Der Kerl ist wirklich so.

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Zur Erinnerung: „Donald Trump besitzt ein pralles Ego, aber das war es nicht. Die politische Energie, die ihn nach oben spülte, hat sich weit außerhalb seiner Persönlichkeit aufgebaut. Sie kommt aus den Tiefen des Volkes. Man kann sogar sagen, daß nicht er das Volk verführte, sondern das Volk sich vielmehr seiner bemächtigte. Er ist das Wirtstier, das die Botenstoffe des Aufstands ins Zentrum der westlichen Macht transportierte. Die Wut kommt von den Schmerzen, den tatsächlichen und den befürchteten. Die großen Heilsversprechen der Moderne – Globalisierung, Digitalisierung und die Bildung multikultureller Gesellschaften – überfordern eine Mehrheit der Bürger, überall im Westen. Der Welthandel schafft Wohlstand, aber nicht für alle. Der Börsenkapitalismus läßt die einen zu den Sternen aufsteigen, derweil andere den sozialen Absturz erleben. Die Digitalisierung gibt jedem eine Stimme, aber zugleich entwertet sie die menschliche Arbeitskraft. Man muß kein Marxist sein, um zu verstehen, daß ökonomische Prozesse dieser Wucht Folgen für den politischen Überbau haben. Disruption ist für die Wirtschaftselite ein Modewort und für den Rest der Menschheit eine Bedrohung. Albert Camus: ‘Was ist ein Mensch in der Revolte? Ein Mensch, der nein sagt.’“ (Gabor Steingart, Handelsblatt – Morning Briefing, 10. November 2016.)

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Vergangenheitspolitik B: Nun ist sie ihn endlich los, den Namen Ernst Moritz Arndt, die Universität Greifswald. Man mag das nicht bedauern, zumal die Verteidigung bestenfalls halbherzig erfolgte. Also hier nur der Vollständigkeit halber ein Hinweis auf Rudolf Fahrners Buch „Arndt“, 1937 erschienen. Es ist nicht zu trennen von jenem zweiten, das fünf Jahre später unter dem Titel „Gneisenau“ folgte. Dabei handelte es sich ursprünglich um einen Vortrag, den Fahrner auf Wunsch seines Freundes Stauffenberg vor Wehrmachtsoffizieren hielt. Für beide – wie immer für die Besten unseres Volkes – waren die Männer des Freiheitskampfes gegen Napoleon Vorbilder schlechthin, vom großen Feind „Erweckte“, „wandernde Propheten“, „Königssucher“, willens, im äußersten Fall nur die „geheime Überlieferung“ zu wahren, „damit sich, wenn alles unterginge, aus (…)dem Feinde unauffindbaren, einzig lebenden Zeichen, in späterer Zeit wieder ein Leben entzünden könne“.

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Vergangenheitspolitik C:  Angesichts der Verstörung der tonangebenden Kreise über die politischen Entwicklungen, die drohen, sich vollziehen oder schon vollzogen haben, ist daran zu erinnern, daß jede Zukunftserwartung auf einer bestimmten Deutung der Vergangenheit beruht. Man muß das, was kommt, nicht unbedingt bejahen, aber man muß es als mehr oder weniger unausweichlich betrachten. Das erklärt, warum selbst Männer, die man als besonnene Bürgerliche kennt, irritiert scheinen, daß es Menschen gibt, die die Nation und die christlichen Werte und die Überlieferung tatsächlich wieder zur Grundlage von Entscheidungen machen wollen, während sie massenhafte Zuwanderung, Beliebigkeit und buntes Allerlei auf kulturellem Gebiet zu bekämpfen entschlossen sind.

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Was man „the whig interpretation of history“ genannt hat, wirkt auch auf deren natürliche Gegner, die große Erzählung, daß die Geschichte gar nicht anders kann, als eine Welt der Freien und Gleichen und Bindungslosen heraufzuführen, zwangsläufig, ganz egal, wie deutlich zu erkennen ist, daß der Glanz dieser Welt nur Flitter und falsche Verheißung war.


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 17. Februar in der JF-Ausgabe 8/17.