© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/17 / 03. Februar 2017

Versailles ohne Krieg
Irrfahrt in das Euro-Abenteuer: Mit dem Maastrichter Vertrag vor 25 Jahren opferte die Regierung Kohl das primäre deutsche Souveränitätsmerkmal
Bruno Bandulet

Es gibt Ereignisse von historischer Tragweite, deren Bilder sich unauslöschlich einprägen: der Fall der Berliner Mauer oder der Terroranschlag auf die Zwillingstürme in New York oder der September des Jahres 2015, als Angela Merkel die Grenzen öffnete und die Kontrolle verlor. 

Und dann gibt es Weichenstellungen, deren Verhängnis lange Zeit nahezu unsichtbar bleibt, die sich wie durch die Hintertür in das Leben der Völker schleichen. Ein solcher Einschnitt, der fatalste der europäischen Nachkriegsgeschichte, war der Vertrag von Maastricht. Unterzeichnet wurde er vor 25 Jahren, am 7. Februar 1992, von den Finanz- und Außenministern für zwölf europäische Regierungen. Er begründete die EU und mit ihr die Europäische Währungsunion.

Geheime Absprache von Mitterrand und Andreotti

Es waren 25 Jahre, in denen ich mich in unzähligen Vorträgen und Artikeln und in einer ganzen Reihe von Büchern mit dem Euro befaßt, vor ihm gewarnt und ihn bekämpft habe – bis hin zur Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe, die mit Urteil vom 21. Juni 2016 erfolglos blieb. Zu den Euro-Gegnern der ersten Stunde zählten auch Professoren wie Wilhelm Hankel, Karl Albrecht Schachtschneider, Franz-Ulrich Willeke, Joachim Starbatty, Wilhelm Nölling, Hans Heinrich Rupp und Bernd-Thomas Ramb. Andere wie Bernd Lucke und Hans-Werner Sinn stießen erst später zum Lager der Euro-Kritiker. 

Am 21. Januar 1994 gründete Manfred Brunner in Wiesbaden mit einer kleinen Truppe von Vertragsgegnern den Bund Freier Bürger. Die Zeit war nicht reif, der BFB scheiterte bei der Europawahl 1994 und brachte es auf bloße 1,1 Prozent der Stimmen. Am 6. Februar 2013 konstituierte sich in Berlin die Alternative für Deutschland. Jetzt war der Euro mehr als ein schwer durchschaubares Projekt, er war bittere Realität. Seine gänzlich unvorhersehbare Nebenwirkung bestand darin, die Parteienlandschaft Deutschlands grundlegend zu verändern.

Genaugenommen fielen die Würfel – ebenfalls im niederländischen Grenzort Maastricht – schon drei Monate vor der Vertragsunterzeichnung: in der Nacht vom 10. auf den 11. Dezember 1991, als sich zwölf europäische Regierungschefs auf die Währungsunion und damit auf die Abschaffung der Deutschen Mark und die Entmachtung der Deutschen Bundesbank einigten. Als die dreißigstündigen Beratungen zu Ende gingen, waren die beiden Sieger des Machtpokers nicht mehr bei der Sache. Italiens Ministerpräsident Giulio Andreotti, der später mit der Mafia in Verbindung gebracht wurde, gab sich einem ausgedehnten Konferenzschlaf hin, aus dem er nur gelegentlich aufschreckte. Und Frankreichs Präsident François Mitterrand, der große Zyniker, döste mit offenen Augen und war „ganz eindeutig abwesend“, wie ein indiskreter Konferenzteilnehmer ausplauderte. 

Zwei Realpolitiker, die es geschafft hatten, den Pfälzer Helmut Kohl über den Tisch zu ziehen. Bereits am 8. Dezember, noch vor Eröffnung des Gipfels, hatte sich Mitterrand in seinem außerhalb der Stadt gelegenen Hotel mit Andreotti getroffen. Was sie sich ausdachten, war vollendeter Machiavellismus. Sie würden die strengen deutschen Vertragsbedingungen, auf denen die Bundesbank bestanden hatte, akzeptieren, obwohl sie sie weder erfüllen konnten noch wollten. Dafür würden sie die deutsche Zusage bekommen, spätestens 1999 automatisch und unwiderruflich mit der Währungsunion zu beginnen. Die anderen Südeuropäer würden mit dem Versprechen neuer Umverteilungsgelder geködert, die größtenteils zu Lasten Deutschlands gingen. 

Ein Vierteljahrhundert später kontrolliert der Italiener Mario Draghi zusammen mit den traditionellen Weichwährungsländern die Geldpolitik des EZB-Rates. Jens Weidmann und die Bundesbank sind isoliert. Die Minister, die in Maastricht unterschrieben haben, sind alle bis auf Jean-Claude Juncker nicht mehr in der Politik oder nicht mehr am Leben. 

Lange Zeit blieben die groben handwerklichen Fehler des Vertrages unbemerkt. So fiel kaum jemandem auf, daß die Deutsche Bundesbank und damit die größte europäische Volkswirtschaft im EZB-Rat nur eine Stimme bekam wie alle anderen. Sie kann heute von der südeuropäischen Fraktion mühelos überstimmt werden, weil auch Ministaaten wie Malta oder Zypern dasselbe Stimmgewicht haben. In anderen Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds ist es selbstverständlich, daß die Stimmenverteilung dem jeweiligen Anteil am Kapital entspricht. Das wären im Fall der Bundesbank etwas über 25 Prozent immer dann, wenn der EZB-Rat über die Grundlinien der Geldpolitik entscheidet. 

Ein anderer Konstruktionsfehler wurde zwei Jahrzehnte lang nicht bemerkt – bis Hans-Werner Sinn vor wenigen Jahren den Mechanismus des skandalösen Target-2-Systems entdeckte. Es ermöglicht den Zentralbanken der Krisenländer, Schulden in nahezu beliebiger Höhe zu machen und sie bei der Bundesbank (oder auch der niederländischen Zentralbank) anschreiben zu lassen. 2012 hatten sich in der Bilanz der Bundesbank derartige Forderungen gegenüber dem Eurosystem in Höhe von 750 Milliarden Euro aufgetürmt, dann gingen sie zurück, als sich die Krise entspannte, jetzt ist der alte Höchststand wieder erreicht.

Wäre das System seriös, müßten die Salden wie zwischen den Regionalbanken des amerikanischen Federal Reserve System einmal im Jahr ausgeglichen werden – oder die Kredite müßten mit Gold oder Devisen besichert werden. Tatsächlich werden sie der Bundesbank nicht einmal verzinst. Wann und ob sie zurückgezahlt werden, steht in den Sternen. Platzt die Währungsunion, sind sie ganz oder teilweise verloren. Nach letztem Stand machen die Target-2-Forderungen vierzig Prozent des deutschen Auslandsvermögens aus.

Nachdem die Wechselkurse der beteiligten Währungen fixiert worden waren, wurde der Euro 1999 als Buchgeld und 2002 als Bargeld in Umlauf gebracht. Die inneren Spannungen der Währungsunion blieben jahrelang verborgen. Die Target-2-Salden waren ausgeglichen, der Euro schien zu funktionieren. Während die deutsche Wirtschaft nach 1999 bei hoher Arbeitslosigkeit kränkelte, begannen die Südeuropäer über ihre Verhältnisse zu leben. Sie leisteten sich wachsende Außenhandelsdefizite und heizten mit einer ausufernden Verschuldung des privaten Sektors einen Immobilienboom an, der ohne den Euro nicht möglich gewesen wäre. Bis die 2008 von den USA ausgehende Finanzkrise die Party beendete und das Kartenhaus zum Einsturz brachte.

Seit 2010 wird der Euro mit Rettungspaketen, mit einer zügellosen Geldpolitik der EZB und nicht zuletzt dank der Überziehungskredite des Target-2-Systems über Wasser gehalten. Zwei zentrale Bestimmungen des Maastrichter Vertrages wurden gebrochen: daß kein Land für die Schulden eines anderen haftet und daß der EZB jegliche Staatsfinanzierung verboten ist. Ein Vertragsbruch, der seit 2010 von der Regierung Merkel gedeckt und verantwortet wird und für den die Bürger mit einer schleichenden Enteignung ihrer Sparguthaben und Lebensversicherungen zur Kasse gebeten werden.

Der Euro hat die EU geschwächt und gespalten

Ein gnädiges Ende ist nicht in Sicht. Die tiefste und auch durch pausenloses Gelddrucken nicht zu beseitigende Ursache der Eurokrise liegt in den unvereinbaren kulturellen und wirtschaftspolitischen Philosophien der Mitgliedstaaten. Die fehlende Konvergenz läßt sich mustergültig am Beispiel Italien demonstrieren. In Italien ist die Wirtschaft – bei einer horrend hohen Staatsverschuldung – seit dem Euro-Beitritt 1999 nicht mehr gewachsen. Die Industrieproduktion liegt um 22 Prozent tiefer als 2007 vor dem Ausbruch der Finanzkrise. Die Jugendarbeitslosigkeit erreicht immer noch an die 40 Prozent. Die faulen Kredite der italienischen Banken machen fast 80 Prozent des Eigenkapitals aus. Laut Meinungsumfragen wollen nahezu 50 Prozent der Italiener raus aus dem Euro.

Auch insgesamt wurde der Euro zu einer Geschichte des Mißerfolgs. Seit 1999 wuchs die Wirtschaft in keiner Region der Welt so schwach wie in der Eurozone. Kein Integrationsschritt zuvor hat die EU derart geschwächt und gespalten wie die Währungsunion. Es stimmt, daß die deutsche Exportwirtschaft von der Abwertung des Euro profitiert, aber entgegen allen Prognosen ist der Anteil der deutschen Ausfuhren, der in die Eurozone geht, seit 1999 von 44 auf 35 Prozent gesunken.

Den Deutschen wurde der Euro vornehmlich mit falschen ökonomischen Argumenten schmackhaft gemacht. In Wirklichkeit war er ein politisches Projekt, um das wiedervereinigte Deutschland politisch zu domestizieren und monetär zu entmachten. Mit der Mark verlor Deutschland sein primäres Souveränitätsmerkmal. Im Verlauf einer deutsch-französischen Besprechung 1988 in Bonn platzte Jacques Attali, der außenpolitische Berater von Präsident Mitterrand, mit der Bemerkung heraus: „Um eine Balance zu erhalten, möchten wir über die deutsche Atombombe reden.“ 

„Sie wissen doch, wir besitzen gar keine Atombombe“, antworteten die Deutschen. Darauf Attali: „Ich meine die Deutsche Mark.“ Als Maastricht in Frankreich zur Abstimmung anstand, warb Mitterrand vor Kriegsveteranen für den Vertrag mit dem Argument, dieser sei für Frankreich besser als der Vertrag von Versailles. Er sei ein „Super-Versailles“. Nüchterner betrachtet, haben die Deutschen das nach der Goldmark des Kaiserreichs zweitbeste Geld, das sie jemals hatten, gegen eine Fremdwährung eingetauscht. 2016 bestanden 80 Prozent des Zentralbankgeldes der Bundesbank aus Auslandsgeld. 

In eine Falle zu laufen, ist oft leichter, als wieder herauszukommen. Die Euro-Gegner der ersten Stunde haben recht behalten, auch wenn sie sich den zeitlichen und räumlichen Ablauf der Krise nur schwer vorstellen konnten. Ein Zusammenbruch der Währungsunion wäre unter den gegebenen Umständen kein Anlaß mehr zu ungeteilter Freude. Die Kosten eines chaotischen Endes wären empfindlich hoch. Unterdessen nimmt der von Mario Draghi in Gang gesetzte Prozeß der Selbstzerstörung des Einheitsgeldes seinen Lauf. „Der Euro wird kommen“, kommentierte vor langer Zeit der amerikanische Notenbankchef Alan Greenspan, „aber er wird keinen Bestand haben.“






Dr. Bruno Bandulet ist Publizist und Herausgeber des Deutschland-Briefs (erscheint in dem Magazin Eigentümlich frei), war Mitglied im Euro-kritischen „Bund Freier Bürger“

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