© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/17 / 03. Februar 2017

Als Altersdepression noch als unheilbar galt: Fontanes Erinnerungstherapie
Die Autobiographie als Medizin
(dg)

Etwa 15 Prozent der älteren Deutschen leiden an Depressionen. Das ist ein hoher Anteil an psychisch Kranken, den der Psychiater Gerhard Eschweiler (Geriatrisches Zentrum am Uniklinikum Tübingen) aber nicht  den typischen soziokulturellen Belastungen in postmodernen Gesellschaften zuschreibt (Pharmazeutische Zeitung, 49/16). Denn schon der Schriftsteller Theodor Fontane (1819–1898) litt im Alter an schweren Depressionen, deren Symptome er bezeichnenderweise in Metaphern kleidete, die dem mechanisierten Alltag der Ende des 19. Jahrhunderts voll entwickelten Industriegesellschaft entnommen sind wie etwa „Arbeiten mit Vierteldampfkraft“. Therapieversuche mit Rotwein, Brom, Galvanisation und Luftkuren schlugen nicht an. Heilung brachte nach monatelangem Leiden erst die auf Anraten seines Hausarztes verfaßte Autobiographie „Meine Kinderjahre“. Auch heute könne die Selbstwertgefühle stabilisierende Versenkung in die eigene Lebensgeschichte erfüllend und antidepressiv wirken, jedoch seien solche Effekte bislang kaum erforscht worden. Wohl auch deshalb nicht, weil seit den fünfziger Jahren die Therapie mit den damals in rascher Folge entwickelten Psychopharmaka inzwischen auch bei der Behandlung von seelisch erkrankten Senioren dominiert. 


 www.pharmazeutische-zeitung.de