© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/17 / 03. Februar 2017

Der Flaneur
Er hat wieder auf
Bernd Rademacher

Endlich ist die Bäckerei wieder geöffnet. Vor rund sieben Wochen stand ich morgens im Dunkeln vor der geschlossenen Tür und las auf einem Zettel: „Bis auf weiteres geschlossen.“ Gerüchte waberten durchs Viertel. 

Einer wußte, der Inhaber hätte einen Infarkt erlitten; die andere meinte, der Supermarkt habe dem Eckladen den Garaus gemacht.

Und wer macht früh um sieben schon gerne große Umwege für Milch und Brötchen?

Was ist wohl aus den Verkäuferinnen geworden. Einerseits habe ich mich über die Schwerhörige so oft geärgert, wenn sie wieder mal Bahnhof verstanden und das Falsche in die Tüte gepackt hatte. Wenn man drei Roggen bestellt hat, bekam man garantiert zwei Mohn. 

Andererseits hab’ ich mit der schönen Rothaarigen immer gerne geflirtet. Sie hat mir mal verraten, daß sie gerne Mittelaltermärkte besucht. Ob sie nun alle arbeitslos sind?

Die Wochen vergingen, und in der Geisterbäckerei bewegte sich nichts. Die Kuchenbleche lagen noch in der Vitrine, auf der Theke noch ein paar Lokalzeitungen. Die Schließung machte den täglichen Einkauf komplizierter, sie zwang dazu, die gewohnten Wege zu ändern. Und wer macht früh um sieben schon gerne große Umwege für Milch und Brötchen?

Dann vorm Wochenende ein Plakat im Fenster: Ab Montag wieder geöffnet. An der Bushaltestelle und auf den Bürgersteigen ist es das Gesprächsthema. 

Montag morgen: eine Stimmung wie auf einem Klassentreffen. Die üblichen Figuren aus den Nebenstraßen, die man sonst morgens flüchtig verschlafen wahrnahm, – der Typ mit der komischen Mütze, die Dicke mit dem Dackel, die Handwerkerjungs – heute freuen wir uns alle über das Wiedersehen. Die Stimmung ist überschwenglich herzlich und persönlich. Die Verkäuferinnen werden ausgequetscht: Jeder will nun die Hintergründe ganz genau wissen.

Der Bäcker ist eben nicht nur Backstube, sondern auch Kommunikationszentrale.