© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/17 / 10. Februar 2017

Vom Maghreb an den Main
Terrorismus: Neue Festnahmen offenbaren Fehler im System
Christian Schreiber

In der vergangenen Woche – so hoffen es zumindest die Sicherheitsexperten von Bund und Ländern – ist den Behörden vor allem in Hessen ein wichtiger Schlag gegen die bundesweit agierende Islamisten-Szene gelungen. Bei der Durchsuchung von 54 Wohnungen, Gewerberäumen und Moscheen seien am Mittwoch mehrere hundert elektronische Datenträger sichergestellt worden, sagte der Sprecher der hessischen Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt am Main, Alexander Badle, gegenüber der Deutschen Presseagentur. In den nächsten Wochen müßten die Ermittler erst einmal eine Bestandsaufnahme machen. Zudem sei die Herstellung der Daten schwierig, weil viele von ihnen vollverschlüsselt seien. 

Härtere Maßnahmen im Zeichen des Wahlkampfs

Die Polizei nahm unter anderem einen 36 Jahre alten Tunesier in Frankfurt fest, der mit Haftbefehl gesucht wurde. Er ist dringend verdächtigt, als Anwerber und Schleuser für die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) aktiv gewesen zu sein und ein Netzwerk von Unterstützern aufgebaut zu haben, um einen Terroranschlag in Deutschland zu verüben. Ein solcher, so die Bundesanwaltschaft, habe jedoch nicht unmittelbar bevorgestanden. 

Der Zugriff in der Mainmetropole dürfte die Debatte um den Umgang mit Gefährdern weiterhin befeuern. Denn der 36jährige wurde bereits in Tunesien wegen einer möglichen Beteiligung an dem Anschlag auf das Bardo-Museum in Tunis im März 2015 und an einem Angriff auf einen Militärstützpunkt in der tunesischen Grenzstadt Ben Guerdane gesucht. Zudem saß der Mann, der nach bisherigen Erkenntnissen bereits in den Jahren 2003 bis April 2013 in Deutschland gelebt hatte und im August 2015 als Asylsuchender erneut in die Bundesrepublik eingereist war, auch hiezulande schon in Haft. Anlaß war eine noch zu verbüßende Ersatzfreiheitsstrafe von 43 Tagen aus einer Verurteilung wegen Körperverletzung im Jahr 2008. Er sollte an sein Heimatland ausgeliefert werden, was jedoch scheiterte, weil die Behörden in Tunesien trotz mehrfacher Aufforderung nicht in erforderlichem Umfang kooperierten. Daraufhin mußte der Verdächtige aus der Abschiebehaft entlassen werden. 

Nach Angaben des hessischen Innenministers Peter Beuth (CDU) waren an der Großrazzia in Hessen mehr als 1.100 Beamte beteiligt. Ihm zufolge wurde mit der Maßnahme „ein weitverzweigtes salafistisches Netzwerk zerschlagen“. In Berlin und in Nürnberg ging die Polizei ebenfalls gegen ausländische Extremisten  vor. In der Hauptstadt wurden drei Islamisten verhaftet, von denen zwei Kontakt zum Berliner Attentäter Anis Amri gehabt haben sollen. Bei Nürnberg faßte die Polizei einen 31jährigen, der in Syrien Mitglied der Terrormiliz „Soldaten Syriens“ gewesen sein soll. Eine weitere Spur des islamischen Terrors führt unterdessen in die österreichische Hauptstadt Wien. Dort nahm die Polizei einen 18jährigen mutmaßlichen Attentäter fest. Der Verhaftete habe einen Anschlag „sehr zeitnah geplant“, sagte der Generaldirektor für öffentliche Sicherheit im österreichischen Innenministerium, Konrad Kogler. Der Festgenommene soll Kontakte zu Gesinnungsgenossen in der Bundesrepublik gehabt haben. Er ist offenbar kurz vor seiner Festnahme aus Deutschland zurückgekehrt. 

Unterdessen reagiert die Politik offenbar angesichts der anstehenden Wahlkämpfe mit Maßnahmen gegen potentielle Gefährder. Zur Überwachung  prüfen die Bundesländer eine einheitliche Regelung für den Einsatz elektronischer Fußfesseln. „Wir brauchen eine strenge Überwachung von Gefährdern. Die Fußfessel ist dafür ein geeignetes Instrument“, sagte der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU).  

Zuvor hatte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) die Länder aufgefordert, einheitliche gesetzliche Grundlagen zu schaffen. „Der Fußfesseleinsatz ist ein Eingriff in Grundrechte, der an Voraussetzungen gebunden ist, die in den Bundesländern unterschiedlich gehandhabt werden“, erläuterte de Maizière. Die Fußfessel gilt allerdings verfassungsmäßig als schwierig. Dies betrifft vor allem die Pläne, Gefährder im Auge zu behalten, die noch gar nicht straffällig geworden sind. 

Die deutschen Sicherheitsbehörden stufen aktuell rund 570 Islamisten als Gefährder ein. Wie das Bundeskriminalamt (BKA) erklärte, hält sich etwa die Hälfte von ihnen gegenwärtig in Deutschland auf. Von diesen wiederum säßen derzeit etwa 90 in Haft. Drei Gefährder sollen nach Angaben des Innenausschusses im Bundestag jedoch vom Radar der Sicherheitsbehörden verschwunden sein.

Das Bundesverfassungsgericht hatte vor einigen Monaten die Neueinführung des BKA-Gesetzes in Teilen kassiert und dem Gesetzgeber bis Mitte 2018 Zeit zur Nachbesserung gegeben. Hier bedarf es vor allem der Anpassung von Landesgesetzen. Angesichts des Anschlags auf den Berliner Weihnachtsmarkt drücken die Innenminister nun aber aufs Tempo.  Besonders der Begriff „Gefährder“ muß genauer definiert werden. Als solcher gilt eine Person, bei der es „Anhaltspunkte“ dafür gibt, daß sie eine Straftat im Bereich des internationalen Terrorismus begehen könnte oder deren „individuelles Verhalten“ es wahrscheinlich macht, daß sie eine solche Straftat plant. Wie das BKA erklärt, könnten 130 hochaktive Personen unter Hausarrest gestellt werden und eine Fußfessel bekommen, sobald die Länder eine einheitliche Regelung beschlossen haben. Der Ball liegt nun bei der Innenministerkonferenz.  „Die Zeit drängt“, sagt der Vorsitzende Markus Ulbig aus Sachsen.