© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/17 / 10. Februar 2017

Afrika blockiert sich selbst
Materielle Gier, Korruption, Nepotismus, Bürgerkriege: Der Schwarze Kontinent zwischen wirtschaftlichen Leuchttürmen und nacktem Elend
Marc Zoellner

Die nackten Zahlen zuerst: Auch in diesem Januar wagten erneut Migranten die gefahrvolle Überfahrt über das Mittelmeer, um sich in Europa auf die Suche nach einem besseren Leben zu begeben. Bis Ende Januar, so das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR), seien insgesamt 5.448 Menschen mit dem Boot aus Afrika an die Küsten von EU-Mitgliedsstaaten übergesetzt; weitere 247 seien als auf offener See verschollen gemeldet oder als ertrunken bestätigt worden. Damit hielt sich der Trend – anders als in Griechenland, welches rapide rückläufige Zahlen meldet – für Italien auch zum Beginn dieses Jahres im Vergleich zu Januar 2016 mit damals 5.273 gestrandeten Personen. Und ebenso blieb die strukturelle Zusammensetzung weiterhin konstant: Denn unter den seit Januar 2016 über See Migrierten fanden und finden sich lediglich circa 17 Prozent Frauen. Den Großteil hingegen machen alleinreisende Männer aus; ein rundes Viertel allerdings auch Kinder beziehungsweise Minderjährige.

Große innerafrikanische Migrationsbewegungen

Was sich im Vergleich zu den vergangenen Jahren allerdings geändert hat, sind die Herkunftsländer der Flüchtlinge. Zwar belegten 2016 die Bürgerkriegsländer Syrien und Afghanistan noch immer die beiden vorderen Plätze. Doch die geburtenreichen Länder Schwarzafrikas machen gescheiterten Staaten wie dem Irak längst die Ränge streitig. „Seit 2010 hat Italien eine Verzehnfachung bei der Feststellung westafrikanischer Flüchtlinge an seiner Küste erleben müssen“, bestätigte die europäische Grenzschutzagentur Frontex in einer Anfang des Jahres veröffentlichten Pressemitteilung. „Den größten Anteil unter den Einwanderern auf diesem Weg machten Nigerianer aus, gefolgt von Staatsangehörigen aus Eritrea, Guinea, der Elfenbeinküste und Gambia.“ Seit 2013 zählte Europa damit eine halbe Million afrikanischer Einwanderer – mit steigender Tendenz.

Eine halbe Million Flüchtlinge: die zählt allerdings auch der kleine, im Herzen Ostafrikas gelegene Staat Uganda. Und zwar allein für 2016. Zeltstädte schießen hier wie Pilze aus dem Boden der kargen Savanne, werden zur neuen Heimat für unzählige aus dem Südsudan vertriebene Zivilisten. So wie die Siedlung von Bidi Bidi im nördlichen Uganda, wo mittlerweile über 270.000 Südsudanesen dauerhaft leben. Das ist, zum Vergleich, in etwa die Bevölkerung Wiesbadens. Der Regierung in Kampala sind diese Flüchtlinge jedoch keinesfalls unwillkommen: „Uganda betreibt eine Politik der offenen Tür“, erklärt Hosana Adisu, Regionalmanager der Norwegischen Flüchtlingshilfe (NRC). „Die Regierung und die Gemeinden sind glücklich, [die Flüchtlinge] empfangen zu dürfen. Sie siedeln diese an und stellen ihnen Land zur Verfügung.“

Rund anderthalb Milliarden Euro an Entwicklungshilfe erhält Uganda für seine Flüchtlingshilfe von der internationalen Staatengemeinschaft. Deutlich mehr bekommt allerdings der Südsudan, das Herkunftsland der Hunderttausenden an Flüchtlingen im benachbarten Uganda. Mit gut zwei Milliarden Euro wird der jüngste Staat der Erde alljährlich von außen bezuschußt. Bei seinen Bürgern kommt nur ein Bruchteil dieser gewaltigen Summe an: Das Gros versickert in schwarzen Kanälen, in den Taschen der schwerreichen Staats- und Rebellenführer Salva Kiir und Riek Machar (JF 3/17). Bei weitem kein Sonderfall, sondern vielmehr die Regel. So wie beispielsweise in Liberia, dessen Staatshaushalt zu fast drei Vierteln aus Entwicklungshilfegeldern besteht. Im Jahre 2014, so ergab exemplarisch eine unabhängige Studie, verschwanden hier umgerechnet rund 50.000 Euro auf den Konten von längst verstorbenen Regierungs­angestellten. Für das Folgejahr deckte die liberianische General Auditing Commission (GAC) die Unterschlagung von Entwicklungshilfe in Höhe von 140.000 Euro auf.

Gut 25 Milliarden Euro an humanitärer Beihilfe flossen 2014 von der internationalen Gemeinschaft an die Staaten Afrikas; darunter 23 Milliarden an jene südlich der Sahara. Eine offizielle Statistik hingegen, wieviel von dieser Summe tatsächlich auch ihrem proklamierten Zweck – der Hilfe zur Selbsthilfe für die Menschen des Schwarzen Kontinents – zugute kam, gilt aufgrund der Intransparenz der meisten politischen Gebilde Afrikas als schwer bis unmöglich zu erarbeiten.

Österreicher warnen vor 15 Millionen Einwanderern

Die afrikanischen Nationen bremsen sich vielerorts selbst aus: Korruption und Vetternwirtschaft, Bürgerkriege und die schlichte Gier ihrer eigenen Eliten hemmen nicht nur das allgemeine Wirtschaftswachstum, sondern ebenso jenes ihrer Zivilgesellschaften. So wie beispielhaft in Äquatorialguinea; jenem Zwergstaat mit gerade einmal 650.000 Einwohnern, welcher nach Nigeria und Angola jedoch gleichzeitig Schwarzafrikas drittgrößter Erdölexporteur ist. Auf Platz 41 steht dieser Staat auf der weltweiten Rangliste des Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukts – und damit in einer Reihe mit Portugal, Estland und Tschechien. Seine Bevölkerung jedoch zählt zu den ärmsten der Welt, der milliardenschwere Langzeitdiktator Teodoro Obiang, dessen Söhne Yachten und Fuhrparks an Luxuslimousinen in Frankreich und den USA unterhalten, wiederum zu den reichsten Staatsoberhäuptern des Planeten. Es verwundert demzufolge nicht, daß mittlerweile über 100.000 Äquatorialguineaner ihr Land verlassen haben – meist auf illegalem Weg – und zwei Drittel davon ins angrenzende Gabun gegangen sind.

Denn tatsächlich treffen die großen afrikanischen Migrationsbewegungen nicht das begehrte, jedoch entfernte Europa, sondern zumeist afrikanische Staaten selbst. Die Leuchttürme der afrikanischen Ökonomie verlocken alljährlich Hunderttausende verarmte Afrikaner, und auch hier überwiegend junge Männer, zur illegalen Einwanderung: angefangen mit dem sich zum High-Tech-Land mausernden ostafrikanischen Kenia, welches selbst bereits hohe Grenzzäune errichten mußte, um Illegale wie auch Terroristen aus dem benachbarten Somalia abzuwehren, über die im Kontinentalvergleich wohlhabende Südafrikanische Republik, welche immer öfter aufgrund fremdenfeindlicher Unruhen von schwarzen Autochthonen schwarzen Einwanderern gegenüber in die Schlagzeilen gerät – und im vergangenen Jahr knapp 34.000 illegale Einwanderer ausweisen ließ – bis hin zu den glitzernden Küstenmetropolen des ölreichen Nigeria, wo anderthalb Millionen Westafrikaner in der Industrie Arbeit zu finden erhoffen. Auf den Plantagen der Elfenbeinküste, des wichtigsten Kakaoproduzenten der Welt, finden derzeit über zweieinhalb Millionen Einwanderer ihr Auskommen; viele von ihnen illegal und nicht viel weniger unter sklavereiähnlichen Bedingungen. Allein aus Burkina Faso stammen hierbei rund 1,3 Millionen Arbeiter – sprich: jeder elfte Einwohner des Nachbarstaats.

Es wäre unzutreffend zu behaupten, ganz Afrika versinke in Armut und Elend. Das glatte Gegenteil ist der Fall: Im weltweiten Vergleich besitzt der Schwarze Kontinent seit geraumer Zeit die am schnellsten wachsende Mittelschicht und ebenso die prosperierendsten Märkte für gehobene Bedarfsgüter. Wenig bekannt: Afrika ist auch für viele Europäer ein begehrtes Auswanderungsziel. In Angola zählen portugiesische Emigranten mittlerweile wieder über 200.000 Köpfe; und auch Maputo, die Hauptstadt ihrer ehemaligen Kolonie Mosambik, nennen bereits über 70.000 Portugiesen ihre neue Heimat. Doch die hohen Geburtenraten gerade der darbenden Länder der Sahelzone können die aufblühenden afrikanischen Nationen nicht gänzlich kompensieren. Und diese dürften tatsächlich dann zum Problem für die Europäische Union und deren Grenzschutz werden: So warnte das österreichische Heeres-Nachrichtenamt, das Wiener Pendant zum deutschen BND, erst zu Beginn dieses Jahres vor einer neuen Welle an potentiellen Wirtschaftsflüchtlingen speziell aus den Staaten Äthiopien, Nigeria, der Demokratischen Republik Kongo und dem Sudan. Bis 2020, so der Militärgeheimdienst, sei demzufolge mit einer Einwanderungszahl aus Schwarzafrika in Höhe von bis zu 15 Millionen Menschen zu rechnen.