© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/17 / 10. Februar 2017

Nach Hause gekommen
Marokko: Das Land feiert seine Aufnahme in die Afrikanische Union
Marc Zoellner

Frenetisch brandete der Applaus durch den dichtbesetzten Konferenzsaal in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba, als Mohammed VI. seinem Platz in der vordersten Reihe zusteuerte: Nach 33 Jahren getrennter Wege, so der beinahe unisono gefeierte Duktus unter den Abgeordneten, sei Afrika an diesem 30. Januar endlich wieder politisch vereint worden.

 Und auch der marokkanische Monarch sah sich glücklich über die Aufnahme in die Afrikanische Union (AU), die nunmehr sämtliche 55 Länder des Erdteils umfassende Dachorganisation des Schwarzen Kontinents. „Afrika ist mein Kontinent und meine Heimat“, lobpreiste der König die positive Entscheidung des Unionsparlaments. „Es ist an der Zeit für uns, nach Hause zurückzukehren.“

Eine beflissene Lobbyistenarbeit hatte Marokko in den Jahren zuvor betrieben, um diese für das nordafrikanische Land bedeutende Wiederaufnahme vorzubereiten: So entsandte das Königreich nicht nur zahlreiche militärische Unterstützung an mehrere AU-Friedensmissionen in Schwarzafrika sowie sein diplomatisches Korps als Unterhändler in das zwischen Regierung und Rebellen zweigeteilte Libyen. 

Auch Mohammed VI. bereiste seit seinem Thronantritt 1999 eifrig den Kontinent, um hinter den Kulissen mittlerweile über 950 Verträge zählende multilaterale Wirtschaftsvereinbarungen mit gut 25 afrikanischen Staaten abzuschließen. „Marokkos Rückkehr“ in die AU, beteuerten die marokkanischen Leitmedien Anfang Februar, sei nämlich keinesfalls egoistisch motiviert, sondern „zum Wohle der Entwicklung des gesamten Kontinents“.

Daß das Gesuch des Königs trotz alledem nur mit 39 Ja-Stimmen angenommen wurde, mutet der Regierung in Rabat von daher als Wermutstropfen an: Denn mit Algerien und Südafrika verweigerten gleich zwei der einflußreichsten Spieler der AU Marokko die Gefolgschaft. 

Kritik an Marokkos Rolle im Westsaharakonflikt 

Tatsächlich führten die beiden Staaten – und mit ihnen die meisten Länder des südlichen Afrika – gute Gründe an, um die Wiederaufnahme des 1984 aus der AU-Vorgängervereinigung Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) ausgetretenen Königreichs mit einem klaren Nein zu quittieren: Denn noch immer zeigt Rabat sich nicht willig, den seit über 40 Jahren schwelenden Westsaharakonflikt beizulegen.

Seit dem spanischen Truppenabzug von 1975 hält Marokko jenes schmale Stück Sahara an der westafrikanischen Atlantikküste unter Besatzung. Seit eben jener Zeit fordern die Sahauris, die indigenen Einwohner dieses Landstrichs, ein Referendum über ihre Unabhängigkeit – und schlossen sich zum bewaffneten Widerstand in der Guerillabewegung Frente Polisario zusammen. 

Der nachfolgende Krieg sollte etwa 20.000 Menschen das Leben kosten sowie über 200.000 Sahauris – mehr als ein Drittel der gesamten Bevölkerung – in die heute noch betriebenen Flüchtlingslager in Algerien und Mauretanien vertreiben. Ein zum Waffenstillstand 1991 vereinbartes Referendum der Sahauris über die Zukunft ihres Landes ließ Rabat mit der Forderung verstreichen, daß sämtliche Einwohner der Westsahara an diesem teilnehmen sollten. Ein „fauler Kompromiß“, den wiederum die Polisario ablehnt. Denn zwischenzeitlich hatte Marokko über eine halbe Million seiner eigenen Landsleute im umstrittenen Wüstengebiet angesiedelt und somit die Bevölkerungsmehrheit erreicht.

Seitdem trennt eine unüberwindbare Grenzmauer die marokkanisch besiedelten Gebiete von jenen der nomadisch lebenden Sahauris: ein 2.700 Kilometer langer Sandwall und auf diesem, neben Bunkern und Radaranlagen, das längste Minenfeld der Welt. 

Als „afrikanischen Kolonialismus“ kritisieren die Widersacher Marokkos dessen Vorgehen in der Westsahara; und Rabat handle dementsprechend entgegen den fundamentalen Prinzipien der AU, welche koloniale Bestrebungen auf afrikanischem Boden seit ihrer Gründung strikt verurteilt habe. Mit der Wiederaufnahme Marokkos in die Afrikanische Union, so die Befürchtungen Algeriens und Südafrikas, werde der Westsaharakonflikt nun endgültig unter den Tisch gekehrt..