© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/17 / 10. Februar 2017

Das Mißtrauen wächst von Tag zu Tag
Rumänien: Ihr umstrittenes Korruptionsdekret entwickelt sich für die sozialdemokratische Regierung zum Bumerang
Michael Link

Nach nur einem Monat im Amt droht der aus Sozialdemokraten (PSD) und Liberalen zusammengesetzten Regierung Rumäniens ein vorzeitiges Ende. Die Oppositionsparteien haben am Montag im Parlament einen Mißtrauensantrag gegen die Regierung eingebracht. Wie die bürgerliche National-Liberale Partei (PNL) erklärte, bedrohe die Regierung „die Sicherheit und die legitimen Interessen der Rumänen“.

Damit reagierte die Opposition auf die Forderung Hunderttausender Menschen, die seit Mitte vergangener Woche bei täglichen Massenprotesten gegen ein höchst umstrittenes Dekret demonstriert hatten. Dieses sah die Straffreiheit von Korruption bis zu einem Schadenswert von rund 44.000 Euro vor. Zudem sollten ehemalige und aktuelle Parteispitzen vor dem Gefängnis bewahrt werden. 

Präsident Johannis drohte mit Verfassungsgericht

Die Regierung begründete die Verordnung damit, die überbelegten Gefängnisse zu entlasten und die Strafgesetze mit der Verfassung in Einklang bringen zu wollen. Dadurch wären Dutzende unter Korruptionsverdacht stehende Politiker wie auch der Chef der regierenden Sozialdemokraten, Liviu Dragnea, vor Strafverfolgung geschützt worden. Nach einer Verurteilung wegen Wahlmanipulation war Dragnea im Vorjahr das Amt des Ministerpräsidenten verwehrt worden.

Trotz der Rücknahme des umstrittenen Dekrets am vergangenen Samstag gingen auch an den darauffolgenden Tagen in Bukarest bis zu einer halben Million Menschen täglich auf die Straße. Bei diesen größten Kundgebungen seit der Einführung des demokratischen Systems vor 27 Jahren äußerten in mindestens zwanzig Städten die Menschen ihren Unmut. Vereinzelt kam es zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften.

Auch der konservative Staatspräsident Klaus Johannis hatte sich an den Protesten gegen das Dekret beteiligt und mit der Anrufung des Verfassungsgerichts sich für die Rücknahme der umstrittenen Verordnung eingesetzt. Johannis betonte, daß die Auswirkungen des Dekrets auf den Rechtsstaat und die Bemühungen des Landes hinsichtlich der Korruptionsbekämpfung und der Integrität von Amtsträgern „zutiefst negativ“ wären.

Empört auf die Fortsetzung der Proteste reagierte PSD-Chef Liviu Dragnea. Dieser warf der Opposition vor, die Regierung stürzen zu wollen: „Wenn die Proteste nach der Rücknahme des Dekrets weitergehen, dann wird klar, daß es sich um einen nach den Parlamentswahlen geschmiedeten Plan handelt.“ Nach ihrem Wahlsieg bei den Parlamentswahlen am 11. Dezember des Vorjahres war die Koalition aus der PSD unter dem Vorsitz von Dragnea und der Allianz der Liberalen und Demokraten (ALDE) am 4. Januar vereidigt worden.

Bisher lehnte Ministerpräsident Sorin Grindeanu einen Rücktritt entschieden ab. Statt dessen kündigte er einen neuen Gesetzentwurf an, der dieses Mal dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt werden solle. Grindeanu begründete die Kehrtwende damit, eine „Spaltung“ des Landes verhindern zu wollen.

Handelsminister Florin Jianu war  gar aus Protest gegen die Verordnung  zurückgetreten. Die  PSD-Abgeordnete Aurelia Cristea folgte diesem Schritt. „Ich kann nicht länger eine kriminelle Gruppe unterstützen, die vorübergehend die Partei und leider das Land leitet“, so Cristea.

Scharfe Kritik äußerte auch der Ombudsmann für Bürgerrechte, Victor Ciorbea, der bis vor kurzem der Regierung nahestand. „Ein Dekret zur Entkriminalisierung von offiziellem Fehlverhalten ist nicht gerechtfertigt“, betonte Ciorbea, der vergangene Woche gegen das Dekret geklagt hatte. Eine derartige Maßnahme würde „fast die gesamte öffentliche Verwaltung außer Reichweite des Strafgesetzes“ nehmen, so Ciorbea.

Besorgt über die lasche Haltung der rumänischen Regierung zu den Anti-Korruptions-Gesetzen äußerte sich die EU-Kommission. „Der Kampf gegen Korruption muß vorangebracht, nicht rückgängig gemacht werden“, erklärten Kommissionschef Jean-Claude Juncker und Vize-Kommissionschef Frans Timmermans. „Wir beobachten die jüngsten Entwicklungen mit großer Sorge.“ Seit dem EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens vor zehn Jahren bewertet die Kommission Fortschritte beider Länder im Bereich der Justizreform und im Kampf gegen die Korruption. Zuletzt forderten die Regierungen beider Staaten immer wieder, die Überwachung im Rahmen des sogenannten Kooperations- und Kontrollverfahrens zu beenden. Juncker und Timmermans erklärten nun, daß der wirksame Kampf gegen Korruption eine entscheidende Rolle für ein Ende des Überwachungsverfahrens spiele.