© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/17 / 10. Februar 2017

Vermeidbarer Tod im Krankenhaus
Resistente Bakterien: Werden unsere Antibiotika wirkungslos?
Jörg Schierholz

Die Lage scheint bedrohlich und ausweglos: immer mehr Bakterien werden resistent gegen Antibiotika, und die Pharmaindustrie hat scheinbar die Entwicklung neuer Antiinfektiva aufgegeben. Seit Jahren schlägt die Weltgesundheitsorganisation WHO Alarm – wenn nicht gehandelt würde, könnten 2050 weitaus mehr Menschen an resistenten Keimen sterben als an Krebs und Herzinfarkt.

In der Tat werden immer mehr Keime gegen unsere Standard-Antibiotika resistent, und eine banale Hautverletzung oder Bronchitis kann zu einem nicht-kontrollierbaren infektiologischen Notfall werden. Die schwerste Form einer Infektion – die Sepsis – ist in der Intensivmedizin gefürchtet und führt trotz modernster Hochleistungsmedizin bei mindestens einem Drittel der Patienten zum Tode. Das Robert-Koch-Institut (RKI) geht von jährlich 25.000 Todesfällen in Deutschland durch eine Sepsis aus.

Neue Gefahren durch die steigende globale Mobilität

Daß Bakterien resistent werden, ist bekannt, schon im Permafrost wurden Keime gefunden, die resistent gegen Tetrazykline und Vancomycin waren, also gegen heutige Standard-Antibiotika. Der schottische Nobelpreisträger Alexander Fleming, der Entdecker des Penicillins, warnte schon 1945 vor der Entwicklung resistenter Mikroorganismen, wenn nicht sorgsamer mit den neuen „Waffen“ umgegangen würde. Nun wird immer häufiger über Superbugs berichtet, Bakterien, die nicht nur gegen mehrere, sondern alle bekannten Antibiotika resistent geworden sind – ein Alptraum, da es in diesem Fall für einen Patienten keine wirksame Behandlungsoption mehr gibt.

Dabei kommen mehrere bedrohliche Faktoren zum Tragen: Einerseits sorgt die steigende globale Mobilität zu einer blitzartigen, internationalen Verbreitung resistenter Isolate. Andererseits entstehen diese bösartigen Keime immer häufiger in Entwicklungsländern oder Regionen wie Griechenland, die unter der erzwungenen Austeritätspolitik der EU und des IWF sich im Gesundheitswesen „gesundsparen“ sollen. Zudem liegt in vielen Schwellenländern und in der Dritten Welt der Pro-Kopf-Verbrauch von Antibiotika deutlich höher als in den meisten Industrienationen, da diese Präparate dort patentfrei und billig vor Ort hergestellt werden können und ohne ärztliche Kontrolle frei verkauft werden.

Dies führt zusammen mit einer mangelnden Hygiene zu einer explosionsartigen Entwicklung resistenter Keime, die über kontaminierte Nahrung und Getränke sich so schnell verbreiten, daß gegen manche in Europa wirksame Antibiotika beispielsweise in Indien Darmkeime bis zu 90 Prozent resistent geworden sind. So ist es kein Wunder, daß Patienten, die aus solchen Regionen in deutsche Kliniken eingewiesen werden, immer häufiger auf resistente Bakterien untersucht und dann konsequent isoliert werden müssen.

Ist trotz dieser bedrohlichen Lage Hoffnung in Sicht? Die US-Regierung hat mit ihrer „10 x 20 Initiative“ den Startschuß zur finanziellen Unterstützung der Entwicklung, neuer, wirksamerer Antibiotika gegeben. Die EU hat die „New Drugs 4 Bad Bugs“-Partnerschaft (ND4BB) geschaffen. Nach und nach sollen nun neue Antibiotika auf den Markt kommen. Parallel wird versucht, durch Verbesserungen bei der Hygiene die Entstehung und Verbreitung von resistenten Krankenhauskeimen zu verhindern. Dies funktioniert in Nordeuropa und der Schweiz inzwischen ganz gut.

Auch die Antibiotikagabe in der Tiermast wird immer kritischer gesehen. Die Holländer haben den Antibiotikaverbrauch drastisch gesenkt, ohne daß ihre Tiermastindustrie untergegangen ist. In den Niederlanden ist auch der Betreuungsschlüssel des Pflegepersonals besser als in Deutschland – auch dies führt zu weniger Krankenhausinfektionen. In Deutschland hingegen wurde in den vergangenen 20 Jahren das Pflegepersonal um etwa 40 Prozent abgebaut.

Der Kampf gegen Krankenhausinfektionen und resistente Keime ist offensichtlich nicht hoffnungslos, wie manche Medien berichten. Entwarnung kann aber nicht gegeben werden, da trotz aller Bemühungen die Anzahl schwerster Erkrankungen mit resistenten Mikroorganismen weiter steigt und auch die Anzahl an Patienten, die an einer bakteriellen Sepsis versterben, in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht deutlich gesenkt werden konnte. Es muß mehr Geld und Verstand in das System gesteckt werden, dann kann der Wettlauf mit den Bakterien gewonnen werden.

Die deutsche Gesundheitspolitik könnte von den vorbildlichen und effektiven Aktivitäten einiger Nachbarländer lernen – doch statt dessen werden durch die kreative Schaffung neuer Dokumentationspflichten und mehr Bürokratie diese dringlichen Probleme lediglich verwaltet.

Nationales Referenzzentrum für gramnegative Krankenhauserreger in Bochum: memiserf.medmikro.ruhr-uni-bochum.de/nrz

Die „10 x 20 Initiative“ der US-Regierung: www.idsociety.org

New Drugs 4 Bad Bugs-Initiative der EU: www.nd4bb.eu