© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/17 / 17. Februar 2017

„Nicht für andere bestimmt“
NSU-Prozeß: Bei der Befragung des psychiatrischen Gutachters offenbart sich der Konflikt in der Verteidigung der Angeklagten Beate Zschäpe
Hinrich Rohbohm

Spektakulär und kurios war der NSU-Prozeß vor dem Staatsschutzsenat in München von Anfang an. Derzeit trägt sich im Saal 101 eine weitere Posse zu, die ihresgleichen sucht. Auslöser hierfür ist die Aussage des Sachverständigen Henning Saß. Schon seit Dezember steht der Psychologe im Mittelpunkt des Geschehens. Der Grund: In seinem Gutachten über die Persönlichkeit der Hauptangeklagten Beate Zschäpe gelangt dieser zu der Feststellung, daß weder psychische Gründe noch Alkoholkonsum die 42jährige in ihrer Schuldfähigkeit beeinträchtigen würden. Für die Verteidigung ein heikler Punkt. Denn folgt das Gericht dem Sachverständigen, würden bei einem Schuldspruch auch die Voraussetzungen für eine Sicherungsverwahrung Zschäpes vorliegen, was für sie lebenslange Haft bedeuten könnte (JF 4/17). 

Ohne Zustimmung        Zschäpes läuft nichts

Entsprechend akribisch versuchen ihre Altverteidiger bereits seit Monaten, die Schlüsse des Gutachters in Frage zu stellen. Gleich zu Beginn der letzten Verhandlungswoche kommt es zum Eklat. Henning Saß ist zur Verhandlung mit einem großen Stapel Papier erschienen. Sind es seine 773 Seiten umfassenden Notizen zu Zschäpe? Genau über die wollen ihre ursprünglichen Pflichtverteidiger genauere Auskünfte. Saß solle alle seine Aufzeichnungen vortragen, fordern sie. 

Der Gutachter sträubt sich. „Ich möchte eigentlich nicht meine Notizen hier referieren. Da sind Überlegungen enthalten, die nicht für andere bestimmt sind.“ Daher habe er die Aufzeichnungen auch in seinem Arbeitszimmer in Aachen gelassen, gibt er an. Entsetzte Blicke in den Reihen der Anwälte.  „Unglaublich“, empört sich Wolfgang Heer. „Da könnte man aus der Hose springen“, platzt es aus Wolfgang Stahl heraus. Gekicher auf der Zuschauertribüne. 

Die Altverteidiger lassen nicht locker, stellen einen Antrag auf Beschlagnahme der Notizen. Das Gericht lehnt ab. Prompt formulieren Zschäpes Ex-Anwälte einen Befangenheitsantrag gegen den Senat. Und dann das: „Frau Zschäpe, wird das von Ihnen so mitgetragen?“ fragt sie der Vorsitzende Richter Manfred Götzl. Normalerweise eine rein formelle Frage, die mit einem kurzen Nicken des Mandanten abgehakt ist. Doch Beate Zschäpe schüttelt den Kopf. Und läßt so ihre alten Verteidiger auch noch alt aussehen. Denn: Ohne Zustimmung Zschäpes können die Anwälte ihren Antrag nicht stellen. 

Kein einziger Blick von ihr geht nach rechts. Dorthin, wo ihre ursprünglichen Verteidiger, denen sie später das Vertrauen entzog, sitzen. Ihr neuer Anwalt Mathias Grasel könnte jetzt im Einvernehmen mit seiner Klientin die Zügel aufnehmen. Doch der schweigt. In dieser entscheidenden und emotionsgeladenen Phase des Prozesses schaltet er für eine so lange Dauer auf stumm, daß es fast schon peinlich wirkt. 

Zschäpes eigentlich längst abgeschriebene Ex-Anwälte kämpfen dagegen wie Löwen für die Interessen der Hauptangeklagten. Eine kuriose Szene. 

Nicht im Namen, aber aber doch im Interesse ihrer einstigen Mandantin wollen sie den Antrag nun stellen. „Das ist unzulässig“, widerspricht die Bundesanwaltschaft. Auch das Gericht winkt ab. Ohne Zustimmung Zschäpes läuft nichts. Ratlosigkeit in den Mienen der Verteidiger. Sie retten sich in die Mittagspause, wollen Zeit gewinnen, um die verfahrene Situation zu ordnen. 

Bezeichnend: Nach der Pause taucht plötzlich Zschäpes aktueller Hauptverteidiger Hermann Borchert im Saal auf. Selbst Manfred Götzl kann sich ein Lachen nicht verkneifen. In der Sache ändert sich aber nichts, Zschäpe bleibt bei ihrem Nein. Götzl erklärt darauf den Antrag der Altverteidiger für „offensichtlich unzulässig“. 

Tatsächlich wirken die Aussagen des Gutachters – der sich lediglich auf Beobachtungen stützen kann, weil Zschäpe ein Gespräch mit ihm ablehnt – nicht immer überzeugend. Als Wolfgang Stahl von ihm wissen will, woran er seinen Eindruck, Zschäpe neige noch immer zu Straftaten, festmache, fällt seine Antwort ausgesprochen dünn aus. Sehr generell verweist er auf seine „Erfahrung als Psychologe“ sowie die einschlägige „Literatur“.

Auf einen weiteren Punkt, der Zschäpe schwer belasten dürfte, gehen die Verteidiger jedoch gar nicht erst weiter ein: eine auf Datenträgern gespeicherte Adreßliste, auf der 232 jüdische Einrichtungen als mögliche Anschlagsziele vermerkt sind. Unter anderem Schulen, Altenheime und Synagogen. Die Liste stammt aus der einstigen Zwickauer Wohnung des mutmaßlichen NSU-Trios. Auch die Synagoge in der Berliner Rykestraße, nahe der Prenzlauer Allee befindet sich darauf. 

Für Zschäpe ein brisantes Fundstück. Denn im Mai 2000 hatte ein Polizist sie genau an jener Synagoge zusammen mit Uwe Mundlos beobachtet. An einem Ort also, der als mutmaßliches Anschlagsziel gegolten hatte. Der Polizist hatte sich im Zuge einer Fahndung nach dem Trio beim Landeskriminalamt gemeldet. Zschäpes Version, wonach sie von Mundlos und Böhnhardt abhängig gewesen sei und hilflos habe miterleben müssen, wie die beiden gemordet hätten, könnte ihr demnach vom Gericht als Schutzbehauptung ausgelegt werden. 

Aufgrund des zähen Verlaufs werden sich die Verhandlungen nun wohl doch noch länger hinziehen. Der Prozeß wurde vorsorglich schon mal bis Januar 2018 terminiert.