© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/17 / 17. Februar 2017

Raus – oder nicht?
AfD: Der Bundesvorstand hat nun doch ein Ausschlußverfahren gegen Björn Höcke beschlossen / In der Partei brodelt es deutlich vernehmbar
Christian Vollradt

Steht die AfD erneut vor einer Zerreißprobe? Oder ist es der Beginn eines notwendigen „zweiten Häutungsprozesses“? Am Montag hat der Bundesvorstand der Partei in einer Telefonkonferenz beschlossen, ein Parteiausschlußverfahren gegen den Thüringer Landessprecher Björn Höcke einzuleiten. 

„Die Maßnahme erfolgte nach eingehender juristischer Prüfung und politischer Bewertung der Rede Höckes vom 17. Januar 2017 in Dresden“, teilte Pressesprecher Christian Lüth in einer knappen Nachricht mit, die gegen halb zehn in den Redaktionen eintrifft. Kurz darauf gehen die ersten Eilmeldungen über den Ticker. Und seitdem herrscht helle Aufregung in der Partei. Kaum ein führendes Vorstandsmitglied, bei dem nicht ununterbrochen das Telefon klingelt. Mancher AfD-Prominente verbringt den Tag vor Mikrofonangeln und Kamerastativen. 

„Rede weist Parallelen zum Nationalsozialismus auf“

Höcke hatte im Januar während einer Veranstaltung in Dresden mit Äußerungen zum Berliner Holocaust-Mahnmal und zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands bundesweit für Aufregung gesorgt. Der AfD-Bundesvorstand hatte daraufhin zunächst nach langen Diskussionen beschlossen, ein Ordnungsverfahren gegen Höcke einzuleiten, ohne dies näher zu spezifizieren (JF 5/17). Am Montag stand dann fest, daß man die schärfste Sanktionsmaßnahme einleiten wird. Nun muß sich in Kürze das thüringische Landesschiedsgericht der Partei mit dem Fall beschäftigen. Nach dessen Entscheidung können sowohl Höcke wie auch der Vorstand das Bundesschiedsgericht anrufen. Zum Schluß bliebe sogar der Gang vor die ordentlichen Gerichte offen.

Nach Informationen der JUNGEN FREIHEIT stimmten neben Parteisprecher Jörg Meuthen auch AfD-Vize Alexander Gauland, der sachsen-anhaltische Landes- und Fraktionschef André Poggenburg sowie der niedersächsische Landeschef Armin-Paul Hampel gegen die Einleitung des Ausschlußverfahrens. 

Höcke selbst teilte am Montag mit, er nehme den Beschluß „mit Bedauern und in tiefer Sorge um die Einheit der Partei“ zur Kenntnis. Mit seiner Dresdener Rede habe er weder gegen die Parteiordnung noch die Programmatik der AfD verstoßen. Höcke kritisierte, der Beschluß des Vorstands sei unverhältnismäßig und geeignet, der Partei großen Schaden zuzufügen. Das Votum sei zudem machtpolitisch motiviert und gefährde den Meinungspluralismus. Eine drohende Spaltung der AfD müßten „alle Gutwilligen in der Partei verhindern“, forderte der Thüringer Landeschef. 

Dagegen werfen Höckes Widersacher ihm vor, mit seinen ständigen Alleingängen die Einheit der Partei zu gefährden. Daher sei seine Argumentation zynisch. Bereits im Dezember 2015 – nach seinem skandalträchtigen Vortrag mit Thesen zur menschlichen Reproduktion – habe er die „dunkelgelbe Karte“ gezeigt bekommen, betonen innerparteiliche Kritiker. 

Parteivize Beatrix von Storch teilte nach der Abstimmung mit: „Ich trage diese Entscheidung mit, sie ist mir nicht leichtgefallen. Ich bin jedoch der Auffassung, daß wir diesen Schritt gehen und uns als Gesamtpartei definieren müssen“, sagte sie der jungen freiheit. Die weitere Debatte  müsse parteiintern geführt werden und nicht in der Öffentlichkeit.  

Auch ihr Vorstandskollege Georg Pazderski hält die Einleitung des Verfahrens für richtig: „Der Bundesvorstand hat die notwendige Maßnahme ergriffen“, sagte er der JF. Björn Höcke habe zu viele Fehler gemacht. „Die AfD gehört in die bürgerlich-konservative Mitte. In einer Partei wie sie Björn Höcke in seiner Rede skizziert hat, würde ich mich als Konservativer nicht zu Hause fühlen.“  

?AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen hält die Entscheidung für falsch. „Ich halte die Maßnahme unabhängig von der Gültigkeit des Beschlusses für die Einigkeit in der Partei für nicht dienlich“, sagte Meuthen der JF. 

Ähnlich äußerte sich Parteivize Alexander Gauland: „Ich halte es für völlig falsch, sowohl juristisch als auch politisch“, sagte er der JF. Er habe keinen Zweifel, daß das Landesschiedsgericht gegen den Ausschluß votieren werde. „Durch die Rede wurde nicht die Ordnung der Partei verletzt. Ohne Not haben wir ein Faß aufgemacht. Dieses Verfahren wird den gesamten Wahlkampf überlagern.“ Gauland kritisierte auch das Gutachten, das Petry und ihr Vorstandskollege Julian Flak beim Gelsenkirchener Anwalt Christian Bill in Auftrag gegeben hatten und in dem die Erfolgsaussichten des Verfahrens gegen Höcke beurteilt werden. In seinem achtseitigen Schreiben, das der jungen freiheit vorliegt (siehe nebenstehende Auszüge), sieht Bill „gute Chancen, mit einem Ausschlußverfahren gegen Herrn Höcke durchzudringen“, da der gegen seine Loyalitätspflichten als Parteimitglied verstoßen habe. So weise Höckes Dresdner Rede unter anderem „immer wieder Parallelen zum Nationalsozialismus“ auf. 

Brandenburgs Parteichef kündigte an, ein eigenes, „rein juristisches Gutachten“ erstellen zu lassen. „Weiterhin ist meine Linie: Man hätte es bei der Höcke-Rede, die kritikwürdig ist, bei einer kleineren, aber sofortigen Sanktion belassen sollen. Es ist davon auszugehen, daß Höcke jetzt nicht den Kopf unter die Guillotine legen, sondern sich juristisch wehren wird.“ Aus Mitgliederschreiben könne er schließen, daß die Basis gegen einen Ausschluß ist, was allerdings keine inhaltliche Zustimmung bedeute. 

„Der Korridor der AfD ist breit, aber hat Grenzen“

„Der Kampf ist voll entbrannt“, meint auch ein anderer Parteifunktionär. Von einer mittleren zweistelligen Zahl von Parteiaustritten war bereits am Montag-nachmittag die Rede. Mitarbeiter der Partei berichteten von E-Mails, die fast einhellig den Beschluß des Bundesvorstands kritisierten. „Die Stimmung ist gespalten“, berichtet hingegen ein Parlamentarier, der nicht einschätzen kann, wer mehr, wer weniger auf seiner Seite habe. „Aber wir stehen vor einer sehr schwierigen Situation, so kurz vor dem Wahlkampf.“ 

Die AfD-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt kritisierte das Parteiausschlußverfahren „als schweren Fehler“. Einstimmig, wie es heißt; allerdings waren offenbar nicht alle Abgeordneten anwesend. Auch Höckes eigene Fraktion in Erfurt kritisierte, Teile des Bundesvorstands wollten damit „eine weniger meinungsfreudige und weniger gesamtdeutsche Partei“. Nach Kenntnis der jungen freiheit wurde diese Stellungnahme der Fraktion allerdings noch vor der Fraktionssitzung veröffentlicht. Auch Brandenburgs AfD-Fraktion nannte das Vorgehen unverhältnismäßig, die Fraktion in Mainz dagegen stellte sich einstimmig hinter den Bundesvorstand.

Dessen Mitglied Dirk Driesang warnt unterdessen vor einer „Republikaner-Falle“, in die seine Partei auf keinen Fall tappen dürfe. Zwei Szenarien befürchtet er, die ähnlich auch bei der damaligen Schönhuber-Partei in den achtziger und neunziger Jahren zu beobachten gewesen seien: „Nicht alle, die den Höcke-Kurs ablehnen, treten sofort aus. Aber viele von ihnen werden still, gehen in Deckung. Das verschiebt die Mehrheit zuungunsten einer bürgerlich-konservativen Linie“, so Driesang gegenüber der JF. Gleichzeitig vergrößere sich der Zulauf von Leuten, die vorher nicht an einer Mitgliedschaft in der AfD interessiert gewesen seien; denen es darum ginge, „ordentlich auf die Pauke zu hauen“. Damit verstärke sich die Kursänderung noch weiter. 

„Wir haben einen breiten Meinungskorridor in der AfD. Aber auch dieser Korridor hat Grenzen.“ Driesangs Einschätzung zufolge steht nur eine kleine Minderheit inhaltlich hinter dem Thüringer Landes- und Fraktionschef. Aber es gebe viele, die gegen seinen Ausschluß seien. Das sei eine reflexhafte, allerdings falsch verstandene Solidarisierung.

Am Dienstag teilte der Thüringer Landesverband mit, Höcke werde in zahlreichen Schreiben von Mitgliedern aufgefordert, doch für den Bundestag zu kandidieren; nach dem Motto „Jetzt erst recht“. „Ich bin da sehr dafür“, kommentiert das Alexander Gauland.