© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/17 / 17. Februar 2017

„Das ist alles dummes Zeug“
Schauspieler, Musiker, Literaten: Von Künstlern und Intellektuellen, die sich in Politik einmischen
Thorsten Hinz

Meryl Streep ist eine phantastische Schauspielerin, und Madonna und Elton John hatten als Musiker eine große Zeit, doch das macht ihre Meinung über Politik noch nicht belangvoll. Obama konnte Bruce Springsteen, Jon Bon Jovi, U2, John Legend und Beyoncé aufbieten, Trump bloß ein Casting-Sternchen, was lediglich besagt, daß die Show-Stars Obama mochten, den Immobilientycoon hingegen nicht. Streeps Ansage bei der Golden-Globe-Verleihung, in Hollywood „wimmelt es von Außenseitern und Ausländern“, und „wenn wir sie alle aus dem Land werfen, gibt es für uns nichts mehr zu schauen außer Football und Mixed Martial Arts“, mag zutreffen, doch über die Lebenswirklichkeit der Mehrheit besagt das wenig.

Ähnliche Sprüche kennt man aus Deutschland. Sie werden von Leuten geäußert, die unter privilegierten Umständen leben und ihren materiellen Hedonismus durch den moralischen komplettieren. Wer für die Deckung ihrer Schecks unter welchen Umständen aufkommt, interessiert sie nicht.

Am 8. März 2016 fanden sich über hundert sogenannte Prominente vor allem aus der Filmbranche vor dem Berliner Kanzleramt ein, um sich bei Angela Merkel mit roten Rosen und einem Brief für die Grenzöffnung zu bedanken. Die Liste der Unterzeichner bot einen Querschnitt durch das Kulturestablishment. Darauf versammelt waren unter anderem Iris Berben, Senta Berger, Veronica Ferres, Maria Furtwängler, Elke Heidenreich, Nico Hoffmann, Dieter Kosslick, Jan Josef Liefers, Marius Müller-Westernhagen, Thomas Ostermeier, Hans Neuenfels, Til Schweiger und Wim Wenders.

Unterstützung für Merkels Flüchtlingspolitik

Die Welt, hieß es in dem Schreiben, stehe am Anfang gewaltiger Veränderungen. Krieg, Not und Klimawandel würden in den nächsten Jahrzehnten Millionen zwingen, ihre Heimat zu verlassen. „Deshalb erscheint es uns richtig, diese Wahrheit heute schon auszusprechen, die Herausforderung anzunehmen und Europa auf diese Völkerwanderung so vorzubereiten, daß wir sie langfristig, mit Herz und Verstand, bewältigen können, ohne unsere eigenen Werte aufzugeben.“ 

Das waren die alten Allgemeinplätze, die nichts erklären, doch für moralische Überlegenheit sorgen. Zur Wahrheit gehört, daß diese Millionen andere, archaischen Werte mitbringen werden. Wie die eigenen sich gegen deren geballte Wucht behaupten sollen, darüber wußten die Verfasser nichts mitzuteilen. Ihre Aktion erschöpfte sich im Selbstzweck, im Aufbäumen gegen ihren fortschreitenden Bedeutungsverlust.

Die Simulation politischen Engagements und der Drang zur Selbstdarstellung und das Buhlen um Aufmerksamkeit hängen eng zusammen. Der Schauspieler Til Schweiger zog sie im August 2015 auf sich, als er bei Maischberger in einer wirren Suada forderte, Einwanderungsgegnern „einfach zwei Hundertschaften“ auf den Hals zu schicken „und die Leute einzukassieren“. Seine Tochter Luna hat den Wert der parasitären Publizität ebenfalls erkannt und im Sommer 2016 verkündet, „auf jeden Fall“ ihre US-Staatsbürgerschaft abgeben zu wollen, sollte Trump Präsident werden. Prompt wurden der Jungschauspielerin eigene Schlagzeilen gewidmet. Ob sie ihre Ankündigung wahr gemacht hat, wurde nicht vermeldet.

Die engagierte Senta Berger spielt eine Hauptrolle in der sogenannten Flüchtlingskomödie „Willkommen bei den Hartmanns“. Die Regie führte ihr Sohn Simon Verhoeven. Der Film, versicherte er, sei „politisch natürlich nicht immer korrekt“. Aber gewiß ist er das! Es handelt sich um ein hundertprozentig affirmatives Werk, wie sie einst der Sozialistische Realismus hervorbrachte. Der Grundkonflikt – der Sinn oder Unsinn der Einwanderung – bleibt tabu, er arbeitet sich lediglich an Sekundärproblemen – Mißverständnissen, Vorurteilen und ähnlichen Neckereien – ab. Überwölbt wird es von einem klaren „Wir schaffen das!“

Auch Altrocker Udo Lindenberg hält die Politik von Merkel „für den einzig richtigen Weg“ und ihre Gegner für „dumpfe Hirntote“. Wenn er hinzufügt: „Man muß es mit Europa hinkriegen – in jedem Fall“, ist das nicht ganz logisch, denn Merkels Politik hat die europäischen Nachbarn irritiert und zum Brexit beigetragen. Auch Lindenberg spricht in eigener Sache: „Vielleicht kommt Angie mal zu ’ner Show, in die Garderobe – oder ich mal wieder in den Bundestag.“ Lindenbergs rotziger Gestus ist zum Klischee geronnen – die spannungsfreie Pose eines zum Staatskünstler Erstarrten.

Die Schriftstellerin Juli Zeh wünscht sich jetzt, daß Angela Merkel Bundeskanzlerin bleibt. In einem Gespräch mit dem Stern im Dezember 2016 sagte Zeh: „Wenn die jetzt geht, drehen alle endgültig durch.“ Die Flüchtlingspolitik hätte sie begeistert: „Holla, die Waldfee! Liebe Angie, das hätten wir dir nicht zugetraut.“ Sie könne sich vorstellen, bei der Bundestagswahl 2017 CDU zu wählen – aus der Überlegung heraus: „Laßt uns dieses Mutti-Bollwerk einfach noch vier Jahre aufrechterhalten.“ In der allgemeinen Verwirrtheit und Orientierungslosigkeit sei Merkel „doch die einzige starke Schulter“.

In dem Stück „Mutti“, das 2014 bei den Ruhrfestspielen aufgeführt wurde, hatte Zeh das Bild einer eiskalten, emotionslosen Intrigantin gezeichnet. 2015 zürnte sie über die Machtpolitikerin Merkel: „Nun klebt sie also doch genauso am Sessel, wie es sonst bei alternden Männern in Machtpositionen üblich ist. Glaubt sie wirklich, daß außer ihr niemand den Job machen kann?“ Wie nun findet diese Machtversessene mit der „lieben Angie“ zusammen? Ist ihre Politik vielleicht viel weniger lieb, als Juli Zeh glauben möchte? Ihre Wortwahl: „Mutti-Bollwerk“, „starke Schulter“, läßt mehr Panik und autoritären Charakter als Durchblick erkennen. Dennoch kam sie im Cicero-Ranking der 500 einflußreichsten Intellektuellen in Deutschland auf Rang 22.

Kanzler Erhard wurde zornig

Sogar der Professorentitel garantiert kein Diskussionsniveau. Der Kulturwissenschaftler Martin Roth, Präsident des Instituts für Auslandsbeziehungen in Stuttgart, ist seit Monaten in Medien und auf Podien in politischer Mission präsent. 2016 war er als Direktor des Victoria and Albert Museum in London zurückgetreten, angeblich aus Protest gegen den Brexit. Vermutungen, daß er auf den Posten des Kulturstaatsministers oder die Leitung des Humboldt-Forums im Berliner Schloß spekulierte, hat er zurückgewiesen. 

In einem DLF-Interview zum Jahreswechsel sagte der 62jährige, zum ersten Mal in seinem Leben hätte er den Eindruck, „da draußen passiert mainstreammäßig also erstens, was ich nicht unterschreiben kann, und zweitens auch nicht, was ich nachvollziehen kann“. Was ihn nicht hindert, sich unverdrossen dazu zu äußern: In der Zeit träumte er im Oktober 2016 vom „Widerstand der Intellektuellen“ gegen „den zunehmenden Nationalismus, den xenophobischen Haß“. So im sächsischen Bautzen, wo Neonazis „junge Emigranten“ schikanierten und die Polizei, statt sie zu schützen, die Verfolgten unter Hausarrest stellten. Nur hatte die Polizei zeitnah klargestellt, daß die Gewalt von Asylsuchenden ausging. Polizisten mußten sich mit Pfefferspray zur Wehr setzen.

Im Dezember machte Roth auf einer Diskussionsveranstaltung in Stuttgart als Grund für den Elitenhaß und die Furcht vor den Kollateralschäden einer Wirtschaft, die sich nicht an nationalen Grenzen orientiert, „allergrößte Dummheit“ aus. Der Museumsprofessor, der sich um Altersarmut nicht sorgen muß, der von prekären Arbeitsverhältnissen und vom Dienstleistungsproletariat keine Ahnung hat, hat endlich Udo-Lindenberg-Niveau erreicht.

Gegen solche intellektuellen Widerstände, die sich gegen die Wahrnehmung der Realitäten sträuben, läßt sich sinnvoll nicht diskutieren. Man begreift den Zorn, der 1965 Kanzler Ludwig Erhard erfaßte, als der Schriftsteller Rolf Hochhuth ihn in einem Spiegel-Essay über die sozioökonomische Situation in der Bundesrepublik belehren wollte. Auf dem Wirtschaftstag der CDU/CSU erklärte er: „Ich habe keine Lust, mich mit Herrn Hochhuth zu unterhalten über Wirtschafts- und Sozialpolitik (...). Ich würde mir auch nicht anmaßen, Herrn Professor Heisenberg gute Lehren über Kernphysik zu erteilen. Ich meine, das ist alles dummes Zeug. Die sprechen von Dingen, von denen sie von Tuten und Blasen keine Ahnung haben. Sie begeben sich auf die Ebene, auf die parterreste Ebene eines kleinen Parteifunktionärs und wollen doch mit dem hohen Grad eines Dichters ernst genommen werden. Nein, so haben wir nicht gewettet. Da hört der Dichter auf, da fängt der ganz kleine Pinscher an.“ 

Gültige Worte! Es ist Zeit für einen Paradigmenwechsel.