© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/17 / 17. Februar 2017

Die Kahlschlaggebiete der Zigarettenkonzerne
Was nicht auf den neuen Schockpackungen steht: Die ökologische Negativbilanz des weltweiten Tabakanbaus
Sven Mielke

Vor 15 Jahren verordnete Brüssel mit der Richtlinie 2001/37/EG Warnhinweise wie „Rauchen gefährdet Ihre Gesundheit“ auf allen Zigarettenschachteln in der EU. Seit 20. Mai 2016 ist die verschärfte Richtline 2014/40/EU in Kraft, die durch den zusätzlichen Abdruck von Schockbildern wie Raucherbeinen oder Krebsgeschwüren den Nikotingenuß eindämmen soll. Damit, so kritisiert der Wissenschaftsjournalist Markus Wantzeck, werde günstigenfalls das individuelle Bewußtsein für die gesundheitlichen Konsequenzen des Tabakkonsums geschärft. Raucher gefährdeten aber nicht nur sich allein, ihre Passion trage in globalem Maßstab zu dramatischen Umweltschäden bei (Natur, 1/17).

Wantzeck hält den Tabakanbau für einen ökologischen Aberwitz. Der Asien- und Umweltexperte würzt daher sein nüchternes Zahlenwerk – vor allem entnommen der Studie „Tabak: unsozial, unfair, umweltschädlich“ – mit reichlich Sarkasmen. Seine mitunter in schiere Fassungslosigkeit abgleitende Darstellung nimmt ihren Ausgang bei dem Faktum, daß Tabak eine der „gierigsten und erosionsintensivsten Nutzpflanzen“ überhaupt sei. Um eine Tonne Rohtabak zu erzeugen, sind 3.000 Kubikmeter Wasser erforderlich – mehr als doppelt soviel wie beim Mais. Im Vergleich mit Mais und Reis entzieht Tabak dem Boden auch ein Vielfaches an Kalium, Phosphor und Stickstoff. Die Böden laugen aus und erodieren folglich schneller als bei allen anderen Nutzpflanzen, zum Beispiel fünfmal so rasch wie beim Anbau von Baumwolle.

Desaströse Folgen für Mensch, Böden und Wasser 

Fast unnötig hinzuzufügen, wie anfällig Tabak für Schädlinge ist, die in vielen Anbaugebieten nur mit massivem Einsatz von Pestiziden, Fungiziden und Insektiziden unter Kontrolle zu halten sind. Da bei den Haupterzeugern im globalen Süden niedrige Umweltauflagen bestehen, so zitiert Wantzeck Katrin Schaller vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), würden Pflanzenschutzmittel exzessiv eingesetzt und Grenzwerte selten beachtet: mit desaströsen Folgen für Mensch, Böden, Wasser und Grundwasser.

Der „Umweltkiller“ Tabak fresse auch Wald. Weltweit fallen dem Anbau und der Trocknung des Nachtschattengewächses 200.000 Hektar jährlich zum Opfer. Darunter mehrere 10.000 Hektar Miombowald, die allein in Tansania, im zentralafrikanischen Trockenwaldgürtel, in Rauch aufgehen. Indonesien, wo schon die Palmölindustrie im Regenwald kräftig „brandschatzt“, steht mit seinen den Tabakkonzernen offerierten Kahlschlagarealen so wenig dahinter zurück wie der Bandarban-Distrikt in Bangladesch. Und: Das Holz, das bei der Tabaktrocknung verbrennt, setze große Mengen CO2 frei.

In Deutschland wird Tabak nur noch auf 2.000 Hektar angebaut – das ist weniger als ein Zehntel der Hopfenanbaufläche. „Bei uns wird kein genetisch verändertes Saatgut verwendet“, verspricht der Bundesverband Deutscher Tabakpflanzer. Der deutsche „Premium-Tabak“ werde überwiegend von Hand gepflückt. Multiresistentes Saatgut garantiere gesunde Erträge „mit niedrigem Nikotin- und hohem Zuckergehalt“.

Aber auch derjenige, der seine Kippe nicht in die Landschaft schnippt, löst nicht das „Klimaproblem Zigarette“. Da jährlich 6.000 Milliarden Glimmstengel in Rauch aufgehen, türmen sich die Filter zu einem 750.000 Tonnen schweren Plastikberg auf. Sondermüll, da Kippen aus schwer abbaubaren Cellulose-Acetat-Fasern bestehen. Bio-Filter wären machbar, würden aber wegen daraus nicht zu eliminierender Giftstoffe des Tabaks trotzdem die Umwelt belasten.

Was tun? Nicht aus Deutschland, dem von der Bundesregierung beschützten Eldorado der Tabakindustrie, komme der fruchtbarste Lösungsansatz, sondern aus Großbritannien und Irland. Dort ist seit 2006 der Preis für eine Zigarettenpackung auf über neun Euro geklettert. Infolgedessen sank der Raucheranteil bei den Briten von 33 auf 22, bei den Iren von 29 auf 21 Prozent. Würde Deutschland diesem Beispiel folgen und die Tabakindustrie mit den 80 Milliarden Euro Gesundheitskosten belasten, die Raucher jährlich verursachen, wären pro Schachtel 11,30 Euro fällig. Theoretisch, denn der Stuttgarter Natur-Autor hat nicht bedacht, daß Deutschland auch an Luxemburg, Polen, die Tschechei oder Österreich grenzt, wo nicht nur Kraftstoff, sondern auch Zigaretten schon heute viel billiger sind.

Produktions- und Konsumstudie „Tabak: unsozial, unfair, umweltschädlich“: unfairtobacco.org/

Bundesverband Deutscher Tabakpflanzer: www.bundesverband-tabak.de