© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/17 / 24. Februar 2017

Der Ernst der Lage
Die AfD am Scheideweg: Will sie zurück in die Vergangenheit oder eine zukunftsgerichtete Politik
Michael Paulwitz

Nicht nur für Deutschland, auch für die AfD wird 2017 zum Jahr der Entscheidung. Die Causa Höcke zwingt sie vor der wichtigsten Etappe ihres Siegeslaufs in die Parlamente zur Klarstellung, ob sie den mit Erfolg eingeschlagenen Weg der bürgerlichen Sammlungsbewegung mit Aussicht auf eine gestaltende Rolle in der deutschen Politik fortsetzen oder zu einer ideologisch ausgerichteten, in der politischen Landschaft marginalisierten Kleinpartei mutieren will.
 Das vom Bundesvorstand eingeleitete Parteiausschlußverfahren gegen den Thüringer Landes- und Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke hat diese notwendige Klärung dramatisch zugespitzt. Diese Tatsache und die demokratische Legitimierung dieses Verfahrens müssen auch jene anerkennen, die es aus unterschiedlichen Gründen kritisieren. Wie die AfD mit dem Selbstfindungsprozeß umgeht, dem sie nicht länger ausweichen kann, wird darüber entscheiden, ob sie ihrem Anspruch als Alternative zu den etablierten Parteien gerecht werden kann.


Heikel ist, daß inhaltliche und programmatische Grundsatzfragen sich dabei mit persönlichen Rivalitäten und parteipolitischem Kalkül mischen. Das birgt die Gefahr der inneren Polarisierung, ja selbst der abermaligen Spaltung. Die Polarisierung hat indes nicht erst mit dem Parteiausschlußverfahren gegen Björn Höcke begonnen, sondern wurde bereits mit dessen fortgesetzten Provokationen und ideologischen Zündeleien in die Partei hineingetragen.
Damit ist nicht so sehr Höckes medial breitgetretene und anfangs absichtlich mißverstandene Formulierung vom „Denkmal der Schande“ gemeint als vielmehr die zahlreichen, auch in seiner Dresdener Rede allgegenwärtigen ideologisch motivierten Spitzen: Das Raunen von der AfD als „Bewegung“, das Pathos vom „vollständigen Sieg“ und einer „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“, das Verächtlichmachen von Parlamentariern als Spesenrittern, das auch den eigenen Kandidaten unlautere Motive unterstellt – all das paßt nicht zu einer Partei, die für breite Schichten der Bevölkerung wählbar sein und Veränderung auf parlamentarischem Wege erreichen will, um von den etablierten Parteien seit Jahrzehnten zugelassene und verschuldete Fehlentwicklungen zu korrigieren. Es ist auch durch das von der Basis beschlossene Programm nicht mehr gedeckt.


Eine AfD – oder eine Abspaltung von dieser – auf Höcke-Kurs, die kokettierend den politischen Rändern zuzwinkerte, würde sich selbst marginalisieren. Sie würde sich ideologisch auf ein Potential von wenigen Prozent der Wähler verengen, die sich von diesem Zwinkern angesprochen fühlen oder sich nicht daran stören, aber die Chance vergeben, zu einem politischen Faktor zu werden, der die Geschicke des Landes maßgeblich bestimmen kann. Statt dessen liefe sie Gefahr, in die Verfassungsschutz-Falle zu laufen und nach kurzen parlamentarischen Intermezzi den Weg des Scheiterns einzuschlagen, den schon so viele nichtlinke alternative Parteiprojekte gegangen sind.
Eine Partei, die „Volkspartei“ im guten Sinne des Wortes sein will und mittelfristig eine Position anstrebt, in der sie auch Regierungsverantwortung übernehmen kann, darf sich freilich nicht nur taktisch und aus Furcht vor Verfassungsschutz und finanziellen Sanktionen von extremistischen Bestrebungen distanzieren, sie muß es aus voller innerer Überzeugung tun. Nur so gewinnt sie die Glaubwürdigkeit, die sie braucht, um gewählt zu werden. Die FPÖ, die es mit der konsequenten Absage an ideologische Irrlichter und rückwärtsgewandte Debatten bis an die Schwelle des Bundespräsidentenamts geschafft hat, mag hier als Vorbild dienen.


Die AfD steht erst am Anfang dieses Weges, der die FPÖ inzwischen zur potentiellen Kanzlerpartei gemacht hat. Dieses strategische Ziel als „Anbiederung“ und koalitionsversessene „CDU light“-Bestrebungen zu denunzieren, ist ein unfairer Tritt unter die Gürtellinie: Wer mit seinem Namen für die AfD einsteht, ob auf aussichtsreichem Listenplatz oder als Zählkandidat, nimmt dafür nicht selten einiges an Anfeindungen und persönlichen Nachteilen in Kauf. Sollen den bisherigen Wahlerfolgen weitere folgen, muß die AfD die Themen ansprechen, die auf der Hand liegen und eine große Zahl von Bürgern bewegen: die unausgesetzten Rechtsbrüche bei Euro-„Rettung“, Energiewende und Einwanderung und die mutwillige Zerstörung von Rechtsstaat, öffentlicher Ordnung, Freiheit und Sicherheit durch die etablierte Politik.


Wer diese Themen vertritt, stellt sich automatisch gegen den Mainstream und muß sich keinen „Anbiederungs“-Vorwurf gefallen lassen. Die AfD täte gut daran, sich rasch wieder auf die Auseinandersetzung mit dem etablierten Gegner auf diesen Feldern zu konzentrieren. Sich in Grabenkämpfen zu verzetteln und Schlachten der Vergangenheit zu schlagen, während ein abgehalftertes Mitglied der EU-Nomenklatura sich als Ritter der sozialen Gerechtigkeit und Scheinalternative zur abgewirtschafteten Kanzlerin inszeniert, brächte nicht nur die AfD, sondern das ganze Land um die dringend benötigte Chance zur Einleitung einer politischen Wende.


Das Parteiausschlußverfahren gegen Björn Höcke ist vor diesem Hintergrund ein riskanter Weg. Der Ausgang ist ungewiß, die rechtlichen Hürden sind ebenso wie die Gefahr der Selbstlähmung und Selbstbeschädigung hoch. Daß dieser Weg dennoch beschritten wurde, signalisiert auch den Ernst der Lage. Im günstigsten Fall wirkt dieses Signal als Warnruf zur Disziplinierung und zur Konzentration aufs Wesentliche.


Denn die AfD steht am Scheideweg. Wer in ihren Reihen nicht die Einsicht und Disziplin aufbringt, die richtige Entscheidung zu treffen und mitzutragen, zu dem muß über kurz oder lang ein klarer Trennungsschnitt gezogen werden.