© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/17 / 24. Februar 2017

Schöne neue Einwandererwelt
„Leitbild“ der Migrationsbeauftragten: Geht es nach Aydan Özoguz, sollen die Hürden für Einbürgerung sinken und die Kosten für Integration steigen
Peter Möller


Auf den ersten Blick ist es ein alter Hut: Schon in den achtziger Jahren versuchten SPD und Grüne, sich mit der Forderung nach einem kommunalen Wahlrecht für Ausländer neue Wählerschichten zu erschließen. Doch ein entsprechender Vorstoß des SPD-regierten Schleswig-Holstein wurde 1990 vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe kassiert. Lediglich für EU-Bürger besteht auf Grundlage des Vertrages von Maastricht seit 1995 ein kommunales Wahlrecht.


Doch pünktlich zum anstehenden Bundestagswahlkampf ist die Diskussion über ein Wahlrecht für alle Ausländer in Deutschland plötzlich wieder zurück auf der politischen Tagesordnung. Denn die Forderung nach einer Ausweitung des Kreises der Wahlberechtigten ist Kernpunkt der in der vergangenen Woche vorgestellten Studie „Leitbild für die Einwanderungsgesellschaft“ der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Erarbeitet wurde das 50 Seiten starke Papier von einer Kommission aus Experten aus Politik, Verwaltung, Gewerkschaften, Wissenschaft, Medien, Kultur und Religionsgemeinschaften unter Vorsitz der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Staatsministerin Aydan Özoguz (SPD).


Es sei „unbefriedigend“, daß viele Einwohner in Deutschland keine Möglichkeit zur demokratischen Stimmabgabe hätten, wird der verfassungsrechtlich heikle Vorstoß zum Wahlrecht begründet. „Im Interesse einer lebendigen Demokratie wäre die Möglichkeit, über Fragen im eigenen Lebensumfeld mitentscheiden zu können, ein Teilhabefortschritt“, glauben die Autoren. Der verfassungsrechtlichen Hürden sind sie sich dabei durchaus bewußt. Doch ihnen geht es offenbar, ebenso wie bei der Forderung, dauerhaft in Deutschland lebende Ausländer sollten das Stimmrecht bei Volksabstimmungen erhalten, vor allem um die Signalwirkung.


Ähnlich heikel sind die meisten anderen Forderungen der Studie. So plädiert die Kommission beispielsweise für einen leichteren Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft durch Einwanderer. Zu diesem Zweck sollten die Behörden Spielräume bei der Ermessenseinbürgerung gezielt nutzen. Zudem müsse der Mindestaufenthalt bei der Anspruchseinbürgerung von derzeit acht Jahren abgesenkt sowie die Möglichkeit der doppelten Staatsbürgerschaft ausgeweitet werden. Von der seit Jahren kontrovers geführten Diskussion über den Doppelpaß lassen sich die Autoren dabei nicht beirren. „In der Einwanderungsgesellschaft sind hybride Identitäten alltäglich. Ebenso ist eine doppelte Identifikation möglich und wird heute alltäglich in Deutschland gelebt“, heißt es dazu lapidar.


Auch beim Thema Sprache hat die Kommission vor allem die Interessen der Einwanderer und nicht die der Mehrheitsgesellschaft im Blick. Zwar fordert die FES-Studie eine Ausweitung der Sprach- und Integrationskurse. Doch ebenso heißt es unmißverständlich: „Eine Einwanderungsgesellschaft, die nicht auch die Mehrsprachigkeit in Behörden, Bildungseinrichtungen, den Betrieben, den Medien und auch im übrigen Alltag fördert, vergibt sich leicht zu realisierende Teilhabechancen.“ Dazu paßt die Forderung nach einer „interkulturellen Öffnung“ der Verwaltung.
Vorwurf des Lobbyismus weisen die Autoren zurück


Auf dem Wunschzettel der Kommission stehen zudem die Stärkung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und der Aufbau entsprechender Einrichtungen in allen Bundesländern. Gleichzeitig müßten Schutzlücken im Gleichbehandlungsgesetz geschlossen sowie die Förderung anonymer Bewerbungsverfahren auf den Weg gebracht werden. Auch ein „Nationaler Rat für Integration“, der ähnlich wie der Ethik-rat den Bundestag beraten soll und ein Bundespartizipationsgesetz  werden gefordert. „Im Kern geht es darum, ein System struktureller und proaktiver Teilhabeförderung zu schaffen“, heißt es dazu in der Studie.


Viele Vorschläge der Kommission lesen sich, als stammten sie direkt von den mittlerweile zahlreichen Organisationen der Einwandererlobby. Und das ist kein Zufall: Unter den 38 Mitgliedern der Kommission finden sich etwa der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt, der Generalsekretär des türkischen Islamverbandes Ditib (siehe Seite 6), Bekir Alboga, sowie die Geschäftsführerin Bundesverband Netzwerke von Migrantenorganisationen, Breschkai Ferhad. Da überrascht es nicht, daß die Kommission auch eine massive finanzielle Förderung solcher einwanderungsfreundlichen Organisationen anregt. Diesen müßten „angemessene Ressourcen auf allen föderalen Ebenen“ bereitgestellt werden, einschließlich einer „angemessenen Förderung zum Strukturaufbau“. Das Ziel müsse eine Gleichbehandlung mit anderen zivilgesellschaftlichen Kräften sein, verdeutlichen die Autoren.
Doch den Vorwurf der Lobbyarbeit weisen die Initiatoren der Studie weit von sich: „Wir brauchen dieses Leitbild, weil unsere Einstellung zur Einwanderung das Selbstverständnis von Staat und Gesellschaft berührt. Unser Umgang mit Vielfalt und gerechte Teilhabemöglichkeiten sind Gradmesser für unsere Demokratie, den sozialen Frieden und Sicherheit“, sagte Staatsministerin Özoguz bei der Vorstellung des Papiers in Berlin.


Die Kritik an den Ergebnissen der Studie ließ nicht lange auf sich warten. Vor allem die Forderung zum Wahlrecht polarisiert. Nach Ansicht des Justitiars der Bundestagsfraktion der Union, Hans-Peter Uhl (CSU), ist der Vorschlag schlicht verfassungswidrig. „Das Wahlrecht, mit dem das Volk die Staatsgewalt ausübt, setzt nach der Konzeption des Grundgesetzes die deutsche Staatsangehörigkeit voraus“, kritisierte Uhl.
Bei einer möglichen rot-rot-grünen Bundesregierung dürften viele der im „Leitbild“ versammelten Forderungen dagegen auf einen fruchtbaren Boden fallen.






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