© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/17 / 24. Februar 2017

„This is not America“
Kriminalität: Im Hamburger Stadtteil St. Georg haben junge Männer aus Afrika Polizisten attackiert / Linkenpolitiker sorgt mit Rassismusvorwurf für Empörung
Michael Johnschwager


Die Stimmung ist aufgeheizt. Und das nicht nur auf der Straße. Bis zu hundert Afrikaner haben vergangene Woche im Hamburger Stadtteil St. Georg drei Streifenpolizisten umringt und bedroht. Die Beamten hatten einen jungen Somalier festgenommen, der zuvor Mitarbeiter eines Wettlokals mit dem Tode bedroht haben soll. Laut Polizeibericht versuchte die Gruppe, die Ordnungshüter mit den Rufen „Haut ab“, „Verpißt euch“ oder „This is not America“ zu vertreiben. „Die Bereitschaftspolizei forderte daraufhin eine Verstärkung von fünf Streifenwagen an, es waren mehr als 30 Polizisten vor Ort, die die Lage schließlich schnell unter Kontrolle brachten“, sagte Polizeisprecher Ulf Wundrack der JUNGEN FREIHEIT.


Die Afrikaner fühlen sich von der Polizei ungerecht behandelt, das böse Wort „Rassismus“ macht die Runde, befeuert wird der Vorwurf von Unterstützern aus der linken Szene. Dort wiederum vermuten CDU und Polizeigewerkschaften die Verantwortlichen für eine Eskalation, vor allem in der Person von Martin Dolzer, Abgeordneter der Linkspartei in der Hamburger Bürgerschaft. Zusammen mit 150 Afrikanern hatte er an einer Demonstration gegen die Polizei teilgenommen. Grund des Protests war eine Polizeiaktion Anfang Februar, bei der ein 33jähriger Ghanaer, der einen Zivilpolizisten mit einem Messer angegriffen hatte, von dem Beamten in Notwehr angeschossen wurde.
Dolzer hatte der taz gesagt: Nach allen Zeugenschilderungen dränge „sich der Eindruck auf“, daß der Polizist nicht in Notwehr handelte, es sich sogar um einen „rassistisch motivierten Hinrichtungsversuch“ handeln könnte. Hamburgs Polizeipräsident Ralf Meyer hatte daraufhin Strafanzeige wegen übler Nachrede gegen Dolzer gestellt, die CDU forderte ihn zum Mandatsverzicht auf. Der Linken-Politiker verteidigte sich, er habe nur Augenzeugenberichte wiedergegeben, das Zitat stamme nicht von ihm.


Beobachter stellten fest, daß die Vorkommnisse an die Zustände in St. Georg vor 20 Jahren erinnerten, als dort die offene Drogenszene eingedämmt werden sollte. Wenn damals schwarzafrikanische Dealer verhaftet wurden, bildeten sich schnell große Gruppen, es gab sogar Versuche, Festgenommene zu befreien.
Morbider Charme zieht Zahlungskräftige an


In kaum einem Stadtteil liegen Glanz und Elend so dicht beieinander. Unweit des Deutschen Schauspielhauses, der größten Sprechbühne des Landes, sowie traditionsreicher Hotels paradieren auf dem exakt einen Kilometer langen Steindamm schon am frühen Nachmittag Prostituierte aus aller Herren Länder. Und hier hat sich seit März 2013 eine Gruppe Schwarzafrikaner in einem Zelt eingerichtet, mehr schlecht als recht. Große Plakate geben Auskunft über den Weg, auf dem sie in die Stadt gelangten: die Mittelmeerinsel Lampedusa.


Vorbei am stattlichen Museum für Kunst und Gewerbe richten ausgezehrt wirkende Menschen ihre ungelenken Schritte in eine unmittelbar dahinter liegende Bausünde. Im „Drob Inn“ holen sich Schwerstabhängige täglich ihr Methadon ab. Damit hat sich diese Einrichtung zur ersten Anlaufadresse der offenen Drogenszene Hamburgs entwickelt. Seit etwa 20 Jahren trägt das „Drob Inn“ dazu bei, die Abhängigen für Besucher der Hansestadt unsichtbar werden zu lassen. Die Drogendealer – die Szene dominieren Schwarzafrikaner – meiden den Vorplatz des Hauptbahnhofs, verzogen sich in benachbarte Straßen.


Anzunehmen, St. Georg sei ausschließlich Domizil der Abgehängten der Gesellschaft, ist hingegen falsch. Angezogen vom morbiden Charme, bevölkert seit mehreren Jahren eine zahlungskräftige Klientel den der Außenalster zugewandten Abschnitt des Kiezes. Zu der illustren Schar derer, die den Trend zum eigenen Heim rund um den Hansaplatz vorgaben, gehörte einst auch Hamburgs ehemaliger Erster Bürgermeister Ole von Beust (CDU).
Bundesweit in die Schlagzeilen geriet das Viertel zuletzt im Oktober 2014, als sich rund 400 Kurden ein gewalttätiges Scharmützel mit Salafisten lieferten. Die Lage drohte zu eskalieren, als Islamisten nachts mitten auf dem Steindamm Kurden verfolgten, martialisch bewaffnet mit Metallstangen, Macheten und scharfkantigen Gegenständen. Der seinerzeitige Innensenator Michael Neumann (SPD) hatte verstanden: Er reagierte am Folgetag mit einem kolossalen Großaufgebot an Mannschaften und Einsatzfahrzeugen, darunter auch gepanzerte. Die eindrucksvolle Demonstration staatlicher Autorität verfehlte nicht ihre Wirkung. Fortan herrschte Ruhe im Quartier. Bis jetzt.