© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/17 / 24. Februar 2017

Weiterhin unverzichtbar
125 Jahre Dieselmotor: Vom Arbeitstier zum Massenphänomen / Kostendruck durch Abgastechnik
Thomas Fasbender

Als Rudolf Diesel am 27. Februar 1892 in Berlin seinen Patentantrag für eine „neue rationelle Wärmekraftmaschine“ einreichte, reagierte die Fachwelt skeptisch. Zwar bezweifelte niemand den für Verbrennungsantriebe konkurrenzlos hohen Wirkungsgrad, aber wie wollte Diesel die extremen Drücke in der Brennkammer beherrschen? Daher gab es einen funktionierenden Prototyp erst ein Jahr nach der Patenterteilung. Der an der Königlich-Baye­ri­schen Po­ly­tech­ni­schen Schu­le zu München ausgebildete Ingenieur hatte den nach ihm benannten Motor anhand theoretischer Erkenntnisse zur Übertragung von Wärme in Kraft entwickelt. Seither gilt der Dieselmotor als Triumph der Theorie über das Experiment.


Die Monopolstellung des Dieselantriebs im Schiffbau und bei Nutzfahrzeugen bestätigt das Genie des Ingenieurs. Ließe sich das Netz nicht elektrifizieren, sähe es im Schienenverkehr nicht anders aus. Bei den Pkw liefern sich die Technologien der Ingenieuere Otto und Diesel seit Februar 1936 einen zähen Kampf. Damals stellte Mercedes mit dem 260 D den weltweit ersten serienreifen Selbstzünder-Pkw vor. Der zeitgleich vorgestellte Hanomag Rekord D 19 war erst später lieferbar. Daimler-Benz warb mit 38 Prozent Kraftstoffersparnis, doch zähe Beschleunigung und laute Knattergeräusche machten den Antrieb unbeliebt.


In der Nachkriegszeit setzten zunächst nur Mercedes und Peugeot auf den Diesel-Pkw. Mit dem ersten Golf Diesel begann 1976 der Siegeszug auf dem Massenmarkt (JF 23/16). Dank Turbo, Einspritztechnik und Dämmung sind Diesel heute spritzig und leise wie Benziner. Vielfahrer kompensieren so die höheren Anschaffungs- und Versicherungskosten durch den Verbrauchsvorteil. Doch ohne die deutsche Lobbypolitik wäre der Diesel-Pkw kein Massenphänomen (2016: 45,9 Prozent Marktanteil): Seit 1994 ist Diesel steuermäßig 36 Pfennige (18,41 Cent pro Liter) billiger als Benzin. Doch dieser Preisvorteil reicht künftig wohl kaum aus, die im Vergleich zum Ottomotor aufwendigere Abgasreinigung auszugleichen. Rußpartikel, Feinstaub und Stickoxide – strengere Grenzwerte verteuern die Abgasentgiftung in einer Weise, daß zumindest im preissensiblen Kleinwagensegment ein Ausstieg aus der Technologie zu erwarten ist.


Kommt der Rückzug aus der Klein- und Mittelklasse?


Welche Schwierigkeiten die Ingenieure haben, die Umweltauflagen im vorgegebenen Kostenrahmen zu erfüllen, belegen die im September 2015 aufgeflogenen Manipulationen im VW-Konzern. Die Milliardenstrafen in den USA waren von Wolfsburg selbst verschuldet, aber auch in der nachsichtigeren EU (wo auch Frankreich und Italien zur Diesel-Lobby gehören) werden die Schrauben angezogen: Die 2007 verabschiedete Abgasnorm Euro 6 verlangt, daß ab Herbst 2015 alle neuen Selbstzünder nur noch maximal 80 Milligramm Stickoxid pro Kilometer ausstoßen dürfen – statt wie zuvor maximal 180 Milligramm. In jener Zeit wird auch die Entscheidung bei VW gefallen sein, die Steuerungssoftware der Abgasreinigung zu manipulieren.


Noch 2011 wurden knapp 56 Prozent aller neuen Pkw in Westeuropa von einem Diesel angetrieben. Inzwischen ist der Marktanteil wieder unter die 50-Prozent-Marke gerutscht. Mit zehn Prozent war der Einbruch 2016 besonders ausgeprägt – sicher mit eine Konsequenz von VWs „Dieselgate“. In rund fünf Jahren werden Dieselfahrzeuge nach einer Studie der Marktforschungsagentur LMC Automotive nur noch etwas mehr als 40 Prozent der Neuwagenkäufe ausmachen. Im Kleinwagen-Segment ist die Dieselquote seit 2011 von 30 auf knapp 20 Prozent gesunken. Selbst bei den Stadtgeländewagen (SUV) gehen die Dieselverkäufe zurück. Anfang des Jahrzehnts lag der Diesel-Anteil in dem Segment noch bei rund 80 Prozent, mittlerweile tendiert er zu 70 Prozent.


Bei Kleinwagen bieten immer mehr Hersteller gar keine Diesel mehr an. Die Diskussion um Fahrverbote für Diesel in Großstädten („Blaue Plakette“, JF 30/16) hält an. Der Trend geht aber bislang nicht hin zu Hybridantrieben oder reinen Elektroautos, sondern zu – lediglich im EU-Testzyklus sparsamen – geschrumpften Ottomotoren mit Direkt­einspritzung und Turbolader. Doch die haben ein Problem mit der Dauerhaltbarkeit und mit mikroskopischem Ruß. Entsprechende Partikelfilter erhöhen aber den Preis. In der Vertreter- und Oberklasse liegt der Dieselanteil hingegen seit Jahren stabil oder sogar steigend bei über 80 Prozent: Bei Langstreckenfahrten oder weiten Pendlerwegen rechnet sich der Diesel trotz allem weiterhin.


Auffallend sind die nationalen Unterschiede. Das einzige Land, wo Diesel ähnlich verbreitet sind wie in Europa, ist Indien. 15 Prozent aller Diesel-Pkw weltweit werden dort verkauft. Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum werden auch künftig für rege Nachfrage sorgen. Doch allein durch den Absatz von Traktoren und Lkw scheint die Zukunft des Dieselantriebs gesichert. In Brasilien sind Dieselfahrzeuge hingegen schlicht verboten. Das Land setzt seit den siebziger Jahren auf aus Zuckerrohr hergestelltes Äthanol sowie Flex-Fuel, ein Gemisch aus Bioalkohol und Benzin. In Japan (zwei Prozent) und in China (ein Prozent) sind die Diesel-Pkws Exoten.


In den USA war 2016 unter tausend Neuwagen nur ein einziger Diesel-Pkw: Marktanteil 0,1 Prozent. 2015 lag er noch um das Zehnfache höher. Der wichtigste Dieselausrüster Bosch schwärmte vor vier Jahren in einer Studie noch von einem US-Dieselanteil von zehn Prozent. Am 1. Februar teilte der VW-Lieferant allerdings kleinlaut mit, sich mit US-Zivilklägern auf eine Zahlung von 327,5 Millionen Dollar geeinigt haben. Mit der Vergleichsvereinbarung erkenne man aber „weder den von den Klägern vorgetragenen Sachverhalt an, noch räumt Bosch Schuld ein“. Der Konzern werde „in anderen zivil- und strafrechtlichen Verfahren seine Interessen vertreten bzw. umfassend mit den Ermittlungsbehörden in Deutschland und anderen Ländern kooperieren“.



Dieselmuseum in Schramberg/Schwarzwald: auto-und-uhrenwelt.de/de/Dieselmuseum


Dieselsparte des Bosch-Konzerns: de.bosch-automotive.com/de/


Foto: VW-Dieselmotor EA 189 mit Abgasproblemen: Die neuen geschrumpften Ottomotoren mit Direkteinspritzung und Turbolader haben ein Problem mit der Dauerhaltbarkeit und auch mit mikroskopischem Ruß