© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/17 / 24. Februar 2017

Viele sympathische Züge
Bilder vom Islam: Zum 175. Geburtstag des Abenteuerschriftstellers Karl May
Wolfgang Kaufmann


Der Abenteuerschriftsteller Karl May, welcher am 25. Februar 1842 in Ernstthal bei Chemnitz geboren wurde und am 30. März 1912 angeblich an „Herzparalyse“ infolge „acuter Bronchitis“ starb – wahrscheinlich tötete ihn aber wohl Blei aus der Wasserleitung –, zählt zu den meistgelesenen deutschen Autoren aller Zeiten: Die Auflage seiner Werke liegt mittlerweile bei über 200 Millionen, wobei die Hälfte der Bücher im Ausland erschien.


Die bekanntesten Protagonisten des gescheiterten Lehramtskandidaten, der ab 1860 sukzessive in die Kriminalität abdriftete und dann 1874 nach der Entlassung aus dem Zuchthaus Waldheim mit dem Schreiben anfing, sind neben dem Apachenhäuptling Winnetou die beiden pseudo-autobiographischen Figuren Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi. Der Letztgenannte dominiert dabei insonderheit den sechsteiligen Orientzyklus von 1892, der mit „Durch die Wüste“ beginnt und mit „Der Schut“ endet.


Mit diesen Phantasie-Reiseerzählungen, zu denen später noch die Trilogie „Im Lande des Mahdi“ (1896) und verschiedene weitere Romane über Abenteuer in Nordafrika, dem Nahen Osten sowie dem Osmanischen Reich und der Region des heutigen Albanien kamen, prägte der bis 1899 nicht aus Deutschland herausgelangte und zur Hochstapelei neigende Sachse das Islambild seiner Zeitgenossen und zahlreicher folgender Generationen von Karl-May-Lesern.


Nach Ansicht vieler Kritiker stellte der Autor den Islam und die Muslime dabei ausgesprochen negativ dar. Deshalb sei er für die diesbezüglichen Vorurteile der Deutschen maßgeblich mitverantwortlich – heißt es beispielsweise in der „Enzyklopädie des Islam“ sowie der regelrecht anklagend formulierten Studie „Das Islam-Bild bei Karl May und der islamo-christliche Dialog“ von Inge Hofmann und Anton Vorbichler.


Er argumentierte erstaunlich differenziert


Tatsächlich aber argumentierte der Schriftsteller erstaunlich differenziert, wenn man die zur Zeit seines Wirkens dominierende, abwertende Wahrnehmung des Islam berücksichtigt, welche vorrangig aus folgenden Faktoren resultierte: der brutalen Versklavung von Europäern in den sogenannten „Barbareskenstaaten“ des Maghreb, den jahrhundertelangen Türkenkriegen mit den beiden osmanischen Vorstößen bis vor Wien (1529 bzw. 1683) und dem Dahinsiechen des „kranken Mannes am Bosporus“, sprich des Osmanischen Reiches, im Anschluß an dessen Zurückdrängung aus Südosteuropa. Hierdurch wurde natürlich auch Karl May beeinflußt, der sein Wissen über den Orient und die dort vorherrschende Religion ja lediglich aus Märchen, Romanen und Reiseberichten anderer Autoren sowie Nachschlagewerken wie Brockhaus’ Konversationslexikon bezog, sich also zunächst kein eigenes Bild machen konnte.


Trotzdem charakterisierte der Vielschreiber, der selbst Protestant mit einem starken Hang zum Katholizismus war, Muslime nicht grundsätzlich negativ. So stellte er Kara Ben Nemsis ständigen Reisebegleiter Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abbul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah zwar als frommen und durchaus auch missionarisch veranlagten „Muselmanen“ dar, verlieh ihm aber zugleich viele sympathische Züge, die teilweise sogar direkt auf seine Religion zurückgingen. Beispielsweise verteilte Halef stets großzügig die vom Koran vorgeschriebenen Almosen an Bedürftige, obwohl er keineswegs zu den Wohlhabenden zählte und daher permanent auf ein kleines Bakschisch angewiesen war.


Nimmt man alle Figuren des Orientzyklus zusammen, dann stehen 34 eher sympathischen Charakteren muslimischen Glaubens 29 Bösewichter vom Schlage des Mübarek und Abrahim Mamurs gegenüber. Jedoch handelte nicht einer von denen aus religiösen Motiven, sondern aus ganz banalen Gründen wie Habgier, Rachsucht und Neid. May wollte seine Leser also keineswegs indoktrinieren, indem er die Schurken kurzerhand zu Prototypen eines Mohammedaners erklärte. Vielmehr gilt das Prinzip, das Kara Ben Nemsi an einer Stelle von „In den Schluchten des Balkan“ ganz explizit darlegt: „Es gibt gute und böse Menschen überall, also auch unter den Christen und unter den Moslems.“


Die Probleme liegen in den politischen Strukturen


Andererseits greift May selbstverständlich die eine oder andere kritikwürdige Seite des Islam auf, wobei er jedoch nur selten übertreibt oder gar komplette Falschinformationen liefert. Vielmehr entsprechen seine Aussagen im wesentlichen der damaligen (und auch heutigen) Realität, egal ob es nun um Auswüchse des religiösen Fundamentalismus, die Unterdrückung der Frauen, grausame Körperstrafen aufgrund der Scharia oder die demütigende Behandlung von „Ungläubigen“, das heißt Juden und Christen, im Machtbereich der Muslime geht. Und wenn dem Abenteuerschriftsteller dann doch einmal die Phantasie davongaloppierte und er Dinge erfand, die der Islam nicht kennt, wie das Konstrukt von der „Seelenlosigkeit“ der Frau, dann wäre immer noch das zu berücksichtigen, was Wolf-Dieter Bach schon 1981 in seinem luziden Aufsatz „Mit Mohammed an May vorbei“ konstatierte: Literatur hält sich eben „nur selten peinlich genau an die Vorlagen dieser Welt … – eine Binsenweisheit, kein Blatt Papier wert“.


Auch die permanenten Vergleiche zwischen der christlichen und islamischen Welt sind kaum einmal Mittel zum Zweck, mit europäischer Dünkelhaftigkeit auf die von Mohammed gestiftete Religion herabzusehen, wie die kritischen Exegeten behaupten. Vielmehr verweist Karl May wiederholt darauf, daß es ja gar nicht der Islam an sich sei, der die kulturelle und wirtschaftliche Rückständigkeit in seinem Verbreitungsgebiet verursache, sondern die Macht, die er manchen ungeeigneten Personen verleihe.


Die Probleme der Muslime erklärt der Autor also mit den bestehenden politischen Strukturen, statt sie auf die religiösen Vorgaben von Allah und dessen Propheten zurückzuführen, denen er letztlich sogar eine tiefe Weisheit zuschreibt. Insofern traf es tatsächlich zu, was May in seiner Autobiographie „Mein Leben und Streben“ von 1910 auf die Unterstellungen, er würde als fanatischer Propagandist des Katholizismus auftreten, entgegnete: „Der Vorwurf, daß ich islamitisiere, erscheint viel berechtigter als der, daß ich katholisiere.“





Weiterführende Infos: Karl-May-Museum, Karl-May-Str. 5, 01445 Radebeul bei Dresden. Ab März täglich geöffnet von 9 bis 18 Uhr. Der Eintritt kostet 8 Euro (ermäßigt 6 Euro). Telefon: 03 51 / 8 37 30 10
 www.karl-may-museum.de
 www.karl-may-gesellschaft.de


Foto: In den Schluchten des Balkan, Illustration von Peter Schnorr:  Kara Ben Nemsi auf dem Rappen Rih