© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/17 / 24. Februar 2017

Er kommt aus anderen Zeiten
Bildungsbürger: Zum 75. Geburtstag des Publizisten Konrad Adam
Eberhard Straub


Bildung ist längst auf den Erwerb von Kompetenzen und Funktionstüchtigkeiten reduziert worden, die dazu verhelfen sollen, sich in der Gruppe der Besserverdienenden erfolgreich zu behaupten oder in diese neue Elite aufzusteigen. Einem Bildungsbürger wie Konrad Adam, vor 75 Jahren am 1. März 1942 geboren, konnte diese Entwicklung nichts Gutes für Staat und Gesellschaft verheißen. In verschiedenen Buchessays, vor allem als Redakteur im Feuilleton der FAZ von 1979 bis 2000 versuchte er temperamentvoll den Triumph des hemmungslosen Banausentums wenigstens aufzuhalten, was ihm zahllose kluge Köpfe dankten, an die sich einst diese  Zeitung wandte. Das ist ihm nicht gelungen.


Dennoch scheiterte der promovierte Altphilologe keinesfalls. Er kann sich selbstbewußt auf den Vers aus Lucans „Bürgerkrieg“ berufen: Victrix causa diis placuit, sed victa Catoni. Die siegreiche Sache gefällt den Göttern, die besiegte dem Cato, dem feinsinnigen Römer und letzten Republikaner, dem Gegner Cäsars. Die Rolle der erledigten Götter übernehmen heute Minister, Parteipolitiker, Verbandsvorsitzende, Manager und Kulturwarte aller Art. Mit denen nicht einer Meinung zu sein, macht keinen zum Don Quijote, der eingebildete Gefahren bekämpft. Denn die redensartlich oft beschworene Zivilgesellschaft ist auf cives, auf gebildete Bürger und Staatsbürger, angewiesen. Das wußten die Römer, und vor ihnen die Athener, die mit ihrer Paideia, ihrer Bildungsidee, politische Bildung beabsichtigten, also jeden Bürger zu befähigen, im öffentlichen Leben tätig zu werden.


Aus dem Staatsbürger ist ein Kunde geworden


Das war auch das Ziel deutscher akademischer Bildung, woran Konrad Adam beharrlich erinnerte. Sie sollte zur inneren Freiheit erziehen, um in Staat und Gesellschaft als freier Geist tätig zu werden und eine cultura civilis vitae zu ermöglichen, was heute mit Zivilgesellschaft ungeschickt übersetzt wird. Denn diese erschöpft sich in Mechanismen, die eine Konsensdemokratie davor bewahren sollen, gestört zu werden durch Belästigungen, die sich aus Meinungsverschiedenheiten und kontroverser Diskussion ergeben. Ausgerechnet bekennende Zivilgesellschaftler, die dauernd davon reden, miteinander reden zu müssen und aufeinander zuzugehen, scheuen, wie Adam immer wieder beobachtete, das Gespräch, die Kommunikation. Sie suchen den anderen im Gleichen, im Gleichgesinnten und lieben daher das erweiterte Selbstgespräch.


Die bürgerliche Klasse war eine diskutierende. Der Bürger und Staatsbürger ist allerdings verschwunden, wie Konrad Adam schon im vergangenen Jahrhundert konstatierte. Aus ihm ist ein Kunde geworden. Er wartet auf Dienstleistungen von der Deutschland AG. Ungeduldig wird er nur, wenn er als Kunde in seinen Ansprüchen gekränkt über mangelnde Aufmerksamkeit klagen muß, der sich Parlamentarier sofort annehmen, um als Kundendienst zu bestätigen, wie nahe sie an den Sorgen dran sind, die „Menschen in diesem Land“ verständlicherweise beunruhigen. Der Kunde ist auch Mensch geworden.


Das alles hat mit politischer Bildung und Menschenbildung gar nichts zu tun. Beider Verfall hängt miteinander zusammen in der vollständigen Kapitulation vor dem ökonomischen Denken und dessen Werten: dauerndes Wachstum, Handelsfreiheit und grenzenloser Wettbewerb. Politischer Wettbewerb kann unter solchen Voraussetzungen nur schaden, weil er  dem Standort Deutschland und Arbeitsplätze in ihm gefährdet. Es fiel Konrad Adam nie schwer, die Satire darauf zu schreiben. Umfassende politische und allgemeine Bildung verführt zu Unübersichtlichkeiten, vor denen Menschen im Geltungsbereich des Grundgesetzes unbedingt geschützt werden müssen, damit sie sich nicht verirren. Die Klassiker des politischen Denkens – Griechen und Römer und von ihnen abhängige spätere Legisten oder  Humanisten in Europa – sind nur noch Spezialisten vertraut.


Dabei sind deren Ratschläge immer noch bedenkenswert, woran Konrad Adam festhielt, weil im Reich des Politischen gar nicht so viel Neues entdeckt werden kann. Es ist allemal anregender, Machiavelli, Hobbes oder Rousseau zu lesen – darin ließ er sich nicht beirren –, als sich mit dem heute schon vergessenen Dahrendorf oder weiterhin mit Habermas zu beschäftigen, der doch nur noch ein Name ist, ein Name ohne Schall und Rauch. Manche halten ja sogar Norbert Lammert für einen nachdenklichen Mann. Die Nachdenklichkeit ersetzt mittlerweile das Denken. In solchen Zeiten wird der bloße Hinweis auf Denker schon zur groben Gedankenlosigkeit. Konrad Adam entlarvt sich damit eben dauernd als Konservativer! Wie sympathisch wäre er, wenn er Bachs Matthäuspassion mit mehr Ironie, die ihm doch nicht fremd ist, hörte, sich an die beste aller Welten gewöhnte, in der jeder Spaß haben kann, der gern ein Spaßvogel ist und nicht als Kulturkritiker, ja als Kulturpessimist und Spielverderber den Leuten die guten Laune verdirbt.


Ein großer Humanist, klassisch gebildeter Europäer und deutscher Dichter wie Franz Grillparzer antwortete auf ähnliche Vorwürfe 1859: „Ich komme aus anderen Zeiten / Und hoffe in andere zu gehen“. Konrad Adam kommt als Bildungsbürger aus noch bürgerlichen  Zeiten. Die Bürger waren die diskutierende Klasse. Adam, ein polemisches Talent, sucht das Gespräch, die Diskussion, auch die Kontroverse, wie klassische Liberale im 19. Jahrhundert, die klassisch gebildet waren. Der arme Konrad Adam muß sich allmählich in ganz neuen Zeiten verständlich machen, die völlig unberührt sind von der die Europäer bis in seine Jugend bildenden Latinität, Humanität und Liberalität. Diese innerweltliche Trinität bot einen gewissen Schutz vor der aggressiven Banalität einer Wertegemeinschaft, die in  Konkurrenz und im alleinseligmachenden Gewinnstreben ihre Heilsökonomie feiert. Durch viele historische Erfahrungen ernüchterte Wiener wissen darauf immerhin einen klassischen Trost: auch das kommt wieder ab.




Konrad Adam:  In Wuppertal 1942 zur Welt gekommen, studierte Konrad Adam Klassische Philologie, Geschichte und Rechtswissenschaft in Tübingen, München und Kiel. 1971 wurde er mit einer Arbeit „Zur poetischen und rhetorischen Theorie über Aufgaben und Wirkung der Literatur“ zum Dr. phil. promoviert. Er arbeitete zunächst als Redakteur bei der Deutschen Presse-Agentur. Von 1979 bis 2000 gehörte er der Feuilletonredaktion der FAZ an, danach war er bis 2007 Chefkorrespondent der Welt in Berlin. 2013 wurde er einer der drei Gründungssprecher der Alternative für Deutschland (AfD). Heute ist er Vorsitzender der parteinahen Desiderius-Erasmus-Stiftung und schreibt weiter als freier Autor für verschiedene Zeitungen, auch für die JUNGE FREIHEIT.


Konrad Adam veröffentlichte mehrere Bücher, darunter „Die Ohnmacht der Macht. Wie man den Staat ausbeutet, betrügt und verspielt“ (2001), „Die deutsche Bildungsmisere. Pisa und die Folgen“ (2002), „Die alten Griechen“ (2006). Zuletzt erschien von ihm „Kampf gegen die Natur. Der gefährliche Irrweg der Wissenschaft“ (2012).