© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/17 / 24. Februar 2017

Die politische Klasse als Handlanger der Hochfinanz
Zwischenrufe eines Klassenkämpfers: Eine neofeudale Geldelite treibt die Demokratien in eine regelrechte Abwärtsspirale
Oliver Busch


Martin Schulz, der Mann der Bundeskanzler werden will, trifft mit seiner Losung „Zeit für Gerechtigkeit“ offenbar einen Nerv. Schulz scheint damit der einstigen Partei der kleinen Leute einen neuen Existenznachweis verschafft zu haben. Und seine ad hoc wirkende stimmungsaufhellende Frischzellenkur schlägt sich augenblicklich sogar in steigenden Zustimmungswerten nieder.


Aus der Sicht des links-grünen Tagesspiegel-Journalisten Harald Schumann, der 1986 als Wirtschaftsredakteur beim Spiegel anfing und der sich bereits in den frühen neunziger Jahren in der ersten Reihe deutscher Globalisierungskritiker plazierte, präsentiert sich Schulz hingegen wie Angela Merkel als Inkarnation einer politischen Klasse, die sich als Dienstleister des großen Geldes versteht, die, von der CSU über die Grünen bis zu den SED-Nachfolgern, „nicht mehr konfliktfähig gegenüber dem Kapital ist“. Deren Personal, einig im „Verrat an der Demokratie“, vermag laut Schumann sich das Allgemeinwohl nicht einmal mehr vorzustellen.
Die EU als tragende Säule der „globalen Oligarchie“


Von Martin Schulz ist in Schumanns Aufsatz über „Die Herrschaft der Superreichen“, der Wochen vor der Nominierung des ehemaligen Präsidenten des EU-Parlaments erschien (Blätter für deutsche und internationale Politik, 12/2016), natürlich noch nicht die Rede. Um so mehr aber von Schulz’ Betätigungsfeld, das er 23 Jahre lang bespielte und wo er nie als Sandkorn im Getriebe auffiel: der EU. Sie ist eine tragende Säule im Gebäude der „globalen Oligarchie“, jener 62 reichsten Erdenbürger, die ihr Finanzvermögen von 1,76 Billionen Dollar in politische Macht transformieren, um eine welthistorisch singuläre Ungleichverteilung von Lebenschancen aufrechtzuerhalten.
„Zeit für Gerechtigkeit“ ist in diesem System bestenfalls als Wahlkampfphrase akzeptiert. In der Lenkung der öffentlichen Meinung zwecks Aufrechterhaltung der „kulturellen Hegemonie des Neoliberalismus“, in der Entfesselung „einzigartiger Lobbypower“, hätten es die Finanzoligarchen und ihre Verwalter, Bank- und Fondsmanager, ohnehin zu beneidenswerter Präzision gebracht. 120 Millionen Euro jährlich spendiere die Finanzindustrie, um allein in Brüssel 1.700 Lobbyisten zu bezahlen, vier für jeden EU-Beamten, der mit Gesetzen befaßt ist, die den Herren des Geldes eventuell gefährlich werden könnten. Eine Investition, die sich lohnt, um Sand ins Getriebe zu schütten, Reformen zu ersticken, zu verwässern, auszubremsen.


Ähnlich funktionierte in Deutschland „die bestkonzentrierte PR- und Lobbykampagne aller Zeiten“. Sie startete 2002, und führte, nach einer Lawine von Veranstaltungen, die ein wirtschaftsfreundliches, Parlamentarier beeindruckendes gesellschaftliches Klima generierten, mittels Sponsoring von Universitäten und „Medienpartnern“ wie Welt und Süddeutsche Zeitung, endlich 2009 zum gewünschten Erfolg: der faktischen Abschaffung der Erbschaftssteuer für Familienunternehmen – durch den sozialdemokratischen Finanzminister Peer Steinbrück.


Natürlich gebe es auch diskretere Wege, etwa durch Goldman-Sachs-Anwälte dem damaligen EU-Präsidenten und heutigen Angestellten der New Yorker Investmentbanker, José Manuel Barroso, „auf vertraulicher Basis“ Vorschläge für konzernfreundliche Gesetzesänderungen zu unterbreiten. Der Manipulation der Politik durch die neofeudale Geldelite sind jedenfalls keine Grenzen gesetzt, und „die Wirtschaftsmächtigen treiben die Demokratien in eine regelrechte Abwärtsspirale“.


Aufhalter, die eine „Kehrtwende vor dem Abgrund“ erzwängen, sind für Schumann schwer auszumachen. Mit Europas „populistischen“ Bewegungen, „Neonationalisten und Rassisten“, kommt für ihn die Gegenwehr aus der falschen Richtung. Hoffnung weckt daher wie üblich „die Zivilgesellschaft“, die mit ihrem Widerstand gegen das Freihandelsabkommen TTIP angeblich ein so „mächtiges Lebenszeichen der Demokratie“ setzte, wie man es seit den Hochzeiten der Friedensbewegung vor fast vierzig Jahren nicht mehr gesehen habe.


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