© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/17 / 24. Februar 2017

Man kann, wenn man will
Einsichten israelischer Geheimdienstchefs bei der Terrorabwehr: Auf Messers Schneide zwischen Moral und Effektivität
Jürgen W. Schmidt


Nachdem die Deutschen begriffen haben, daß der Islam zu Deutschland gehört, sind sie jetzt langsam dabei, sich daran zu gewöhnen, daß nun auch der Terror zu Deutschland gehört. Mit dem islamischen Terror muß Israel schon seit Jahrzehnten leben. Doch israelische Geheimdienste haben gelernt, diesen Terror in höchst effektiver Weise zu bekämpfen.


Allein in den Jahren 2000 bis 2008, neuere Zahlen sind leider nicht verfügbar, tötete man bei 234 „gezielten Tötungen“ 387 arabische Extremisten. Bei der Terrorabwehr haben israelische Sicherheitsorgane zuvörderst gelernt, daß man zwar Terror nicht hundertprozentig verhindern, doch höchst wirkungsvoll auf einem relativ niedrigen Level halten kann. Die Gewinnung exakter Informationen über reale und potentielle Terroristen gehört dabei zu den unverzichtbaren Standardtätigkeiten israelischer Geheimdienste. Das ist übrigens genau das, was europäischen Geheimdiensten wie etwa dem unter parlamentarischer Kontrolle stehenden Verfassungsschutz unter Berufung auf den „Datenschutz“ zunehmend unmöglich gemacht wird.


„Vergiß die Moral, wenn du den Terror bekämpfst!“


Zudem besteht die praktische Terrorabwehr in Israel aus einer recht wirksamen Mischung offensiver und defensiver Maßnahmen. Indem der Terrorszene durch die stete Liquidierung ihrer aktivsten sowie technisch und organisatorisch begabtesten Kräfte beständig das Know-how entzogen wird, behindern Kontrollpunkte, Razzien und ein zielstrebiges Profiling die Terroristen und lassen sie nie so richtig zur Ruhe kommen.


Dem israelischen Dokumentarfilmproduzenten Dror Moreh ist das Kunststück gelungen, sechs ehemalige bzw. aktive Chefs der israelischen Geheimpolizei Schin Bet zu ihren persönlichen Erfahrungen aus der Geheimdiensttätigkeit zu befragen, und alle Befragten haben erstaunlich offen auf seine bohrenden Fragen geantwortet. Aus den Interviews geht hervor, daß alle Geheimpolizisten sich der Verantwortung für die Sicherheit der Bürger ihres Staates Israel sehr bewußt sind.


Die größte Bedrohung für die innere Sicherheit des Staates geht seit Jahrzehnten vom islamischen Terrorismus aus. Es wäre hierbei allerdings zu kurz gegriffen, die Ursachen jenes Terrorismus allein im Palästinenserproblem zu verorten. Auch ägyptische, irakische, syrische und andere arabische Geheimdienste mischten hierbei – die Interviews fanden in den Jahren 2009 und 2010 statt – kräftig mit. Religiöse Dschihad-Terrororganisationen sind dabei gemäß israelischen Erfahrungen weitaus schwerer zu infiltrieren als politische Terrororganisationen vom Typ der „Fatah“. Geheimdienstarbeit bedeutet für israelische Terrorbekämpfer, wie es Ex-Schin-Bet-Chef Avraham Schalom sehr deutlich anspricht, immer ein Balancieren auf des Messers Schneide.


Denn so gern die israelische Politik ein hartes Durchgreifen gegen arabische Terroristen sieht: Greifen einmal israelische Bürgerrechtler oder ausländische Menschenrechtsorganisationen Fälle von gezielter Tötung und Folter bei Verhören auf, dann stehen israelische Geheimdienstler schnell einmal im Regen und werden zu Bauernopfern.


Apropos Folter: Sollte einmal die Zeit knapp werden und Menschenopfer drohen, dann wird im Schin Bet schon einmal zu „Ohrfeigen“ und anderen Formen physischer Einwirkung auf verhaftete Terroristen gegriffen. Ex-Schin-Bet-Chef Jaakov Peri glaubte allerdings, im Interview angeben zu müssen, daß man im Schin Bet die Araber immer noch besser behandele als bei den Geheimdiensten der israelischen Streitkräfte. Das melancholische Resümee von Avraham Schalom bezüglich seiner dienstlichen Erfahrungen als oberster israelischer Terrorbekämpfer lautete: „Vergiß die Moral, wenn du den Terror bekämpfst!“ Vielleicht sollten wir in Deutschland auch diese israelischen Erfahrungen berücksichtigen.

Dror Moreh: The Gatekeepers. Aus dem Inneren des israelischen Geheimdienstes. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016, gebunden, 480 Seiten 22,99 Euro