© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/17 / 24. Februar 2017

Der Flaneur
Nicht mein Wohnzimmer!
Sebastian Hennig


Im Inneren des Cafés schlängeln sich Kellnerinnen zwischen den Tischen hindurch, die in Aufputz und Attitüde den lasziven Damen auf den Lichtbildern des Helmut Neustädter alias Newton ähneln. Die nahe gelegenen Filmstudios mögen ihre Hoffnungen nähren, einem Agenten als fotogen aufzufallen. Die Kundschaft könnte en passant davon profitieren, indem sie zum Frühstück noch den Augenschmaus serviert bekommt.


Leider dominiert neben der Domina-Bedienung auch sonst die Show über den Inhalt. Aus dem einstmals charmanten Ort ist ein unerträglich versnobtes Lokal geworden. Goldene Schrift mit dem Namen des Kaffeehauses auf Schwarzglas wird überlappt von venezianisch roten Markisen mit der Devise „Das Wohnzimmer der Stadt“. Früher war es wohl so, inzwischen ist es weit wahrscheinlicher, daß ein geselliger Einwohner sein Wohnzimmer oder auch seine Küche zum Kaffeehaus der Stadt macht.


Der Herr am Nachbartisch doziert die ganze Zeit seiner Gattin mit quärrender Stimme.


Es gibt nicht den Hauch einer Aura mehr. Umgeben finde ich mich von „Oha“- und „Okay?“-Typen, die manchmal auch „Yep“ sagen und mit alledem nichts gemeint haben wollen. Ich jedenfalls will mit denen nichts gemein haben. Zu meinem Wohnzimmer bekämen sie keinen Zutritt.


Dafür ist das Ei gerade richtig, wenn auch der Kaffee recht matt bleibt. Aus dem Werk einer berühmten Keramikerin fließt davon immerhin viel mehr in die Tasse, als zu vermuten war. Doch das schicke Ding kleckert, ist eher eine Skulptur und weniger zum Ausgießen geeignet. Die Butter wird streng rationiert, die böse, böse Butter.


Der Herr am Nachbartisch doziert die ganze Zeit seiner Gattin mit quärrender Stimme. Dann erhebt er sich mit der Bemerkung, er würde sich seine Nase pudern gehen. Das glaube ich ihm aufs Wort. Er tut’s wohl mit dem Klammerbeutel. Wie ich auf die Straße trete, um den Freund zu erwarten, verläßt ein weiterer Rollkoffer das Lokal. Er schiebt einen Typen im Mantel vor sich her, der so tut, als würde er ihn ziehen.