© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/17 / 03. März 2017

Die Stille nach dem Warnschuß
AfD: Die Umfragewerte der Partei sinken / Gemeinsame Erklärung der Landesverbände appelliert an die Einigkeit in den eigenen Reihen
michael paulwitz / Christian Vollradt

Wird nun alles gut, kehrt endlich der Frieden ein in der AfD? Hatte die Partei jüngst fast ausschließlich mit internen Flügelkämpfen und Querelen im Bundesvorstand von sich reden gemacht, erreichte die Mitglieder am Sonntag ein angesichts dessen eher unerwartetes Rundschreiben: „Wir, die Landesvorsitzenden bzw. Landessprecher, rufen alle Mitstreiter dazu auf, den Blick nunmehr nach vorne zu richten, im gemeinsamen Kampf gegen die Altparteien die Reihen zu schließen, in den Veranstaltungen klare Kante zu zeigen, an Infoständen den Dialog mit den Wählern entschlossen zu führen und auf Demonstrationen und Kundgebungen Einigkeit und Stärke zu zeigen.“

Unterzeichnet haben das Schreiben tatsächlich alle AfD-Länderchefs – mögen sie sich auch noch so unversöhnlich als Antipoden gegenüberstehen. So fehlt weder Sachsens Landesvorsitzende (und Bundessprecherin) Frauke Petry noch ihr Gegenspieler Alexander Gauland aus Brandenburg, noch Björn Höcke. Der wurde zwar im Aufruf zur Geschlossenheit nicht namentlich, aber doch indirekt erwähnt: Die „letzten Wochen waren innerparteilich von scharfen Diskussionen um die Ausrichtung der Partei und um einzelne Personen geprägt“, heißt es dort. 

Damit habe man sich von der „eigentlichen historischen Aufgabe, dem politischen Gegner entschlossen und gemeinsam die Stirn zu bieten und glaubwürdige Politik für unser Vaterland zu gestalten, ein Stück entfernt.“ Doch nun seien alle „aktuellen Personaldiskussionen in die Hände der Schiedsgerichte gelegt.“ Daß einige der Mitunterzeichner zumindest den Fall Höcke dort allerdings in der vergangenen Woche gerade nicht haben wollten – geschenkt. 

Daß mit diesem Schreiben die Konflikte tatsächlich begraben sind, halten Beobachter eher für unwahrscheinlich. Sicherlich haben die zuletzt gesunkenen Umfragewerte der AfD sowie der momentane Aufwind für die SPD die Spitzen der Partei aufgerüttelt und einen Burgfrieden überhaupt erst ermöglicht. Versöhnung aus Verzweiflung? 

Die Friedenspfeife für die Öffentlichkeit hatten am Wochenende auch die beiden Sprecher der nordrhein-westfälischen AfD, Marcus Pretzell und Martin Renner, geraucht. Letzterer ist nun Spitzenkandidat seines Landesverbands für den Bundestag. Daß Renner auf Platz 1 steht, ist bei Licht betrachtet eigentlich der Deal, den die beiden Männer an der Spitze der AfD im bevölkerungsreichsten Bundesland zuvor ausgemacht hatten: Pretzell führt die Liste in den Landtag, sein gleichberechtigter Co-Sprecher Renner die für den Bundestag. Jeder sollte sein Revier bekommen, der eine Düsseldorf, der andere Berlin. 

Vor gut einem Monat war davon jedoch nicht mehr viel übrig. Pretzell und seine Gefolgsleute hatten versucht, Renner abzuwählen – erfolglos. Zwar stimmte eine Mehrheit gegen den Parteirechten, doch es war keine qualifizierte Mehrheit. Am Wochenende konnte sich Renner dann im zweiten Wahlgang knapp gegen seinen von den Anhängern Pretzells favorisierten Mitbewerber Kay Gottschalk durchsetzen. „Was gewesen ist, ist gewesen“, kommentierte Pressesprecher Michael Schwarzer gegenüber der JUNGEN FREIHEIT die Entwicklung. Sicherlich seien in der Vergangenheit die Wogen hochgeschlagen. „Aber Marcus Pretzell ist Realpolitiker, und Realpolitik bedeutet, sich den Abstimmungsergebnissen zu beugen.“

Nun sehe man im Vorstand nach vorne, ohnehin bestünden zu 95 Prozent Gemeinsamkeiten. Es gebe allen Grund, so Schwarzer, anzunehmen, daß die von Pretzell und Renner anschließend zelebrierte Versöhnung ernst gemeint sei. Schließlich habe man ja auch eine Verantwortung dem Land gegenüber. 

„Einigkeit, Geschlossenheit, Disziplin“ als Botschaft

Mit Spannung wird unterdessen erwartet, wie sich am Wochenende die AfD im Flächenland Baden-Württemberg, wo sie bei der Landtagswahl 2016 ein Fünfzehn-Prozent-Ergebnis einfuhr, personell neu aufstellen wird. Landtagsfraktionschef und Co-Bundessprecher Jörg Meuthen hat das Landessprecheramt bereits im vergangenen Herbst nach der Spaltung und Wiedervereinigung der Landtagsfraktion niedergelegt. Fraktionskollege Bernd Grimmer, der in Pforzheim das Direktmandat gewann, tritt als Landessprecher nicht mehr an, ebenso der Stuttgarter Stadtrat Lothar Maier, der auf Platz zwei der Landesliste für den Bundestag kandidiert.

Wie das Bewerberfeld genau aussehen wird, ist auch in der Woche vor dem Parteitag in Sulz am Neckar noch offen. Die naheliegendste Wahl wäre Bundestags-Spitzenkandidatin Alice Weidel; üblicherweise sind die Spitzenleute der Landeslisten zugleich Landessprecher. Die als Bundesvorstandsmitglied gut vernetzte Wirtschaftswissenschaftlerin und Unternehmerin vom Bodensee gilt als Idealbesetzung, um die liberal-konservative Wählerschaft im Südwesten anzusprechen.

Der bisherige Landesvize und „Parteiphilosoph“ Marc Jongen hat seine Kandidatur erklärt; er will in einer Doppel- oder Dreier-Spitze dazu beitragen, aus den „persönlichen Machtkämpfen“ herauszufinden. Landespressesprecher Markus Frohnmaier rechnet mit einer „guten Truppe“.

„Einigkeit, Geschlossenheit, Disziplin“ müsse die Botschaft sein, die von dem Parteitag in Sulz ausgehe, erklärt Alice Weidel im Gespräch mit der jungen freiheit. Dazu gehöre auch die Bereitschaft, Gremienbeschlüsse zu akzeptieren und den Fokus vollständig auf den bevorstehenden Wahlkampf zu richten – ganz im Sinne der „Gemeinsamen Erklärung“ der Landesvorsitzenden.

Geschlossenheit hat gerade die AfD in Baden-Württemberg bitter nötig. Ihre Landtagsfraktion, angetreten als stärkste Oppositionskraft im Landesparlament, kommt auch Monate nach ihrer „Wiedervereinigung“ nicht zur Ruhe. Ins Visier geraten ist der Stuttgarter Onkologe Heinrich Fiechtner, der im Streit um das antisemitismusverdächtige Ex-Fraktionsmitglied Wolfgang Gedeon den harten Abgrenzungskurs von Fraktionschef Meuthen vehement unterstützt hatte.

Inzwischen ist das Verhältnis zwischen den einstigen Mitstreitern gründlich zerrüttet. Anfang Februar wurde Fiecht-ner abgemahnt, aus allen Ausschüssen abgezogen und mit Redeverbot für die Fraktion belegt, weil er sich in der Debatte um die Einführung einer „Gesundheitskarte“ für Asylbewerber einem aus seiner Sicht fachlich falschen Fraktionsbeschluß widersetzt hatte. Nach einer lautstarken Auseinandersetzung wurde Fiechtner zuletzt auf Antrag Meuthens aus der Fraktionssitzung geworfen und für zwei Monate von der Teilnahme ausgeschlossen. 

Mit den wiederholten Eskapaden des Abgeordneten Stefan Räpple springt die Fraktion, in der mehr und mehr Vizesprecher Emil Sänze den Ton angibt, dagegen auffallend milde um. Daß er die Präambel der Fraktionssatzung mit einem klaren Bekenntnis gegen Antisemitismus bis heute nicht unterzeichnet hat, blieb folgenlos.

Fiechtner pocht nun auf Klärung durch den Bundesvorstand. Anders als Alice Weidel hatte Jörg Meuthen im Bundesvorstand auch nicht für das Parteiausschlußverfahren gegen Björn Höcke gestimmt. In dem Landtags-Fraktionssprecher, der lange ebenfalls als Verfechter einer liberal-konservativen Linie gegolten hatte, dürfte die Bundestags-Spitzenkandidatin eher keinen Verbündeten haben.

Auch in Berlin wird am Wochenende über die Landesliste für den Bundestag entschieden. Dort hatte sich vergangene Woche Landessprecher Georg Pazderski in einem Schreiben an die Mitglieder gewandt und überraschend seinen Verzicht auf eine Bewerbung mitgeteilt: „Ich bin nach gründlicher Abwägung zu dem Schluß gekommen, daß mein Platz an der Spitze des Landesverbandes und an der Spitze der Fraktion im Abgeordnetenhaus ist. Diese beiden Aufgaben sind für die Berliner AfD ebenso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger als ein Bundestagsmandat.“ Er habe sich daher entschieden, für das Direktmandat in Pankow zu kandidieren, „weil ich den Parteifreunden diese Zusage gemacht habe, aber mich nicht auf der Landesliste ‘absichern’ zu lassen.“ Wie kam es zu dieser Entscheidung? Im Umfeld der Partei ist zu hören, daß ein rascher Wechsel Pazderskis vom Abgeordnetenhaus in den Bundestag nicht gut angekommen wäre. Andere spekulieren, der Fraktionschef wolle nicht das Risiko eingehen, mit einem möglicherweise schlechten Abschneiden am Wochenende sein Vorsitzamt zu beschädigen. Um die Position der Spitzenkandidatin wird sich unterdessen die Berliner Co-Sprecherin Beatrix von Storch bewerben, der eine treue Anhängerschaft und dementsprechend auch gute Chancen zugerechnet werden. Ebenfalls in den Ring wirft seinen Hut der Publizist und Promi-Neuzugang Nicolaus Fest. ?

In Hessen dagegen, wo am 18. und 19. März ein Parteitag stattfindet, gehen Gerüchte um, die zerstrittenen Lager um Landessprecher Albrecht Glaser einerseits und Landessprecher Peter Münch andererseits wollten Protagonisten der jeweils anderen Seite von der bereits beschlossenen Liste (JF 46/16) herunterbekommen. So gebe es, erfuhr die JUNGE FREIHEIT aus Parteikreisen, Bestrebungen aus dem Umfeld Münchs, die Kandidatur des Gießener Kreisvorsitzenden Uwe Schulz zu verhindern, während im Lager Glasers starke Vorbehalte gegen den Listen-Zweiten Münch vorgebracht werden. 

Sachsen müssen erneut    über Liste abstimmen

??Auch in Niedersachsen stehen die Zeichen nicht auf Entspannung. Dort findet ein Landesparteitag – mit Neuwahl des Vorstands – am 25./26. März statt. Ob jemand aus den Reihen der innerparteilichen Opposition gegen den Landesvorsitzenden Armin-Paul Hampel antreten wird, steht noch nicht fest. Gerüchte besagen, es könnte ein noch nicht „verbrannter“ Import von außerhalb sein. Vom Tisch ist auch die Anfechtung der Listenaufstellungsversammlung noch nicht. Hampels Kritiker werfen ihm vor, landespolitisch nichts auf die Reihe bekommen und Kreisverbände kommunalpolitisch im Stich gelassen zu haben. Die Zustände im Land wurden nach Informationen der jungen freiheit sogar in der Telefonkonferenz des Bundesvorstands am Montag angesprochen. 

Der sächsische Landesverband wiederum muß „nach Klärung der rechtlichen Fragen und Rücksprache mit dem Landeswahlleiter“ auf seinem Landesparteitag Ende März und Anfang April nochmals über die bereits im Januar gewählte Teilliste entscheiden. Auch hier wird immer wieder das Gerücht gestreut, die Liste – mit Petry auf Platz 1 und dem als Höcke-Vertrauter geltenden Jens Maier an zweiter Stelle – könnte nochmals „aufgemacht“ und die Plätze neu vergeben werden. 

Der nahende Wahlkampf mag auf manche Streithähne tatsächlich disziplinierend wirken. An ein endgültiges Ende der Querelen glaubt indes niemand so richtig.