© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/17 / 03. März 2017

Schneller, härter, schärfer?
Aufenthaltsrecht: Vor allem Gefährder sollen künftig leichter abgeschoben werden können / Zweifel an der praktischen Durchsetzbarkeit
Heiko Urbanzyk

Das Bundeskabinett hat jüngst Verschärfungen im Ausländer- und Asylrecht beschlossen. „Aufenthaltsrechtliche Regelungen wären sinnlos, wenn sie am Ende keine tatsächlichen Konsequenzen hätten“, heißt es dazu in einer Mitteilung des Bundesinnenministeriums. 

Die Organisation Pro Asyl wittert eine „Brutalisierung der Abschiebepraxis“ und warnt vor dem „gläsernen Flüchtling“. Deutschland werde vom Aufnahmeland zum Abschiebeland umgebaut, sagte Günter Burkhardt, der Geschäftsführer von Pro Asyl. Kommen jetzt in Deutschland die Massenverhaftungen von Ausländern? Vor allem sogenannte Gefährder sollen einfacher und länger in Abschiebehaft genommen werden können; wird Deutschland sie nicht los, sollen sie mit Fußfesseln und räumlichen Beschränkungen besser überwacht werden können, so lauten die Pläne der Regierung. 

Islamist seit sieben Jahren ausreisepflichtig

Zum Herzstück des Gesetzesentwurfs gehören die Änderung des Paragraphen 56 des Aufenthaltsgesetzes zur „Überwachung ausgewiesener Ausländer aus Gründen der inneren Sicherheit“ sowie der neu vorgeschlagene Paragraph 56a zur „elektronischen Aufenthaltsüberwachung“. Hier verankert die Bundesregierung die strengeren Meldepflichten sowie die sogenannte elektronische Fußfessel. Letzteres liest sich im Kabinettsentwurf so, daß ein ausreisepflichtiger Gefährder aufgrund richterlicher Anordnung verpflichtet werden kann, „die für eine elektronische Überwachung seines Aufenthaltsortes erforderlichen technischen Mittel ständig in betriebsbereitem Zustand am Körper bei sich zu führen und deren Funktionsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen“. Nicht zu verwechseln ist diese Fußfesselpflicht mit der für das BKA-Gesetz (BKAG) vorgesehenen Möglichkeit der elektronischen Fußfessel. Die Maßnahme des BKAG kann nämlich Gefährder unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit ins Visier nehmen, während die Maßnahmen nach dem Aufenthaltsgesetz allein ausreispflichtige, gefährliche Ausländer betreffen. Ziel der aufenthaltsrechtlichen Überwachung ist einerseits, das Abtauchen Ausreisepflichtiger zu verhindern. Andererseits ermöglicht das Aufenthaltsgesetz in Paragraph 56 Absatz 4 die Verhängung von Kontaktverboten, beispielsweise zu verfassungsfeindlichen Vereinigungen, deren Unterstützung und Mitgliedschaft überhaupt erst zur Ausreisepflicht geführt haben – die Überwachung solcher Kontaktverbote sollen die Fußfesseln ebenfalls ermöglichen.

Nicht geändert werden soll Paragraph 54 des Aufenthaltsgesetzes, der die Gründe für ein besonders schwerwiegendes sowie ein schwerwiegendes staatliches Interesse an der Ausreise regelt. Sozusagen einer der Paragraphen, die regeln, wer überhaupt warum Deutschland verlassen muß – oder besser: müßte. Hier sind „Haßprediger“, „Terrorverdächtige“ und dergleichen ausreichend erfaßt. 

Allerdings kann „von den circa 500 in Deutschland ausgemachten Gefährdern rund die Hälfte nicht ausgewiesen werden“, erklärte der Kölner Strafrechtsprofessor Michael Kubiciel in der Legal Tribune Online. Viele dieser Gefährder hätten die deutsche Staatsangehörigkeit, bei anderen sei eine Ausweisung aufgrund eines verfestigten Aufenthaltsrechts oder wegen ihrer Staatenlosigkeit kaum möglich. Beispielhaft ist der Fall eines 43jährigen Jordaniers aus Nord-rhein-Westfalen, der seit sieben Jahren „vollziehbar ausreisepflichtig“ ist, aber nicht abgeschoben werden kann, weil Jordanien den Islamisten nicht zurücknehmen möchte und die Ausstellung entsprechender Papiere verweigert. Zudem dürfen sogenannte „faktische Inländer“ bleiben, die nach den Umständen des Einzelfalles hierzulande feste Wurzeln geschlagen haben (JF 51/16).    

Angesichts derartiger faktischer Abschiebungshindernisse – die nach den Gesetzesplänen gerade nicht wegfallen werden – wird zu Recht gefragt, welche Verbesserungen bei der Rückführung von Ausreisepflichtigen die geplanten Regelungen bringen sollen. Wer zum Beispiel vorsätzlich über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht, Abschiebungshindernisse vortäuscht oder nicht in zumutbarer Weise an der Beseitigung von Abschiebungshindernissen mitwirkt, dem soll nach dem neuen Paragraphen 60a ein Widerruf der Duldung nicht mehr angekündigt werden, obwohl die Duldung bereits ein Jahr lang besteht. Für das gleiche Täuschungs- und Blockadehandeln soll künftig mit dem neuen Paragraphen 61 (Absatz 1c Satz 2) eine Meldeauflage im Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde verhängt werden können. 

Keine Ankündigung des Duldungsendes und Einschränkung der legalen Bewegungsfreiheit auf einen bestimmten Behördenbezirk, wenn man den Staat an der Nase herumführt: Das sind bloße Unannehmlichkeiten, die noch nicht garantieren, daß auch nur eine einzige Abschiebung mehr vollzogen wird. Tatsache ist, daß Gefährder vor dem Hintergrund des Grundgesetzes nicht lebenslänglich in Abschiebehaft und Fußfesseln gelegt werden können und Deutschland niemanden zurückschieben kann, der in seiner mutmaßlichen Heimat vor verschlossener Tür steht.

Gegen das geplante Überprüfen von Mobiltelefonen und anderen Datenträgern brachten bereits im Vorfeld Juristen wie der Kölner Strafrechtsexperte und Rechtsanwalt Nikolaos Gazea verfassungsrechtliche Bedenken an. Das zwangsweise Auslesen von Asylbewerbertelefonen verstoße gegen Artikel 10 des Grundgesetzes (Fernmeldegeheimnis) und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. 

Die aktuelle Machtdemonstration der Großen Koalition in Sachen Abschiebung paßt zur Bundestagswahl und Volkstimmung. Sie droht in der jetzigen Form jedoch an faktischen und juristischen Gründen zu scheitern. 

Die bayerische Staatsregierung will unterdessen islamistische Gefährder künftig unbefristet einsperren. Mit dem neuen Anti-Terror-Paket soll die zeitliche Begrenzung für Vorbeugehaft von bisher 14 Tagen entfallen, soweit dies „unerläßlich“ ist, um eine schwere Gefahr für die Allgemeinheit abzuwehren. Wie ein Sprecher des Innenministeriums der JUNGEN FREIHEIT erklärte, dürfe die maximale Haftdauer allerdings ein Jahr nicht übersteigen.