© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/17 / 03. März 2017

Grüße aus Madrid
Südländische Schlitzohren
Michael Ludwig

Wir wußten es insgeheim schon immer: Diesen Südstaaten in der EU ist einfach nicht über den Weg zu trauen. Die Italiener sind schon immer Schlitzohren gewesen, die Spanier sind mit ihrem Stolz auch nicht ohne, die Portugiesen wickeln uns mit ihrem traurigen Fado ein, um uns anschließend um so leichter über den Tisch zu ziehen, und was wir von den Griechen zu halten haben, wissen wir spätestens seit der Eurokrise. 

Jetzt haben sie sich (ohne die Griechen) eine neue Gemeinheit ausgedacht, um sich an den Nordländern für deren wirtschaftliche Übermacht zu rächen. Nach dem angekündigten Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union fordern sie, daß Englisch keinesfalls Amtssprache in Brüssel bleiben darf, sondern durch Latein ersetzt werden muß.

Den Startschuß gab der italienische Professor Nicola Gardini mit seinem Buch „Es lebe das Latein, Geschichte und Schönheit einer nutzlosen Sprache“. Raffiniert ist dabei das Adjektiv nutzlos, das in diesem Zusammenhang gewiß als ironische Wendung gedacht ist. 

EU-Kommissar Günther Oettinger hält eine Rede auf Lateinisch – das wäre nicht ohne Reiz. 

Die spanische Tageszeitung El Pais griff nun die Steilvorlage auf und schildert auf einer ganzen Seite den Vorteil des Lateinischen – die intensive kulturelle Durchdringung halb Europas durch das römische Imperium, die vielen lateinischen Ausdrücke auf den Gebieten des Rechts, der Medizin, der Philosophie, der religiösen Liturgie, der Ingenieurskunst, der Architektur und in der Alltagssprache. 

Dorthin zurückzukehren bedeute „weder einen Rückschritt noch einen extravaganten Anachronismus, sondern eine Rückbesinnung Europas auf die eigene Identität und auf eine Sprache, die seine zivilisatorische Eigenart geprägt hat“, schreibt das Blatt.

Stellen wir uns einmal diese angedachte Wirklichkeit vor: EU-Kommissar Günther Oettinger aus dem Schwabenlande hält vor dem EU-Parlament eine Rede auf Lateinisch – das wäre nicht ohne Reiz. Und vielleicht liegt hier der Grund für das Ausscheiden von Martin Schulz aus dem Brüsseler Politikbetrieb: Er sah das sprachliche Desaster kommen und hatte einfach keine Lust, auf Lateinisch Rede und Antwort stehen zu müssen. 

Wer auch immer als neuer EU-Parlamentspräsident seine Antrittsrede auf Lateinisch halten wird, dem sei ein Satz von Kardinal Richelieu mit auf den Weg gegeben: „An nescis, mi fili, quantilla prudentia mundus regatur?“ Weißt du nicht, mein Sohn, mit wie wenig Verstand die Welt regiert wird?