© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/17 / 03. März 2017

Abgesang auf die deutsche Braunkohle
Energiepolitik: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung fordert einen Fahrplan für den Ausstieg im Lausitzer Revier
Paul Leonhard

Als in Frankreich im Dezember plötzlich wegen „Verschleißerscheinungen“ Atommeiler abgeschalten mußte, wurde die entstandene EU-weite Stromlücke auch mit Braunkohlestrom aus der Lausitz geschlossen. Gleichzeitig nutzten Stromerzeuger und Netzbetreiber den Vorfall, um darauf hinzuweisen, wie risikobehaftet die Stromversorgung auch in Deutschland ist.

Angesichts der Berliner und Brüsseler Klimaschutzziele sind Visionen für die künftige Energieversorgung gefragt. Braunkohle hat sich zu einem Geschäft mit erheblichen Risiken entwickelt. Bisherige Geschäftsmodelle sind politisch unter Druck geraten, die im Energiesektor tätigen Firmen sind verunsichert, wie selbst der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) konstatiert. Für die Stromerzeuger ist unklar, wie sich die Nachfrage entwickeln wird. Auch die Kostenrelationen haben sich in der Energiewirtschaft verändert.

Zum einen seien die überwiegend importierten Primärenergieträger Gas und Steinkohle gegenüber der Braunkohle deutlich teurer geworden, zum anderen sei der EU-Emissionshandel (ETS, JF 23/16) als neuer Kostenblock hinzugekommen, konstatiert Hubertus Bardt in seinem Beitrag „Braunkohle in einem schwierigen Umfeld?“ im Fachblatt Energiewirtschaftliche Tagesfragen. Überdies werde die Braunkohle aufgrund der Kohlendioxid-Emission und der mit ihrer Gewinnung verbundenen Natureingriffe insbesondere aus Umweltsicht heftig kritisiert, „auch wenn die europäische Gesamtmenge der Emissionen im europäischen Emissionshandel festgelegt und damit unabhängig von den Emissionen eines Energieträgers eingehalten wird“.

Die Chancen der Braunkohle am Strommarkt würden sehr unterschiedlich eingeschätzt, schreibt Bardt. Einige Wissenschaftler würden von einer stabilen Nutzung der Braunkohle bis mindestens 2030 ausgehen, andere den Braunkohlekraftwerken eine mangelnde Wirtschaftlichkeit attestieren und auf eine deutlich abnehmende Nutzung über die nächsten Jahre schließen.

Kein Kohlebann in Sachsen und NRW?

Daß die Ablehnung der Kohlenutzung in der Bevölkerung längst nicht so eindeutig ist, wie die Umweltverbände behaupten, hat eine in der Zeitschrift für Umweltpolitik und Umweltrecht veröffentlichte Untersuchung der Universitäten Bochum und Münster ergeben. Diese hatten im Auftrag des Bundesforschungsministeriums deutschlandweit 1.600 Haushalte befragt. Danach sprachen sich in Sachsen nur 36 Prozent gegen Kohle aus, im traditionellen Stein- und Braunkohleland Nordrhein-Westfalen waren es keine 50 Prozent. In den Ländern ohne Kohleförderung lag die Ablehnungsquote bei 62 Prozent.

Vorübergehend hatte der verordnete Ausstieg aus der Atomenergie den Kohlekraftwerken als verbleibenden Stromgrundlastproduzenten sogar neue Marktchancen eröffnet. Allerdings bedeutet die deutsche Energiewende den Abschied von der Braunkohle. Bis 2050 sollen in Deutschland die erneuerbaren Energien einen Anteil von mindestens 80 Prozent erreichen.

Was das für die Braunkohlewirtschaft in Sachsen und Brandenburg sowie im Mitteldeutschen Braunkohlerevier bedeutet, hat jetzt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) untersucht. Nach Ansicht des DIW reichten die genehmigten Tagebaufelder aus, um die Kohleverstromung bis 2030 zu gewährleisten. Pläne für neue beziehungsweise zu erweiternde Tagebaufelder würden sich damit erübrigen. Gleichzeitig fordert die DIW-Studie Planungssicherheit für die Wirtschaft. Die Politik sollte die Genehmigung weiterer Tagebaufelder möglichst zeitnah und verbindlich ausschließen. Handlungsbedarf sehen die Autoren bei der Regierung Brandenburgs. Diese sollte gemeinsam mit Sachsen „einen verläßlichen Fahrplan für einen Kohleausstieg im Lausitzer Revier entwickeln“.

Noch wehrt sich Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke gegen ein festes Datum für den Braunkohle-Ausstieg. Die erneuerbaren Energien Wind und Sonne seien nicht zuverlässig genug, geeignete Speichertechnologien nicht vorhanden, und ohne Braunkohle gebe es noch keine preisgünstige und zuverlässige Versorgung. „Jetzt darüber zu diskutieren, wir müßten in zehn, 20 oder 40 Jahren die Braunkohle abschalten, würde nur dazu führen, daß wir Arbeitsplätze verlieren und Wertschöpfung ins Ausland abfließt“, so der Sozialdemokrat in der Lausitzer Rundschau.

Beschäftigt hat sich das DIW auch mit der Firmenstruktur der tschechischen Industrieholding EPH als Käuferin der deutschen Braunkohlesparte des schwedischen Staatskonzerns Vattenfall (JF 40/16). Den Tschechen wird mangelnde Transparenz bei den Rückstellungen für eine spätere Rekultivierung der Tagebauflächen bescheinigt. Ebenfalls untersucht wurden die Auswirkungen des Kohleaustiegs auf die ohnehin strukturschwache Lausitz. Bund und Länder seien gefordert, „den Beschäftigten eine Perspektive zu geben“.

In der Lausitz wartet man derweil mit Spannung, ob die tschechischen Eigentümer die geplanten Erweiterungstagebaue Jänschwalde-Nord, Nochten II und Welzow-Süd II in Anspruch nehmen und damit 2.600 Menschen umsiedeln müssen oder nicht. Im Frühjahr soll die Entscheidung fallen.

Themenheft „Ostdeutsche Braunkohle“ des DIW Wochenberichts 6-7/17: www.diw.de