© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/17 / 03. März 2017

Haltungsnote
Die „Erlebenden“
Martin Voigt

Die Traumatherapie von Vergewaltigungsopfern könnte sich demnächst ändern, zumindest wenn es nach den taz-Autorinnen Mithu Sanyal und Marie Albrecht geht. Das Duo hat mit dem Vorschlag für Furore gesorgt, den Begriff „Opfer“ bei Vergewaltigungen durch „Erlebende“ zu ersetzen. 

In gendergerechter Sprache schreiben sie: „Durch die Substantivierung ‘Erlebende sexualisierter Gewalt’ kann somit jede*r selbst bestimmen, wie er*sie das Erlebte bewertet.“ Sanyal ist 45 und Autorin des Buchs „Vergewaltigung. Aspekte eines Verbrechens“. 

Marie Albrecht ist 24, studiert Soziale Arbeit und hat über ihre „Erlebnisse“ mit sexualisierter Gewalt gebloggt. Beide sehen einen Perspektivenwechsel vom passiven, wehrlosen Opfer hin zur aktiv Erlebenden als dringend geboten. So könne man der Vergewaltigung die Täter-Opfer-Rollenverteilung nehmen. 

Für die Erlebende – meist sind es Frauen, die eine Vergewaltigung erleben – bleibe somit sprachlicher Raum für Ambivalenzen und eine selbstbestimmte Bewertung ihres Erlebnisses. Um der zuschreibenden Bezeichnung „Opfer“ die Dominanz zu nehmen, setzen sich Sanyal und Albrecht dafür ein, den Begriff „Erlebende“ in den Duden aufzunehmen.