© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/17 / 03. März 2017

Der Flaneur
Roadtrip vegan
Claus-M. Wolfschlag

Kleinstadtlichter glitzern in der Ferne, während wir über die Autobahn gleiten. Das Mädchen mit den Locken tippt mit ihren Fingern auf das Lenkrad und singt leise ein Rocklied mit. Noch eine Stunde, bis wir die Geburtstagsparty eines gemeinsamen Freundes erreichen werden.

Bald reise sie wieder nach L.A., sagt sie. Der Flug sei schon gebucht. „Lufthansa ist zwar 50 Euro teurer, dafür aber servieren sie veganes Essen inklusive.“ Allerdings nichts mit Sojamilch. „Du kannst dir in den Staaten nicht sicher sein, daß die gentechnikfrei ist.“ Sie würde sofort nach Kalifornien auswandern. Das angenehme Klima, die offenen Leute. Außerdem würden sich dort viele Rockmusiker aufhalten. 

Ich erzähle, daß ich schon vegane Bockwürstchen gegessen habe.

Noch zehn Kilometer bis zur Raststätte. Sie berichtet von den Qualen moderner Massentierhaltung und daß sie bereits früh beschlossen habe, auf tierische Produkte zu verzichten. Vielleicht um mich zu rechtfertigen, erzähle ich, daß ich schon vegane Bockwürstchen gegessen habe: „Aus Seitan. Waren gut.“ Sie verzieht die Mundwinkel: „Na ja, ist vielleicht was für Leute, die sich den Fleischkonsum gerade ein wenig abgewöhnen wollen.“ Sie kenne ein Pärchen, das früher Fleisch gegessen und dann von einem auf den anderen Tag beschlossen habe, vegan zu leben: „Das sind Leute, vor denen ich Respekt habe.“

Wir halten an der Raststätte.  „Da ist ja Burger King“, sage ich. Sie schaut streng: „Wenn du dir da etwas holst, könntest du es bitte draußen oder in der Raststätte essen? Ich möchte keinen Fleischgeruch im Auto.“ „Ich hätte ohnehin nicht im Auto gegessen“, antworte ich. Ich entscheide mich doch für die Fischtheke. Ich fühle mich schlecht, während ich auf den panierten Seelachs warte. Unmoralisch. Hormonverseucht. Aus allen Körperporen nach Bratfett riechend. Tausende Küken- und Schweineaugen glotzen mich vorwurfsvoll an. Drüben am Tisch sitzt ungerührt das Mädchen mit den Locken, schaut aus dem Fenster in die Nacht und ißt einen Salat.