© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/17 / 10. März 2017

„Ohne Vorsorge keine Sicherheit“
Unfall, Krankheit, Alter – es kann jeden treffen. Millionen Deutsche haben nicht vorgesorgt und könnten ihr Recht auf Selbstbestimmung verlieren. Damit Ihnen das nicht passiert, raten Lebensschützer wie der Jurist Knut Wiebe, jetzt zu handeln
Moritz Schwarz

Herr Wiebe, ich bin noch jung und brauche deshalb weder Patientenverfügung noch Vorsorgevollmacht! 

Wiebe: Irrtum: Eine Vorsorge in medizinischer Hinsicht ist für junge Menschen ebenso wichtig wie für ältere. Bei Älteren drohen vor allem Gebrechen oder Krankheit, bei Jüngeren schwere Sport- oder Verkehrsunfälle. Im Krankenhaus muß dann operiert werden, eventuell mit dem Risiko, zum lebenslangen Pflegefall oder Komapatienten zu werden. Die Frage ist also für Jüngere wie Ältere dieselbe: Was passiert mit mir, wenn ich nicht mehr für mich selbst sorgen kann? Wer entscheidet dann für mich, was mit mir geschieht?  

Was kann mir passieren, wenn ich keine Vorsorge getroffen habe? 

Wiebe: Dann gilt nach dem Gesetz der mutmaßliche Wille des Patienten.  Wie aber will der Arzt diesen feststellen, wenn im Krankenhaus niemand ist, den er dazu fragen kann, er aber eine Entscheidung treffen muß? 

Was genau ist eigentlich eine Patientenverfügung beziehungsweise eine Vorsorgevollmacht? Und warum genügt nicht eines von beidem?

Wiebe: In einer Patientenverfügung legen Sie schriftlich fest, wie Sie nach einem Unfall oder bei Krankheit – wenn Sie zu einer eigenen Entscheidung nicht mehr in der Lage sind – in bestimmter Weise medizinisch untersucht, behandelt beziehungsweise operiert werden möchten – oder eben auch nicht. Aber Achtung: Ist Ihre Patientenverfügung ungenau oder trifft sie die im voraus beschriebene Behandlungssituation nicht oder nicht genau genug, so ist sie wertlos. Mit einer Vorsorgevollmacht dagegen bevollmächtigen Sie eine Person Ihres Vertrauens mit der Wahrnehmung Ihrer Angelegenheiten. Dies kann umfassend geschehen, aber auch beschränkt werden – zum Beispiel auf medizinische Fragen oder auch dahingehend, daß die Vorsorgevollmacht erst dann in Kraft tritt, wenn Sie nicht mehr in der Lage sind, Ihren Willen zu bilden oder diesen zu äußern. Zu beachten ist: Soll die Vorsorgevollmacht im medizinischen Bereich auch für besonders einschneidende Maßnahmen gelten – etwa lebensgefährliche Operationen oder den Einsatz bewußtseinstrübender Medikamente –, so muß dies in der Vollmacht ausdrücklich erwähnt sein und gegebenenfalls eine Entscheidung des Betreuungsgerichts eingeholt werden. 

Ach du liebe Zeit, das klingt kompliziert!

Wiebe: Es handelt sich eben um eine durchaus schwierige juristische Regelung eines sehr persönlichen Bereichs. Und wir alle wünschen uns doch, daß im Fall des Falles die Vorsorge auch entsprechend unserem Willen funktioniert. Deshalb sind wir mit den Regelungen auch noch nicht zu Ende. Denn was auch noch wichtig ist: Wenn Sie eine Kontovollmacht erteilen, tun Sie dies auf bankeigenen Vordrucken, damit diese vom Geldinstitut auch anerkannt wird. Ansonsten genügt ein eigenhändig unterschriebener Vollmachttext. Hiervon ausgenommen ist allerdings alles, was allein beim Notar wirksam unterschrieben werden kann, wie Vollmachten, die Immobilien oder Firmenanteile betreffen. Haben Sie so was? 

Nein.

Wiebe: Na dann ist es für Sie auch schon einfacher. Und zu Ihrer Frage, ob denn nicht nur eines von beidem – Vorsorgevollmacht oder Patientenverfügung – ausreicht: Das ist im Einzelfall zu entscheiden. Als Richtschnur empfehle ich: Haben Sie eine Vertrauensperson, so können Sie dieser alle medizinischen Entscheidungen in einer Vorsorgevollmacht übertragen. Zumal man einzelne Anweisungen, etwa den Ausschluß einer Chemotherapie bei einer Krebserkrankung, auch in eine solche mit aufnehmen kann. Der Vorteil der Vorsorgevollmacht ist, daß man einzelne Maßnahmen nicht so konkret beschreiben muß wie in einer Patientenverfügung – allerdings allzu allgemein darf man auch in dieser nicht sein. 

Mir schwirrt schon der Kopf ... Nun liest  man allerdings neben Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht mitunter auch von der „Betreuungsverfügung“. Was ist das?

Wiebe: Die Betreuungsverfügung ist ein für das Gericht bestimmtes Dokument, in dem Sie für den Fall ihrer Betreuung vorschlagen, bestimmte Personen zu Ihrem Betreuer zu bestellen oder deren Bestellung auszuschließen, oder aber Sie regen eine Betreuung für bestimmte Bereiche an, etwa eine Vermögensvorsorge. 

Aha, klingt das allerdings nicht deckungsgleich mit der Vorsorgevollmacht?  

Wiebe: Die Betreuungsverfügung ist für den wichtig, der keine gesonderte Vorsorge treffen will, aber im Falle des Falles bestimmte Personen zum Betreuer bestellt haben will. Das Gericht wird dem Vorschlag aus der Betreuungsverfügung im allgemeinen entsprechen, jedoch dann nicht, wenn es zum Beispiel statt eines Angehörigen einen Berufsbetreuer für erforderlich hält.

Allerdings, ich bin verheiratet und brauche daher keine Vorsorgeregelung, denn im Fall des Falles hat doch bestimmt mein Ehepartner beziehungsweise meine Familie das Entscheidungsrecht über meine Belange? 

Wiebe: So einfach ist es nicht. Richtig ist vielmehr: Auch Eheleute brauchen untereinander Vollmachten, um sich vertreten zu können; dasselbe gilt für Eltern und erwachsene Kinder. Richtig ist allerdings auch, daß Ehegatten oder Angehörige im Fall des Falles häufig richterlich als Betreuer bestellt werden. Sofern keine Gründe entgegenstehen, ist dies auch naheliegend. Aber ich meine, klopfen Sie das lieber zuvor selbst mit einer Vorsorgevollmacht fest, sicher ist sicher!

Nun soll es eine Gesetzesänderung Eheleuten künftig leichter machen, für den Partner die Entscheidungen zu treffen. Ist damit für Menschen mit Familie eine Vorsorgeregelung nicht spätestens dann überflüssig, wenn dieses Gesetz in Kraft tritt?

Wiebe: Auch im Falle der geplanten Gesetzesänderung wären Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht nur so lange entbehrlich, wie die Ehe besteht. Stirbt ein Ehegatte, ist die Notwendigkeit, Vorsorge zu treffen wieder da. Das trifft auch auf die Fälle zu, in denen sich Eheleute zuvor wechselseitig als vorsorgebevollmächtigt eingesetzt haben. 

Aber sind diese Vorsorgeregelungen nicht offensichtlich furchtbar komplizierte Vorgänge, die ich als Laie gar nicht bewältigen kann?

Wiebe: Nein, so kompliziert sind sie nicht. Nur beim ersten Mal schwirrt einem der Kopf. Sie müssen sich lediglich einmal damit befassen, was sein soll, wenn Sie Ihren Willen nicht mehr selbst bilden oder äußern können. Wer bereits an einer Krankheit leidet und bei einem erwarteten Krankheitsverlauf etwas Bestimmtes will oder etwas Bestimmtes nicht will, sollte das auf jeden Fall in einer Patientenverfügung oder einer Vorsorgevollmacht auch zum Ausdruck bringen. In medizinischen Fragen sollte man einen Arzt konsultieren, damit der Behandlungswille auch sachgerecht formuliert werden kann. Das kriegen Sie schon hin. 

Klingt eher so, als könnte ich das ohne einen teuren Anwalt nicht erledigen. 

Wiebe: Wie gesagt, wenn die Vorsorgevollmacht über medizinische Belange hinausgeht, ein größeres Vermögen oder irgendwelche Besonderheiten zu berücksichtigen sind, dann, in der Tat, sollten Sie einen Rechtsanwalt oder Notar zu Rate ziehen. 

Schlagzeilen hat jüngst eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs gemacht. Diese schränkte die Gültigkeit der Patientenverfügung einer hilflosen Frau ein. Davon sind nun auch Tausende andere Patientenverfügungen betroffen. Was bedeutet das für mich?

Wiebe: Eins nach dem anderen: Der Entscheidung liegt eine Patientenverfügung zugrunde, laut der eine Patientin in ihrer speziellen Situation  – vollständiger Bewußtseinsverlust ohne Besserungsaussicht – „keine lebensverlängernden Maßnahmen“ mehr wollte. Gestützt darauf verlangte eine ihrer Töchter, die der Patientin angelegte künstliche Ernährung zu beenden. Der Bundesgerichtshof hat dieses Begehren abgelehnt, da die von der Patientin zuvor getroffene Regelung in ihrer Patientenverfügung nicht konkret den Verzicht auf künstliche Ernährung genannt habe. Nun ist es so, daß man für seine Patientenverfügung zumeist einen Vordruck verwendet. Wahrscheinlich müssen daher alle Patienten, die den gleichen Vordruck verwendet haben wie die besagte Frau, nun ihre Verfügung nachbessern. Falls Sie also schon eine Patientenverfügung haben, überprüfen Sie das. Falls nicht, achten Sie darauf, einen Vordruck zu verwenden, der das durch den Gerichts­entscheid offenbar gewordene Problem nicht entstehen läßt.  

Auf was muß ich also achten, damit meine Patientenverfügung beziehungsweise Vorsorgevollmacht gerichtsfest ist?

Wiebe: In der Regel können Sie sich an anerkannten Vordrucken orientieren, wie sie sie etwa in jeder Buchhandlung bekommen. Vorzuziehen sind solche von juristischen Verlagen; auch die Kirchen bieten eine – recht verständliche – Broschüre „Christliche Patientenvollmacht“ an. Der Titel umschließt die Patientenverfügung ebenso wie die Vorsorgevollmacht. Die Kirchen lehnen aktive Sterbehilfe ab, während Patienten teilweise solche Wünsche formulieren. Dies aber geht über die Patientenvorsorge hinaus. Wenn ich übrigens eben sagte, Sie können sich an anerkannten Vordrucken orientieren, dann meine ich mit orientieren, daß Sie auf rechtliche Änderungen im Bereich der Patientenvorsorge achten und ihre Vorsorgedokumente gegebenenfalls von Zeit zu Zeit ändern beziehungsweise ergänzen müssen. Daran kommen Sie nicht vorbei, wenn Sie sichergehen wollen.

Allerdings: Ist der Staat als unbestechlicher Wächter in ethischen Fragen eigentlich nicht viel geeigneter als Verwandte oder Freunde, die vielleicht mitunter fragwürdige ethische Einstellungen haben?

Wiebe: Ob der Staat ein unbestechlicher Wächter in ethischen Fragen ist, dürfte je nach Sichtweise unterschiedlich beurteilt werden. Aber Sie haben recht, ebenso ist es möglich, daß Sie an Angehörige geraten, deren ethische Einstellung sich im Fall des Falles überraschend als fragwürdig erweist. Entscheidend ist deshalb: Am besten wird der Vollmachtgeber seine Angehörigen einschätzen können. Findet er jemanden, dem er uneingeschränkt vertraut, wird er keine Bedenken haben müssen, diesen zu bevollmächtigen. Weil der Bevollmächtigte nachher derjenige ist, der darüber entscheidet, ob etwa noch eine Operation oder sonstige Behandlung zur Lebenserhaltung versucht oder dem Sterben der Weg gelassen wird, ist es wichtig, daß der Vollmachtgeber sich mit dem Bevollmächtigten rechtzeitig bespricht, damit letzterer im Sinne des Vollmachtgebers entscheiden kann.

Steckt in der privaten Vorsorgeregelung nicht möglicherweise gar eine Gefahr: Denn Angehörige mit eigenen Interessen können Einfluß nehmen – und nicht alle Angehörigen sind zwangsläufig liebevoll. Manche wollen vielleicht schnell erben oder sich einfach einen lästigen Pflegefall vom Hals schaffen.  

Wiebe: Sicher, die Gefahr des Mißbrauchs gibt es bei jeder Vollmacht. Ihren Bevollmächtigten müssen Sie daher sorgfältig auswählen. Wer das nicht will oder kann oder keine Vertrauensperson findet, kann die Bestellung eines Betreuers beantragen. Dieser gerichtlich bestellte Betreuer ist verpflichtet, dem Behandlungswillen des Betreuten zu entsprechen. Liegt keine Patientenverfügung vor, muß der Betreuer so gut es geht den mutmaßlichen Patientenwillen ermitteln. Sollte sich herausstellen, daß ein Betreuer oder Bevollmächtigter unlauter oder überfordert ist, kann das Betreuungsgericht einen Gegen- oder Kontrollbetreuer bestellen, der den Betreuer wie den Bevollmächtigten überwachen und gegebenenfalls beim Betreuungsgericht Änderungen beantragen kann.  

Immer wieder treffen jüngere Leute Vorsorgeregelungen, die sie im Fall des Falles gar nicht mehr wollen. Dann aber sind diese festgezurrt. Ist es also nicht ein Problem, sich als jüngerer Mensch auf eine Situation festzulegen, die man nicht kennt und daher leicht falsch einschätzt? Auch das würde übrigens für eine neutrale staatliche Betreuung sprechen. 

Wiebe: Sie vergessen: Die Neutralität einer staatlichen Stelle liegt nur in der Bestellung eines Betreuers. Wer als junger Mensch eine Vorsorgeregelung trifft, weiß selbst am besten, wann er diese ändern oder erneuern will. Keine Instanz kann doch den Willen eines Patienten besser einschätzen als der Patient selbst! In der Tat sollten Sie Ihre Vorsorgeverfügungen von Zeit zu Zeit auf Ihre persönliche Entwicklung oder Ihre geänderten Lebensumstände hin überprüfen. Außerdem ist der Text Ihrer Vorsorgeregelung, wie gesagt, an neue Bestimmungen oder gerichtliche Entscheidungen hin anzupassen – wie bei der Bundesgerichtshofentscheidung, über die wir eben sprachen. Am besten wird man seine Patientenverfügung beziehungsweise Vorsorgevollmacht dann insgesamt neu formulieren und unterschreiben. Zur Klarstellung kann man hinzufügen, daß frühere Vorsorgedokumente damit überholt sind. All das ist jederzeit möglich. 






Knut Wiebe, ist Vorstandsmitglied der Juristenvereinigung Lebensrecht mit Sitz in Köln. Der Richter im Ruhestand am Landgericht Köln wurde 1946 in der Domstadt geboren. 

Foto: Sorge um die Zukunft: „Die Frage stellt sich für Ältere wie Jüngere: Was passiert mit mir, wenn ich nicht mehr für mich selbst sorgen kann? Wer entscheidet dann, was mit mir geschieht?“

 

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