© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/17 / 10. März 2017

Ländersache
Brandenburg unter Schock
Peter Möller

Entsetzen, Trauer und Wut. Diese Stimmungen herrschten in Brandenburg in der vergangenen Woche nach dem Tod zweier Polizisten. Der 24 Jahre alte psychisch kranke Jan G. hatte am Dienstag vergangener Woche in Müllrose im Landkreis Oder-Spree eine Straßensperre durchbrochen und dabei zwei 49 und 52 Jahre alte Beamte mit über hundert Stundenkilometern überfahren und getötet. Zuvor hatte der Mann seine 79 Jahre alte Großmutter ermordet. 

Für die Polizei in Brandenburg wurde der 28. Februar durch den Tod der beiden Polizisten zum schwärzesten Tag ihrer Geschichte seit 1990. Doch in das Entsetzen und die Trauer mischten sich schnell Wut, Fassungslosigkeit und brennende Fragen an Politik und Justiz. Denn sehr bald stellte sich heraus, daß die Wahnsinnstat hätte verhindert werden können – ja müssen. Jan G. war als psychisch gestörter Gewalttäter aktenkundig. Unter anderem hatte er im Suff einen Freund in den Hals gestochen. Der junge Mann überlebte nur dank einer Notoperation. Das Urteil des Jugendrichters damals: zwei Jahre Haft auf Bewährung. Später mußte der Mann wegen anderer Delikte doch ins Gefängnis.

Auch im vergangenen Jahr stand G. wieder vor Gericht. Diesmal wegen Bedrohung, Raub, Körperverletzung und Fahren ohne Führerschein. Ein Sachverständiger bezeichnete G. in einem Gutachten als „tickende Zeitbombe“, von dem eine „erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit“ ausgehe. Dennoch glaubte der Gutachter, daß der Mann, der bereits seit seiner Kindheit unter psychischen Problemen litt und zudem als Drogenkonsument bekannt war, in Freiheit therapiert werden könne. Das Landgericht in Frankfurt an der Oder folgte den Schlußfolgerungen des Gutachtens und verurteilte G. zu einer Bewährungsstrafe. 

Eine dramatische Fehleinschätzung, wie sich in der vergangenen Woche blutig zeigte – und auch Fragen nach der politischen Verantwortung aufwarf. Denn kurz nach seiner Verurteilung war der spätere Dreifachmörder erneut unter Drogeneinfluß auffällig geworden und landete Ende 2016 in Bayreuth in der Psychiatrie. Doch trotz dieses Verstoßes gegen seine Bewährungsauflagen kam G. bald wieder frei.

Angesichts dieser unfaßbaren Pannenserie wird in Potsdam bereits von einem Systemversagen gesprochen. Schon lange stöhnt die Justiz in Brandenburg über Personalnot. Immer mehr Richter und Staatsanwälte gehen in Pension und werden nicht ersetzt. Nicht besser sieht es nach einer völlig verkorksten Reform bei der märkischen Polizei aus. Die Mitglieder der rot-roten Landesregierung dürften es daher als besondere Prüfung empfunden haben, daß am Tag nach dem Tod der Polizisten ausgerechnet die Gewerkschaft der Polizei im Potsdamer Stadtschloß zu einem Parlamentarischen Abend geladen hatte. 

Neben tröstenden Worten stellten Ministerpräsident Dietmar Woidke und Innenminister Karl-Heinz Schröter (beide SPD) zumindest finanzielle Hilfe für die Familien der getöteten Beamten, die insgesamt sechs Kinder hinterlassen, in Aussicht. Doch die rot-rote Landesregierung dürfte ahnen, daß die politische Aufarbeitung der Bluttat gerade erst beginnt.