© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/17 / 10. März 2017

Der Nachteil des Doppelpasses
Fall Yücel: Warum Deutschland sich nicht einmischen darf
Heiko Urbanzyk

Ein Wunsch ist etwas anderes als ein Rechtsanspruch. Das weiß auch die Bundesregierung. „Wir wünschen – und erwarten eigentlich auch –, daß für deutsche Konsularbeamte die Gelegenheit besteht, bei Herrn Yücel eine konsularische Betreuung vorzunehmen“, erklärte der Sprecher des Auswärtigen Amts, Martin Schäfer, vergangene Woche vor Hauptstadtjournalisten.

Die konsularische Betreuung eines Deutschen in der Haft eines ausländischen Staates beruht auf zwei Standbeinen: Erstens dem Anspruch des Deutschen, daß die Bundesrepublik ihm beisteht. Zweitens dem völkerrechtlichen Anspruch des deutschen Staates, die eigenen Konsulare zu ihrem Staatsbürger in Haft entsenden zu dürfen.

„Der ist für uns Türke   und kein Deutscher“

Wie die Bundesrepublik ihren Staatsbürgern in ausländischer Haft helfen darf, regelt Artikel 36 Absatz 1 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen. Hiernach haben die zuständigen ausländischen Behörden die konsularische Vertretung des „Entsendestaats“ auf Verlangen des Verhafteten unverzüglich zu unterrichten, wenn in deren Konsularbezirk ein Angehöriger dieses Staates festgenommen, in Straf- oder Untersuchungshaft genommen oder ihm anderweitig die Freiheit entzogen ist. Jede von dem Betroffenen an die konsularische Vertretung gerichtete Mitteilung haben die genannten Behörden ebenfalls unverzüglich weiterzuleiten. Diese Behörden haben den Betroffenen unverzüglich über seine Rechte auf Grundlage dieser Bestimmung zu unterrichten. 

Wegen dieser Bestimmung gehört es zum Beispiel in Deutschland gemäß Paragraph 114 der Strafprozeßordnung zur Belehrung des verhafteten ausländischen Beschuldigten, daß „er die Unterrichtung der konsularischen Vertretung seines Heimatstaates verlangen und dieser Mitteilungen zukommen lassen kann“. Auch das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen geht ausweislich seines Artikels 3 davon aus, daß ein Entsendestaat diplomatischen Schutz nur zugunsten seiner Staatsangehörigen ausübt. 

Doch es gibt ein großes „Aber“: Für Doppelstaatler gelten all diese Regelungen nicht. Wer in seiner „zweiten Heimat“ verhaftet wird, muß sich dort als eigener Staatsbürger behandeln lassen. Auswärtiges Amt und Bundesinnenministerium warnen davor seit langem. Aber wer liest schon das behördliche Kleingedruckte über die Nachteile des Doppelpasses? 

Der Völkerrechtler Stefan Talmon von der Universität Bonn wies jüngst in einem Beitrag für die FAZ darauf hin, daß es einem Staat freistünde, einen Doppelstaatler nach der einen oder der anderen Staatsbürgerschaft zu behandeln. Wenn also die USA künftig keine Syrer mehr in ihr Land einreisen lassen, dürfen sie bei einer Person mit deutscher und syrischer Staatsangehörigkeit sagen: Der ist aus amerikanischer Sicht ein Syrer und kommt hier nicht rein. Es gäbe laut Talmon keine völkerrechtliche Verpflichtung, den Doppelstaatler daran zu messen, wo er seinen gewöhnlichen oder hauptsächlichen Aufenthalt habe oder ob er zu einem bestimmten Staat aus sonstigen Gründen eine besonders enge Verbindung habe. Faktisch stellen Staaten bei der Zuordnung eines Doppelstaatlers darauf ab, welchen Paß er bei Einreise verwendet oder unter welcher Staatsangehörigkeit das Visum beantragt wurde. 

Auch im Fall Yücel weiß sich die Türkei völkerrechtlich auf der sicheren Seite, weil das Prinzip der sogenannten effektiven Staatsangehörigkeit gilt. „Das bedeutet, daß man aus Sicht der Türken im Falle eines deutsch-türkischen Doppelstaatlers guten Gewissens und in vollem Einklang mit dem Völkerrecht die Position und Haltung vertreten kann: Der ist für uns ein Türke und kein Deutscher“, so Außenamtssprecher Schäfer. Wenn die Türkei wolle, dürfe sie natürlich anders. 

Schäfer erwähnte in diesem Zusammenhang, daß die deutschen Behörden die „türkischen Konsulate über die Inhaftierung eines deutsch-türkischen Staatsangehörigen, einem türkischen Staatsangehörigen, auch dann, wenn er auch Deutscher ist“, informieren. Deutschland gehe damit über seine völkerrechtlichen Pflichten hinaus. Schäfer: „Wir wünschen uns, ohne daß darauf ein völkerrechtlicher Anspruch bestünde, daß die Türken das in ähnlicher Weise machen.“ 

Aber mit dem „Wünschen“ ist das in der Außenpolitik eben so eine Sache.