© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/17 / 10. März 2017

Wieviel Wahlkampf darf’s sein?
Ankara giftet gegen Berlin: Der Streit um Auftritte türkischer Politiker spitzt sich zu
Christian Schreiber

Bundeskanzlerin Angela Merkel gab sich am Ende moderat. Die Kritik der türkischen Regierung an dem abgesagten Auftritt von Justizminister Bekir Bozdag im baden-württembergischen Gaggenau wies sie zurück. „Das ist es nicht wert, zu kommentieren.“ Eine Einmischung der Regierung in das Versammlungsrecht gebe es nicht. Die Entscheidung über solche Auftritte liege in Deutschland auf der kommunalen Ebene und nicht bei der Bundesregierung. 

Quasi als Bestätigung ihrer These der Einzelfallprüfung durfte der türkische Wirtschaftsminister Nihat Zeybekçi  am Wochenende prompt für die äußerst umstrittene Verfassungsreform und die zunehmend repressive Politik seines Präsidenten Recep Erdogan werben. Ein Auftritt von Außenminister Mevlüt Cavusoglu in Hamburg wurde dagegen kurzfristig gestoppt – die zuständige Behörde sah den Brandschutz nicht gewährleistet. 

Die diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Türkei waren zuletzt kühl. Jetzt wird es zunehmend hitzig. Hintergrund ist die Inhaftierung des türkischstämmigen Welt-Korrespondenten Deniz Yücel in der Türkei. Der Journalist sitzt seit Tagen in Einzelhaft. Erdogan nannte ihn zuletzt abwechselnd einen deutschen Agenten oder einen PKK-Terroristen. 

Im Zuge dieser Debatte sowie der jüngsten Spionagevorwürfe gegen Funktionäre der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib) in Deutschland (JF 9/17) kam es zum Verbot einer Veranstaltung der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) mit Justizminister Bozdag in Gaggenau. Die baden-württembergische Stadt hatte die für Donnerstag vergangener Woche geplante Veranstaltung in ihrer Festhalle wegen Sicherheitsbedenken verboten. Bozdag wollte dort – wie zuvor Ministerpräsident Binali Yildirim in Oberhausen – vor türkischem Publikum für das am 16. April geplante Verfassungsreferendum werben. Etwa 1,4 Millionen wahlberechtigte Türkei leben in Deutschland. Ihre Zustimmung zu der umstrittenen Reform ist keinesfalls sicher, allerdings waren bei jüngsten Wahlen die Zustimmungsraten für Erdogan und seine AKP unter den Türken in Deutschland höher als der Durchschnitt in der Türkei. Daher tobt der türkische Wahlkampf mitten in der Bundesrepublik.

„Wir lassen uns nicht provozieren“

Dies hat eine Debatte darüber ausgelöst, ob Auftritte ausländischer Politiker in der Bundesrepublik überhaupt erlaubt seien. Aus Istanbul meldete sich Erdogan zu Wort und provozierte: Diese Handlungen seien „nichts anderes als das, was in der Nazi-Zeit getan wurde“. Ein Auftrittsverbot für sich werde er nicht akzeptieren. „Wenn ich will, komme ich morgen. Ich komme und wenn ihr mich nicht hereinlaßt oder mich nicht sprechen laßt, dann werde ich einen Aufstand machen.“ 

Die Bundeskanzlerin wies diese Worte als „deplaziert“ zurück und mahnte statt dessen zur Mäßigung.   Doch daran ist die türkische Regierung offenbar nicht interessiert. „Dieses Skandal-Vorgehen in Deutschland ist im wahrsten Sinne des Wortes ein faschistisches Vorgehen. Wir dachten, die Berliner Mauer sei schon lange gefallen. Aber wir sehen, daß es in manchen Köpfen in Deutschland immer noch ideologische Berliner Mauern gibt, und es werden neue gebaut“, schimpfte Justizminister Bozdag.

Der ehemalige Bundesverteidigungsminister und neue christsoziale Wahlkämpfer Karl-Theodor zu Guttenberg bezeichnete das deutsch-türkische Verhältnis daraufhin als „bizarr“. „Wenn man sich Nazi-Methoden vorhalten lassen muß von einem Präsidenten, der dann verweist auf das Recht auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit – so einen Schwachsinn muß man sich auf der Zunge zergehen lassen.“ CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer forderte, Erdogan möge sich „für diese Ungeheuerlichkeit entschuldigen“. 

Uneinigkeit herrscht allerdings darüber, ob man ein Einreise- und Auftrittsverbot für den türkischen Präsidenten aussprechen sollte. Während die CSU in Person von Scheuer juristische Maßnahmen gegen Auftritte türkischer Politiker forderte, konterte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen. Er wandte sich im Deutschlandfunk zwar ebenfalls gegen Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in der Bundesrepublik. Juristisch unterbinden will er sie aber ungeachtet dessen nicht. „Das wäre falsch“, sagte der CDU-Politiker. Einreiseverbote würden nur zu einer weiteren Eskalation führen. Er rate daher davon ab. „Wir eskalieren nicht und wir lassen uns auch nicht provozieren“, sagte er. 

Justizminister Heiko Maas (SPD) bezeichnete die Äußerungen Erdogans als „infam, abstrus, inakzeptabel und unverschämt“. Gleichzeitig mahnte Maas, sich nicht provozieren zu lassen und wandte sich gegen ein Einreiseverbot für Erdogan. „Die Verhängung eines Einreiseverbots würde nichts verbessern“, sagte Maas. Offenbar gehe es Erdogan gar nicht mehr um Wahlkampf für das Referendum über eine Stärkung des Präsidialsystems in der Türkei. „Es geht ihm jetzt darum, zu provozieren. Und wir müssen aufpassen, daß wir darauf nicht anspringen.“

Cem Özdemir, türkischstämmiger Chef der Grünen, forderte eine europäische Debatte über die Auftritte von Erdogan und seinen Ministern. Die Entscheidung über diese Veranstaltungen dürfe man nicht bei den Kommunen abladen. „Dies kann keine Frage des Brandschutzes oder von Fluchtwegen sein“, so Özdemir.