© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/17 / 10. März 2017

Stählernes Himmelfahrtskommando
ThyssenKrupp: Milliardenverluste durch ein Amerika-Abenteuer / Werden Aufzüge und Rolltreppen zum neuen Stammgeschäft des deutschen Industriekonzerns?
Christian Schreiber

Ein Patent, dessen Ursprünge auf das Jahr 1859 zurückgehen, könnte einen Ausweg aus der Krise des Thyssen­Krupp-Konzerns sein. Damals wurde in den USA das erste Patent auf eine Personenförderanlage erteilt, die jedoch nie gebaut wurde. Die heutigen Rolltreppen beruhen letztlich auf einem Prinzip (Endless Conveyor or Elevator), für das der US-Ingenieur Jesse Reno am 15. März 1892 ein Patent erhielt.

Das weiterentwickelte technische Wissen befindet sich in den Händen von fünf Oligopolisten, die den Weltmarkt weitgehend beherrschen. Die Thyssen­Krupp Elevator AG kassierte daher gemeinsam mit vier weiteren Weltfirmen (Kone/Finnland, Mitsubishi/Japan, Otis/USA und Schindler/Schweiz) vor zehn Jahren von der EU-Kommission eine Strafe von fast einer Milliarde Euro wegen des Verdachts der illegalen Preisabsprachen. Drei Jahre später machte die ThyssenKrupp Fahrtreppen GmbH Negativschlagzeilen: fast 200 Mitarbeiter wurden entlassen. Als Grund wurden infrastrukturelle Nachteile genannt. Die mächtigen Konkurrenten Otis und Schindler haben ihre Produktionslinien bereits in Niedriglohnländer verlagert. ThyssenKrupp produziert in China, Spanien und am Stammsitz in Hamburg.

Dabei soll es auch bleiben, denn auf das technische Wissen ist man stolz. Das Unternehmen spricht von deutscher Wertarbeit und skizziert die veränderten Anforderungen. Kaufhaus-Rolltreppen waren gestern – Beförderungsbänder in Flughäfen, Veranstaltungshallen und Messegeländen sei die Zukunft. Neben der Weiterentwicklung von Fahrtreppen hat das Unternehmen in den vergangenen Jahren auch viel Wert auf den Ausbau seiner Aufzugsparte gelegt.

Nicht nur höher und schneller, sondern auch beweglicher sollen sie werden. „Aufzüge sind mittlerweile der limitierende Faktor bei Hochhäusern“, sagt Andreas Schierenbeck, Chef der Essener ThyssenKrupp Elevator AG. „40 bis 50 Prozent der Nutzfläche gehen verloren durch Aufzugschächte.“ Man hat in den vergangenen Jahren einiges versucht, um Platz zu gewinnen und die Fahrstühle modern zu machen. In Rottweil, der ältesten Stadt Württembergs, hat der Konzern einen 246 Meter hohen Testturm für Aufzüge errichten lassen. Anfangs waren nicht alle begeistert, inzwischen gilt der Thyssenturm als Touristenanziehungspunkt. Er soll die Aufzugtechnik revolutionieren, Höhe soll kein Problem mehr sein, irgendwann sollen sie ohne Schächte und Seile funktionieren.

Gescheiterte Expansion

Der Traum der Zukunft sieht vor, daß mehrere Aufzüge seitlich an einem Gebäude fahren und sich ausweichen können. ThyssenKrupp läßt sich diese Technologie jede Menge Geld kosten. „Ein schwäbisches Himmelfahrtskommando“, witzelte der Stern. Denn die traditionelle Stahlbranche – Krupp wurde 1811, Hoesch 1871, Thyssen 1891 gegründet – bereitet zunehmend Sorgen. Ende Februar beendete ThyssenKrupp sein „Stahl-Abenteuer“ in Amerika: das brasilianische Stahlwerk CSA (JF 40/13) wurde für 1,5 Milliarden Euro an den argentinischen Konkurrenten Ternium verkauft. Das sei ein „Meilenstein beim Umbau von ThyssenKrupp hin zu einem starken Industriekonzern“, so Vorstands­chef Heinrich Hiesinger. Der Preis liegt allerdings unter dem Bilanzwert, so daß ThyssenKrupp noch Abschreibungen über 900 Millionen Euro vornehmen muß und das Geschäftsjahr vermutlich mit einem Verlust abschließen wird.

Unter der Führung des Stahl-Managers Ekkehard Schulz entschied ThyssenKrupp 2006 den Bau eines Stahlbrammenwerks in Brasilien, weil es dort Eisenerz gibt. Die brasilianischen Brammen sollten anschließend in den USA weiterverarbeitet werden. Doch das Geschäft floppte; seit 2012 suchte man händeringend einen Abnehmer. Insgesamt haben die beiden Werke zwölf Milliarden Euro gekostet. Die Fabrik in Alabama wurde bereits 2014 an Arcelor-Mittal und Nippon Steel abgegeben, immerhin kam dafür frisches Geld in die Kasse. Acht Milliarden Euro hat das Neue-Welt-Abenteuer verschlungen.

Da war Amerika-Pionier Schulz schon längst Geschichte, ebenso wie der zuvor allmächtige Gerhard Cromme, der 2001 als Vorstandschef die Fusion von Thyssen und Krupp/Hoesch eingeleitet hatte, aber 2013 als Aufsichtsratschef abgelöst wurde. Die Aufarbeitung der gescheiterten Expansion wird daher noch dauern. „Es ist die wesentliche Ursache, daß unsere Bilanz so angegriffen ist“, sagt Hiesinger. Er hat dem Stahlriesen eine Rundum-Erneuerung verordnet. „Wir wollen den Anteil der Industriegüter- und Dienstleistungsgeschäfte ausbauen und profitabel wachsen“, konstatiert er. Mit 860 Millionen Euro stellte die Aufzugsparte mehr als die Hälfte des gesamten Konzerngewinns 2016 dar: „Das ist ein Zukunftsmarkt.“ Sprich: Die einst legendäre deutsche Stahlsparte wird demnächst wohl komplett verkauft.