© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/17 / 10. März 2017

Im Mondschein geklaute Dessous
Musikgeschichte: Vor fünfzig Jahren erschien die erste Single von Pink Floyd
Wolfgang Kaufmann

Der englische Dichter und Mystiker William Blake äußerte 1793 in seiner Schrift „Die Hochzeit von Himmel und Hölle“: „Würden die Pforten der Wahrnehmung gereinigt, erschiene den Menschen alles, wie es ist: unendlich.“ Damit war das Credo der psychedelischen Bewegung geboren, deren Protagonisten schließlich in den 1950er Jahren mit Halluzinogenen wie dem Lysergsäurediethylamid (LSD) und Meskalin zu experimentieren begannen, um genau diese Bewußtseinserweiterung zu erreichen.

Dabei kreierten die musikalisch ambitionierten Verfechter des neuen Trends späterhin auch den Psychedelic Rock. Der machte ab 1964 zunächst in der San Francisco Bay Area und dann in England Furore, wo nicht zuletzt die Beatles und Rolling Stones auf den fahrenden Zug aufsprangen.

In London gehörte der Student, Sänger und Gitarrist Roger Keith (genannt „Syd“) Barrett zu denjenigen, welche die Wirkung von LSD probierten, woraufhin seine ohnehin schon recht ausgeprägten psychischen Auffälligkeiten stark zunahmen. Gleichzeitig erlebte Barrett aber tatsächlich einen drogeninduzierten Kreativitätsschub. Dieser verstärkte sich 1965 nach dem Eintritt in die Band „The Tea-Set“, welche auf Initiative des neuen Mitglieds in „The Pink Floyd Sound“ umbenannt wurde (ab 1968 hieß es nur noch „Pink Floyd“) – eine Hommage an Barretts Lieblings-Bluesmusiker Pink Anderson und Floyd Council.

Im Laufe des Jahres 1966 erregte die Gruppe, welche nunmehr in der Besetzung Syd Barrett (Gitarre, Leadgesang), Roger Waters (E-Bass), Richard Wright (Keyboard, Hintergrundgesang) und Nick Mason (Schlagzeug) spielte, mit ihren Auftritten im Londoner Untergrundclub „UFO“ zunehmendes Aufsehen und fand dann letztlich sogar in der konservativen Sunday Times Erwähnung. Kurz darauf nahm das Major-Label EMI The Pink Floyd Sound unter Vertrag, und brachte am 10. März 1967 die erste Mono-Single der Band mit den beiden Songs „Arnold Layne“ (A-Seite) und „Candy and a Currant Bun“ (B-Seite) heraus. Diese Titel aus der Werkstatt von Barrett waren kurz zuvor im „Sound Techniques“-Studio in Chelsea aufgenommen worden – mit dem Begründer des „UFO“-Clubs, Joe Boyd, als Produzenten. Zur damaligen Situation der Musiker schrieb Mason später: „Wir hatten überhaupt keine Ahnung davon, was alles mit uns geschah und was um uns herum passierte. Wir wollten nur Rock’n’Roll-Stars werden, und dafür mußten wir eben Singles machen.“

Die Inspiration entstammt dem wirklichen Leben

„Arnold Layne“ – im Gegensatz zu den opulenten folgenden Werken von Pink Floyd lediglich knapp drei Minuten lang – konnte sich immerhin acht Wochen in den britischen Charts halten, kletterte dort allerdings bloß bis auf Platz 20. Das lag zweifellos am Text des Songs: Er handelt von einem Unterwäschefetischisten, der die Nächte damit verbringt, Damenslips und BHs zu stehlen und dann zu Hause vor dem Spiegel anzuprobieren: „Arnold Layne hatte ein eigenartiges Hobby: Klamotten sammeln, Mondschein-Wäscheleine, sie standen ihm gut.“

Die Inspiration zu dem Text zog Syd Barrett aus dem wirklichen Leben: In der Straße, wo seine Mutter in Cambridge wohnte, gab es ein Mädchenpensionat, und von den Wäscheleinen im dahinterliegenden Garten holte sich jemand regelmäßig einige der zum Trocknen aufgehängten Dessous – jedoch wurde dieser Täter im Gegensatz zu Arnold Layne, der am Ende ins Gefängnis wandert, nie erwischt.

Eine der erfolgreichsten Bands aller Zeiten

Aufgrund des „anstößigen“ Textes über die „Verirrungen einer gestörten Person“ boykottierten Rundfunkstationen wie Radio London den Song, wohingegen die altehrwürdige British Broadcasting Corporation ihn regelmäßig ausstrahlte – Spötter unkten damals, man habe bei „Tantchen BBC“ wohl gar nicht so recht verstanden, wovon er eigentlich handele. Am 6. April 1967 sollte „Arnold Layne“ sogar in der wöchentlichen „Top of the Pops“-Show von BBC One vorgestellt werden, weshalb die Gruppe nun auch eines der ersten Musikvideos überhaupt produzierte: Der für 2000 Pfund hergestellte Schwarzweiß-Streifen zeigt, wie die vier Psychedelic-Rocker am Strand von East Wittering in Sussex eine Schaufensterpuppe anzukleiden versuchen. Allerdings sackte ihr Titel in der Woche darauf in den Charts ab, so daß der Fernsehauftritt ins Wasser fiel.

Kurz darauf drehten die Musiker ein zweites Video zu „Arnold Layne“, bei dem diesmal die Michael’s Church in Highgate als Schauplatz diente. Wieder mit von der Partie auch Syd Barrett, der nun ansonsten freilich zum ernsten Problem für Pink Floyd wurde: Aufgrund seines exzessiven Drogenkonsums war er in Konzerten oft nicht mehr in der Lage, zu spielen und zu singen. Deshalb beschlossen die anderen Bandmitglieder Anfang 1968, den Gitarristen David Gilmour als fünften Mann hinzuzuholen, um trotz Barretts Unberechenbarkeit weiter auftreten zu können.

Dem folgte am 6. April 1968 die Trennung von dem ebenso genialen wie psychotischen Namensgeber der Gruppe, die ihn dann freilich 1975 mit den beiden Titeln „Wish You Were Here“ und „Shine On You Crazy Diamond“ feierte. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Barrett, der wechselweise chaotisch agierte oder in totale Lethargie verfiel und zugleich einen massiven Realitätsverlust erlitt, komplett vom Musikgeschäft abgewendet. Er zog wieder ins Haus seiner Mutter, in dessen Umfeld einst das Arnold-Layne-Vorbild unterwegs gewesen war, und starb dort am 7. Juli 2006 im Alter von nur 60 Jahren.

Die Band Pink Floyd hingegen sollte nach dem doch recht holprigen Start vor fünfzig Jahren noch einen bemerkenswerten Höhenflug erleben. Auf „Arnold Layne“ folgten zwölf weitere Singles, neun Mini-Alben sowie 24 große Alben – das letzte mit dem Titel „The Early Years 1965–1972 Cre/ation“ erschien erst im November 2016. Dabei wechselte der Stil nach Ansicht der Musikkritiker zunächst von psychedelisch zu „ätherisch“ und dann zu „klassisch“ beziehungsweise „intellektuell“. Für die seit 1967 verkauften 260 bis 300 Millionen Tonträger gab es 89 goldene, 361 platinene und elf diamantene Schallplatten. Deshalb gehören Pink Floyd neben den Beatles und Rolling Stones sowie Abba, Queen und Led Zeppelin zu den zehn erfolgreichsten Bands aller Zeiten.