© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/17 / 17. März 2017

„Ich kann Ihnen nicht völlig widersprechen“
Früher stritten sie gemeinsam für einen konservativen Kurs der CDU. Heute will die ehemalige brandenburgische Partei- und Fraktionschefin Saskia Ludwig die Union reformieren, der Publizist und AfD-Vizevorsitzende Alexander Gauland sie bekämpfen
Moritz Schwarz

Frau Dr. Ludwig, Sie machen Wahlkampf für Angela Merkel. Wie erklären Sie das Ihren konservativen Wählern?

Saskia Ludwig: Ich mache Wahlkampf, um die Bürger im bedeutendsten und auch renommiertesten Wahlkreis in Brandenburg von den Inhalten, für die ich stehe, zu überzeugen.

Herr Dr. Gauland, überzeugt Sie das?

Alexander Gauland: Aus dem Munde von Frau Ludwig schon, weil ich sie als politisch aufrichtige Persönlichkeit kenne. Allerdings haben Sie, Frau Ludwig, die eigentliche Antwort auf die Frage, nämlich nach Frau Merkel, ausgeklammert. Wohl wegen der Widersprüche, in die man sich da verwickeln muß. Deshalb bin ich aus der CDU ausgetreten.

Ludwig: Ich stehe beharrlich für meine CDU – die nicht nur die Partei Merkels ist. Meine Kritik richtet sich hauptsächlich an die Abgeordneten im Bundestag, die Merkels Kurs folgen, obwohl sie ihn nicht gutheißen, statt ihn zu korrigieren.

Gauland: Ihr Verweis darauf, die CDU sei nicht nur die Partei Merkels, sondern eines viel breiteren Unionsspektrums, stimmt. Allerdings wird der Kurs der Kanzlerin von der Partei mitgetragen. Daher frage ich Sie, wo sind denn – bis auf wenige Ausnahmen – die namhaften Unionspolitiker, die für jene andere CDU stehen, auf die Sie sich beziehen? 

Ludwig: Wieso müssen es namhafte Unionspolitiker sein? Die Arbeit vor Ort ist entscheidend. Nehmen Sie meinen Kreisverband in Potsdam-Mittelmark als Beispiel. Wir hätten keinen Erfolg, würden wir nicht mitten im Leben stehen mit allen Erfahrungen aus unseren Berufen, durch unsere Kinder und Familien außerhalb der Politik. Und ich hätte mir gewünscht, daß auch ein Alexander Gauland in unserer Partei geblieben wäre, um für den konservativen Kurs weiter zu kämpfen.

Herr Gauland, Sie waren vierzig Jahre Mitglied der CDU und – wie Frau Ludwig – des Berliner Kreises einer informellen Gesprächsrunde von Konservativen in der Union. Warum haben Sie die Partei und den Kreis schließlich 2013 verlassen? Und warum Sie, Frau Ludwig, nicht?  

Gauland: Weil der Berliner Kreis gescheitert ist. Ich war dabei, als er zu Gast bei CDU-Generalsekretär Gröhe war, der uns offen sagte, wir sollten uns bloß nicht einbilden, je in irgendeiner Form, etwa als Arbeitskreis, in der Union anerkannt zu werden. Damals sagte ich mir: Gut, dann gehe ich eben. 

Ludwig: Ist der Berliner Kreis wirklich gescheitert? Der Weg zum Erfolg ist ein langer – und man muß beharrlich sein, statt fahnenflüchtig zu werden. Jörg Schönbohm ist ein Musterbeispiel dafür, wie Standhaftigkeit erfolgreich gelebt wird.

Sind Sie ein Fahnenflüchtiger, Herr Gauland?

Gauland: Nein, die Wahrheit ist, daß die Konservativen in der CDU damals regelrecht verachtet wurden. 

Frau Ludwig, müssen Sie sich nicht vorwerfen, etwas falsch gemacht zu haben, Herrn Gauland nicht in Partei und Berliner Kreis halten zu können? 

Gauland: Oh, das würde ich Frau Ludwig gar nicht vorwerfen. 

Ludwig: Herr Gauland und ich haben seit wir uns kennen zum Teil sehr kontrovers diskutiert. Daß diese Diskussionskultur für sein Ausscheiden aus unserer Partei mit ausschlaggebend war, glaube ich nicht. 

Gauland: Na ja, Tatsache ist, die CDU saß damals tief in der Achtundsechziger-Falle. Und es war die Hochzeit der Merkelschen Wahlkampfstrategie der „asymmetrischen Demobilisierung“, also bloß keine Ecken und und Kanten zeigen, um den Wählern der SPD keinen Anlaß zum Unmut zu geben, auf daß sie zu Hause bleiben, statt wählen zu gehen. Folglich spielten wir konservative Exponenten schlicht keine Rolle. Ja, wir mußten sogar erleben, wie immer weniger Unionsabgeordnete zu den Treffen des Berliner Kreises kamen. Warum? Weil sie, wie ich erfuhr, Anrufe von Frau Merkel erhalten hatten. Die Konsequenz war für mich, zusammen mit Bernd Lucke und einigen anderen eine neue Partei zu gründen, um die CDU von außen zu beeinflussen – wenn es von innen nun mal nicht ging. Und diese Strategie ist ja auch aufgegangen!

Ludwig: Es war zweifelsohne der bequemere Weg. Wären Sie und andere in der Union geblieben, lieber Herr Gauland, wären die Konservativen dort schon heute sehr viel weiter. Durch die Gründung der AfD wurde es ein paar Parteifunktionären im Bund genauso wie in den Ländern sogar ermöglicht, den Meinungsspielraum der Konservativen scheinbar einzugrenzen, mit dem „Argument“, dieses oder jenes dürfe man nicht mehr aussprechen, weil das ja auch die AfD sage. Ihr Ausscheiden war ein Bärendienst für all jene, mit denen Sie noch ein paar Wochen vorher versucht hatten, für unsere Ideale zu kämpfen. 

Herr Gauland, Frau Ludwig bedauert, daß Sie nicht in der CDU geblieben sind. Bedauern Sie, daß sie Ihnen nicht zur AfD gefolgt ist?

Gauland: Nun, das muß jeder für sich selbst entscheiden. Ich habe einmal mit Wolfgang Bosbach über einen Wechsel zur AfD gesprochen und er sagte mir, er habe seinen Wählern ein Versprechen gegeben – und das halte er. Das respektiere ich. Frau Ludwig ist – anders als ich bei meinem Parteiaustritt, der nur CDU-Mitglied, nicht aber Abgeordneter war – als Direktkandidatin ihren Wählern unmittelbar verpflichtet. Ein Parteiwechsel wäre also nicht, wie bei mir, nur ihre Sache.

Frau Ludwig, wäre die AfD eine Option für Sie?

Ludwig: Nein, ich engagiere mich seit jeher dafür, die offensichtlichsten Mißstände in unserem Land zu beheben. Das sind oft die kleinen Dinge, die der Brandenburger Presse nicht einmal eine Randnotiz Wert sind. Die positiven Rückmeldungen der Bürger, die meistens keine Lobby haben, die sich lautstark für sie engagiert, sind meine tägliche Motivation. Und wenn Sie sich dann einen ehemaligen FDP-Mann wie Marcus Pretzell anschauen, der nun wirklich kein Konservativer ist, sondern ein klassischer Karrierist, dann ist die AfD keine Alternative. Solche Selbstdarsteller schaue ich mir lediglich in der Bunten an.

Aber wo sehen Sie denn die strategische Perspektive für Ihren Kurs innerhalb der CDU? Seit Jahrzehnten sind die Unionskonservativen doch neutralisiert. Zuletzt ist sogar Erika Steinbach enttäuscht aus der Partei ausgetreten. 

Ludwig: Die Geschichte hat uns gelehrt, daß es an der Realität kein Vorbeikommen gibt. Gerade wir in Deutschland wissen, wie es aussieht, wenn eine „unüberwindbare“ Mauer fällt. Es bedarf keiner strategischen Perspektive, sondern nur die Meinungen der Bürger in Werder, Ludwigsfelde oder dem kleinen Kemnitz aufzunehmen. Das hat nichts mit der veröffentlichten, politisch korrekten Meinung zu tun. 

Im Grunde stehen Sie doch nicht für Korrekturen am Kurs der Kanzlerin, sondern für eine Abkehr davon. Und dennoch machen Sie letztlich Wahlkampf für sie? 

Ludwig: Angela Merkel stand einmal für den Kurs der CDU von 2003 – Stichwort Leipziger Parteitag –, und das ist zu 95 Prozent der Kurs, den ich auch vertrete – und das nicht erst seit Leipzig! Richtig ist aber auch, daß nach 2003 eine Wende weg von den Leipziger Zielen vollzogen wurde. Als Direktkandidatin für den Wahlkreis 61 kann ich meinen Wählern nur ein Angebot machen. Und das sind die Überzeugungen, für die ich in der Vergangenheit stand und auch in den kommenden vier Jahren stehe. Als Bundestagsabgeordneter hat man die Aufgabe, die Regierung zu kontrollieren. Über diese banale Feststellung können Sie gerne lachen. Sie stammt zuletzt von Wolfgang Bosbach, der bei uns in Werder zu Gast war und dafür großen Applaus bekommen hat. Würde diese simple Trennung von Exekutive und Legislative umgesetzt, hätten Sie mir diese Frage nicht gestellt.

Die „Süddeutsche Zeitung“ hat Sie einmal eine „Merkel-Gegnerin“ genannt. Fühlen Sie sich so richtig beschrieben?  

Ludwig: Constanze von Bullion, die Autorin des Artikels, ist ein Kind ihrer Zeit. Anstatt miteinander zu reden und die Realität abzubilden, werden lieber vermeintlich schmissige Formulierungen gewählt. Die „Merkel-Gegnerin“ ist noch eine der harmloseren Formulierungen. Unterschiedliche inhaltliche Positionen innerhalb einer Partei werden als persönliche Feindschaft umgedeutet. 

Sie waren gegen die Abschaffung der Wehrpflicht, gegen die Energiewende, die Euro-Rettungspolitik, die „Flüchtlings“-Politik – eigentlich alles, wofür Merkel steht. Es ist, als wollten Sie Merkel ohne Merkel. Wirkt das nicht politisch „schizophren“?  

Ludwig: Ich bin nach der Wende nicht deshalb in eine demokratische Partei eingetreten, um den Mechanismus der DDR zu reproduzieren: Einer sagt an, und alle anderen schweigen. Eine Partei ist für mich ein Instrument zur demokratischen Willensbildung von unten nach oben. Deshalb ist es nach meinem Verständnis selbstverständlich, wenn man sich in der Minderheit befindet, nicht auszutreten, sondern für Mehrheiten zu kämpfen. Und sicher, einige im CDU-Establishment glauben immer noch, die Achtundsechziger-Bewegung habe sich durchgesetzt, und wir müßten diesen Utopien hinterherlaufen – gerade in den neuen Bundesländern eine Schnapsidee. Daß die junge Generation komplett anders tickt, vergleichbar mit unserer Partei 2003, wird von Berlin aus leider nicht gesehen. Die Verhältnisse von 1968 im Westen haben nichts mit der globalisierten Welt von 2017 gemeinsam. Existenzangst hatten die Hippies nicht. Die heutige Jugend wünscht sich Verläßlichkeit und vor allem ernst genommen zu werden. 

Gauland: Es ist interessant, was Sie da sagen, Frau Ludwig, und ich kann das bestätigen. Es gibt tatsächlich gute jüngere Leute in der CDU – zum Beispiel den Bundestagsabgeordneten Jens Spahn –, die dem entsprechen, was Sie beschreiben. Die Position der „links-rot-grün-versifften“ – wie das mein Freund Jörg Meuthen ausgedrückt hat – Achtundsechzigergeneration zeigt tatsächlich auch in der Union Brüche. Andererseits wird mir aus der CDU zugetragen, wäre die AfD nicht aufgetaucht, hätte sich in der Union nichts getan. Sprich, die CDU ist also nicht das Instrument der Veränderung, sondern nur ihr Objekt. Wenn sie sich verändert, dann ist das vor allem das Verdienst der AfD.  

Ludwig: Da mag etwas dran sein, Herr Gauland. Dennoch: Ich glaube Ihnen, daß Sie das Wohl Deutschlands im Auge haben. Aber gerade durch Ihre AfD wird eine rot-rot-grüne Bundesregierung und damit eine komplette Veränderung unserer Gesellschaft sehr viel wahrscheinlicher! Diesen Widerspruch bei Ihnen verstehe ich einfach nicht. 

Gauland: Es tut mir leid, aber ich kann den angeblichen Unterschied zwischen einer Kanzlerin Angela Merkel und einem möglichen Kanzler Martin Schulz, den Sie offenbar auzumachen vermögen, einfach nicht erkennen. Beziehungsweise, er erscheint mir wie der zwischen Pest und Cholera. Herr Schulz hat uns immerhin nicht eine Million sogenannte Flüchtlinge ins Land geholt.

Ludwig: Als langjähriges CDU-Mitglied müßten Sie doch am besten wissen, welche existentiellen Unterschiede es zwischen CDU und SPD gibt. Und diese werden, angesichts der aktuellen Entwicklungen in unserem Land, in Zukunft größer statt kleiner werden. Es ist ja ehrenwert, wenn ihr SPD-Bild noch aus einer Zeit von Helmut Schmidt stammt, aber schauen Sie sich doch alleine die SPD in Brandenburg an. Sahra Wagenknecht ist konservativer als die gesamte Sozialdemokratie in der Mark.

Gauland: Was ich Ihnen glaube, ist, daß es in der Union immer noch wesentlich mehr Menschen gibt, die auch nicht wollen, daß wir ein Einwanderungsland werden, als in der SPD. Aber dennoch kann ich nicht nachvollziehen, warum ich deshalb Frau Merkel – die uns das alles eingebrockt hat – unterstützen soll.

Ludwig: Teile der SPD wollen, daß unsere „Neuankömmlinge“ das Wahlrecht bekommen. Was die Folgen wären, ist klar, dafür braucht man keine Pseudoexperten. Und die Umsetzung dieser Schnapsidee wird es mit Frau Merkel definitiv nicht geben! 

Gauland: Was ich wirklich nicht zu erkennen vermag, ist, daß Frau Merkel diese Masseneinwanderung endlich ehrlichen Herzens als Fehler anerkennt. Und deshalb sehe ich selbst dann keinen wesentlichen Unterschied zwischen ihr und Herrn Schulz, wenn sich dieser als Kanzlerkandidat diesen SPD-Blödsinn tatsächlich zu eigen machen sollte. Wissen Sie, manchmal muß ich daran denken, was Franz Josef Strauß einmal gesagt hat: „Es muß noch viel schlechter werden, bevor es besser werden kann.“ Ich fürchte, da ist leider etwas Wahres dran. Offenbar muß es erst noch viel schlimmer kommen, bevor sich die CDU von dieser Kanzlerin löst. 

Ludwig: Bei allem Respekt, Herr Gauland, aber ist Ihnen klar, daß wenn jeder, der hier lebt, das Wahlrecht bekommen sollte, es nur eine Frage der Zeit ist, bis auch bei uns Extremismus und Terrorismus vermehrt an der Tagesordnung sind? Und das können weder Sie noch ich akzeptieren! Und daher ist die Art, wie Sie diesen Einwand abtun, für mich sehr befremdlich. 

Gauland: Erstens, hat sich Herr Schulz diese Forderung seiner Genossen überhaupt zu eigen gemacht? Zweitens, wieso sind Sie eigentlich so sicher, daß nicht auch Frau Merkel irgendwann das Wahlrecht für alle einführen wird?

Ludwig: Weil die CDU-Mitglieder dies nicht akzeptieren würden.

Gauland: Liebe Frau Ludwig, ich gebe zu, ich bin in puncto CDU notorisch mißtrauisch. Allerdings vielleicht zu Recht. Denn haben wir uns bei der Union nicht auch schon so manches andere „auf gar keinen Fall“ vorstellen können – und dann hat die Partei eben genau das gemacht! 

Ludwig: Herr Gauland, der Widerspruch befindet sich auf Ihrer Seite, und er besteht, wie gesagt, darin, daß Sie mit der AfD eben genau das befördern, was Sie eigentlich verhindern wollen, nämlich eine rot-rot-grüne Machtübernahme sowie die völlige – und dann kaum mehr rückgängig zu machende – Umwandlung unseres Landes in eine multikulturelle Einwanderungsgesellschaft. Die Folgen und Auswüchse können Sie sich schon heute unter anderem in Teilen von Berlin und Nordrhein-Westfalen anschauen. 

Gauland: Wir drehen uns im Kreise, und inhaltlich beißt sich die Katze in den Schwanz. Folgt man Ihrer Argumentation, dürften Konservative gar nichts unternehmen. Was allerdings dazu führen würde, daß die CDU keinen Druck verspürt und sich folglich auch nicht ändern würde. Nun, Sie sehen die CDU offenbar als eine zumindest in Teilen noch widerständige Partei – ich kann das aber einfach nicht erkennen. Ich sehe nur einzelne widerständige Persönlichkeiten in der CDU, vor denen ich allerhöchsten Respekt habe, die aber leider keinen entscheidenden Einfluß haben. 

Frau Ludwig, es ist bekannt, wie es Andersdenkenden in der CDU mitunter ergeht. Euro-Rettungskritiker etwa, wie die Unionsabgeordneten Klaus-Peter Willsch, Veronika Bellmann oder Alexander Funk berichteten von regelrechtem Mobbing. Traurige Berühmtheit erlangte der Ausfall des damaligen CDU-Generalsekretärs Ronald Pofalla gegenüber Euro-Skeptiker Wolfgang Bosbach: „Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen!“ Mit was rechnen Sie, sollten Sie bei der Bundestagswahl in die Unionsfraktion einziehen? 

Ludwig: Bei seinem Besuch in Werder hat Wolfgang Bosbach uns einen lebendigen Eindruck gegeben, wie im Bundestag gearbeitet wird. Auch im persönlichen Gespräch machte er auf mich keinen geknickten Eindruck. 

Sie sind 2012 mit Ihrem konservativen Kurs schon einmal in der CDU gescheitert, damals als Landes- und Fraktionschefin in Brandenburg. Warum glauben Sie, diesmal Erfolg zu haben?   

Ludwig: Die Umstände von 2012 sind bekannt. Der Marcus Pretzell sozusagen war bei uns in Brandenburg der Fraktionskollege Sven Petke. Und der mir nachfolgende Landes- und Fraktionsvorsitzende mußte auch schon wieder gehen. Der konservative Kurs stand bei den Wählern aber nie zur Debatte. Bei den nachfolgenden Landtagswahlen 2014 habe ich mein Direktmandat erfolgreich verteidigt. Ich werde mit meinem Team alles versuchen, um bei der Bundestagswahl am 24. September den vierten Stern für das vierte Direktmandat, zu erringen. Die Erfahrungen aus den letzten Tagen und Wochen stimmen mich optimistisch.

Herr Gauland, fürchten Sie die Regierungsverantwortung, wie Ihnen Kritiker vorwerfen?

Gauland: Nein. 

Sie haben aber Frauke Perty kritisiert, sie wolle die AfD „an die CDU andocken“. 

Gauland: Ich meine damit, daß ich nicht glaube, daß wir als kleine Partei in der Lage sind, mit der großen Union zu koalieren. Wenn ich mir die Geschichte der konservativen Parteien in Deutschland nach 1945 anschaue, dann sehe ich nur solche, die an der CDU gescheitert sind: Deutsche Partei, BHE, Freie Volkspartei, ja letztlich sogar die FDP. Auch wenn ihr die Rückkehr gelingen mag. Ich sehe unsere Aufgabe vielmehr in der Opposition, wo wir treibende Kraft zu sein haben. Sind wir eines Tages größer und stärker, dann kann auch die Regierungsverantwortung kommen.     

Herr Gauland, muß die Union gegen die AfD gar keinen Wahlkampf mehr machen, weil das die AfD selbst besorgt? 

Gauland: Ich kann Ihnen nicht völlig widersprechen. Sie wissen, daß ich mich dem Versuch, Björn Höcke auszuschließen, weil er in einer Rede inhaltlich das gleiche sagt wie Rudolf Augstein 1998, mit aller Kraft widersetzte. Das Ganze hat zu tiefen Verwerfungen geführt. 

Aber hat Höcke nicht tatsächlich der Partei geschadet? Er hat sich zwar entschuldigt – aber hat er damit sein schädigendes Verhalten nicht selbst eingestanden? 

Gauland: Für einen Parteiausschluß muß man Grundsätze oder Satzung verletzt haben. Denken Sie an den SPD-Politiker Wolfgang Clement, ehemaliger NRW-Ministerpräsident, der im Wahlkampf zur Wahl der FDP aufgerufen hat und laut Parteigericht nicht ausgeschlossen wurde. Oder an Thilo Sarrazin, der immer wieder Bücher schreibt, die fast alles widerlegen, wofür die SPD eintritt und auch nicht ausgeschlossen wird. Und wir, die wir angetreten sind, den Meinungspluralismus zu verteidigen und anders als die Etablierten zu sein, sollen nun Mitglieder wegen mißliebiger Meinungen ausschließen? 

Ludwig: Herr Gauland ist bekannt für seine Prinzipientreue, die ihn ehrt. Allerdings muß man sich schon fragen, ob er nicht jemandem Vorschub leistet, der versucht, die Partei über einen demokratischen Punkt hinaus zu schieben.   

Gauland: Ich halte seine Rede für politisch unklug und in einigen Passagen für unpassend. Aber Björn Höcke hat sich dafür entschuldigt. Und die Wahrheit ist, daß der Kampf gegen ihn nicht aus inhaltlichen, sondern aus machtpolitischen Gründen betrieben wird.  

Ludwig: Diesen Eindruck teile ich. 

Gauland: Ich habe mal die Frage gestellt, ob wir etwa auch Rudolf Augstein ob seiner Worte von 1998 ausschließen würden? Diese rhetorische Frage allein zeigt schon den Irrsinn der Sache. 

Ihr Parteifreund Nicolaus Fest hat gesagt: „Dank (Höckes) Rede haben wir jetzt in Thüringen dreißig Wähler mehr und im Westen dreitausend weniger, herzlichen Glückwunsch!“ Ist Höckes Verhalten also nicht objektiv ein Problem – selbst wenn seine Gegner persönliche Motive haben?

Gauland: Ob das mit den dreißig und dreitausend Stimmen wirklich so ist? Da bin ich skeptisch. Ich bekomme hauptsächlich E-Mails mit dem Appell: Schließt Höcke nicht aus! Übrigens, die meisten seiner Unterstützer sitzen nicht im Osten, sondern im Westen. Ich könnte Ihnen ganze Kreisverbände etwa in Baden-Württemberg nennen, die leidenschaftliche Höcke-Anhänger sind. 

Das sind Mitglieder – wie aber sieht es unter den Wählern aus?

Gauland: Eine schwierige Frage. Manche sagen in der Tat, Höcke sorge dafür, daß wir bei bürgerlichen Wählern nicht ankommen. Andererseits schreiben mir sogar Historiker, daß er völlig recht habe. Letztlich ist das Kaffeesatzleserei. Jeder hat eben seinen Bekanntenkreis. Im einen ist Höcke beliebt, im anderen nicht. Und jeder meint deshalb zu wissen, wie das im ganzen Land ist.      

Die AfD hat in den Umfragen massiv verloren, warum? 

Gauland: Nun, wenn einer eine Rede hält und der eigene Bundesvorstand klagt hinterher, die Diktion sei rechtsradikal und ein Fall für den Verfassungsschutz und man gar ein Gutachten beauftragt, das dem Parteifreund attestiert, sich der Sprache Adolf Hitlers befleißigt zu haben: Na, da kann ich verstehen, daß einige Wähler an die Mär glauben und sich natürlich abwenden! So macht man die eigene Partei kaputt. 

Frau Ludwig, wird sich die AfD spalten? 

Ludwig: Die AfD ist ein Sammelbecken von Konservativen, Glücksrittern und Radikalen. Ich glaube, das paßt langfristig nicht zusammen. Ich vermute, früher oder später wird die Spaltung unvermeidlich sein, und das wäre wahrscheinlich das Ende der Partei. Vielleicht bekommt die CDU anschließend eine Flut von Neuanmeldungen all derer, die sich ihrer Wurzeln zurückbesinnen. Die Tür sollten wir ihnen nicht vor der Nase zuschlagen, sondern uns freuen, daß sie dem demokratischen Wettbewerb um die besten Ideen und Lösungen wieder angehören möchten.  

Liegt sie damit richtig, Herr Gauland?

Gauland: Ich hoffe, daß es allen Beteiligten gelingt, den Weg der Vernunft zu gehen. Aber ich gebe zu, es gibt Momente, da bin ich diesbezüglich immer weniger zuversichtlich.

Manche betrachten eine Spaltung als Chance für einen Neubeginn.

Gauland: Nein, eine Spaltung wäre der Untergang der Partei.  

Die Spaltung verläuft ja offenbar zwischen Ihnen und Petry und scheint vor allem persönlicher Art zu sein. Ist ihr Zerwürfnis überhaupt noch zu kitten?

Gauland: Ehrlich gesagt, menschlich ist das schwierig. Entscheidend ist aber, was Frau Ludwig eben angesprochen hat, daß eine Spaltung vor der Bundestagswahl vermutlich der Untergang wäre. Da ich vermute, daß das allen Beteiligten klar ist, setze ich auf eine gewisse Kooperationsbereitschaft. Ich hoffe, daß ich mich nicht irre. Denn es gibt Parteimitglieder, die einen Kampf führen, den ich nicht nachvollziehen kann: die nämlich glauben, der Kampf gegen Höcke sei der Kampf gegen den Untergang. Tatsächlich aber heißt Höcke nicht Untergang. Im Gegenteil, Höcke auszuschließen – das würde Spaltung bedeuten! Und das wäre dann der Untergang! 

Ludwig: Trotz meines Respekts für Ihre Prinzipientreue – aber in dieser Situation führt sie dazu, daß Sie jemanden unterstützen, der es politisch nicht verdient! 

Gauland: Ich kann Ihnen guten Gewissens widersprechen, weil ich Björn Höcke persönlich gut kenne. Er ist alles andere als ein „Nazi“, er ist ein leidenschaftlich unser Deutschland liebender Nationalromantiker. Manchmal überzieht er, manchmal irrt er. Aber er hat auch viel geleistet. Etwa gelang es ihm, in Thüringen große Demonstrationen gegen die verfehlte Asylpolitik von Frau Merkel zu organisieren, so wie ich das in Brandenburg nie geschafft habe. Er hat auch viele Bürger für die Partei gewonnen. Kurz, er hat sich um die AfD verdient gemacht. Ob das Bürgertum sich wegen Höcke tatsächlich abwendet – wie gesagt, da bin ich skeptisch. Natürlich gibt es solche Fälle, aber noch einmal, die überwiegende Zahl der Zuschriften, die ich bekomme, besagen das Gegenteil. Nicht Höcke hat uns viele Sympathien gekostet, sondern daß wir ihn selbst zum Problem gemacht haben. An sich interessieren sich die Leute gar nicht so für Höcke, seine Rede und die Fragen, die er darin aufgeworfen hat, sondern für unsere Antworten auf ihre Nöte wie Arbeitslosigkeit, soziale Einschnitte, Einwanderung, Sicherheit und Enttäuschung über die etablierte Politik.

Einerseits geht für Sie, Herr Gauland, das Problem von Frauke Petry aus, andererseits warnen Sie vor einer Spaltung, ohne die Sie Petry aber nicht „loswerden“ können. Wie stellen Sie sich also die Lösung Ihres Problems vor?

Gauland: Sie müssen verstehen, daß ich den Streit überhaupt nicht persönlich sehe und daß mich in der Tat auch inhaltlich nichts von Frau Petry trennt. Mein Problem ist vielmehr, daß sie die Anhänger Höckes, die etwa ein Drittel der Partei ausmachen, loswerden möchte. Das ist alles, was zwischen uns steht. 

Sie möchte das, weil sie damit Ihr Lager schwächt, zu dem Höcke gehört. 

Gauland: Das ist nicht „mein Lager“. Nein, erstens ist Höcke für sie eine Konkurrenz und zweites glaubt sie, daß die AfD mit Höcke nie eine Koalition mit der CDU eingehen kann.

Björn Höcke sitzt im bevölkerungsschwachen Thüringen, ist weder im Bundesvorstand, noch will er in den Bundestag und wäre wohl auch als Parteichef nicht mehrheitsfähig. Inwiefern ist er da eine Konkurrenz?

Gauland: Er hat aber in der Partei – quer durch alle Bundesländer – eine Anhängerschaft von etwa dreißig Prozent. 

Dreißig Prozent sind keine Mehrheit, und nachdem er keine bundespolitischen Ambitionen hat – warum riskiert man lieber eine Art Bürgerkrieg in der Partei, als einen Gentlemen’s-Agreement mit ihm zu treffen?

Gauland: Tja, fragen Sie Frau Petry ... 

Sie wollen Ihre Ämter in Brandenburg aufgeben und sich offenbar ganz der Bundespolitik widmen. Haben Sie Ambitionen auf den Bundesvorsitz der Partei? 

Gauland: Nein, alles was ich will, ist die Partei zusammenzuhalten – mit Höcke, aber auch mit Petry und Pretzell.

Frau Ludwig, Herr Gauland will sozusagen alle seine Probleme behalten. Gute Nachrichten für die CDU?

Ludwig: Ich wünsche Herrn Gauland ganz sicher nichts Schlechtes. Die gute Nachricht ist, in den kommenden Wochen und Monaten werden die konservativen Wähler wieder ihren Weg zurück zu uns finden. Mein Optimismus speist sich aber weniger aus der Momentaufnahme der AfD. Das konservative Element in der CDU allgemein erfährt seit geraumer Zeit eine Renaissance. 






Dr. Saskia Ludwig, die ehemalige brandenburgische Oppositionsführerin ist Bundestagskandidatin der CDU für den Wahlkreis Potsdam-Mittelmark III/Potsdam III. Von 2010 bis 2012 war sie Partei- und Fraktionsvorsitzende der märkischen Union, außerdem zeitweise Mitglied des Bundesvorstands der CDU Deutschland. Bereits 2010 machte sie mit einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung auf sich aufmerksam, der Merkels Führungsstil und den Profilverlust der Union kritisierte. Geboren wurde die Wirtschaftswissenschaftlerin und Unternehmerin 1968 in Potsdam. 

Dr. Alexander Gauland, ist stellvertretender Bundesvorsitzender sowie Landes- und Fraktionsvorsitzender der AfD in Brandenburg. Der ehemalige Staatssekretär im Bundesumweltministerium war von 1973 bis 2013 Mitglied der CDU und leitete von 1987 bis 1991 die hessische Staatskanzlei unter CDU-Ministerpräsident Walter Wallmann. 1991 bis 2006 war er Herausgeber der Märkischen Allgemeinen in Potsdam sowie zeitweilig Kolumnist des Berliner Tagesspiegel. Er veröffentlichte etliche Bücher, darunter „Anleitung zum Konservativsein“ und „Die Deutschen und ihre Geschichte“. Geboren wurde der Jurist 1941 als Sohn eines durch die NSDAP frühpensionierten Polizeiobersten in Chemnitz.

Foto: Bundestagskandidaten Ludwig und Gauland im JF-Gespräch: „Wären Sie in der Union geblieben, lieber Herr Gauland, wären wir heute schon weiter. Durch Ihr Ausscheiden haben Sie den Konservativen einen Bärendienst erwiesen.“ „Folgt man Ihrer Argumentation, liebe Frau Ludwig, dürften die Konservativen gar nichts unternehmen. Was dazu führen würde, daß die Union keinen Druck verspürt und sich folglich auch nicht verändert.“

 

weitere Interview-Partner der JF