© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/17 / 17. März 2017

Zu langsam, zu umständlich
Terrorgefahr I: Polizei und Bundeswehr haben unter dem Namen „Getex“ den gemeinsamen Einsatz geübt / Ergebnis war ernüchternd
Peter Möller

Amoklauf in München. Am 22. Juli 2016 tötet der 18 Jahre alte Schüler David S. in der bayerischen Landeshauptstadt neun Menschen. Die Lage ist über Stunden unübersichtlich. An mehreren Stellen in der Stadt werden angeblich Bewaffnete gesichtet. 

Lange ist nicht klar, ob es sich nur um einen Einzeltäter oder um eine große Terrorlage mit mehreren Anschlägen nach dem Vorbild der Terrorserie von Paris im November 2015 handelt. Spezialkräfte aus mehreren Bundesländern sowie die GSG 9 machen sich auf den Weg. Unterdessen bereiten sich in München und Ulm auch Einheiten der Bundeswehr auf einen möglichen Einsatz vor. Auf Bitten des Münchner Krisenstabes hatte die Bundeswehrführung in Absprache mit Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) rund hundert Feldjäger (Militärpolizisten) und eine Sanitätseinheit alarmiert. Bis Mitternacht bleiben die Einheiten in ihren Kasernen in Bereitschaft. 

Erst mal einen dreiseitigen Antrag ausfüllen 

Obwohl die Soldaten nicht zum Einsatz kamen, löste ihre Alarmierung eine verfassungsrechtliche Debatte aus. Hätte der Einsatz der Bundeswehreinheiten gegen das Grundgesetz verstoßen? Über diese Frage wird bereits seit Jahren immer wieder heftig gestritten. Doch dadurch wird eine viel wesentlichere Frage verdeckt: Würde eine Zusammenarbeit von Polizei und Militär in einer Krisensituation überhaupt funktionieren?

Vor diesem Hintergrund fand Anfang März die Gemeinsame Terrorismusabwehr-Exercise (Getex) der Sicherheitsbehörden des Bundes und von sechs Bundesländern statt. Ziel war es zu erproben, welche rechtlichen und praktischen Möglichkeiten es für den Einsatz der Streitkräfte in Zusammenarbeit mit der Polizei im Inland gibt. Denn grundsätzlich legt das Grundgesetz die Bundeswehr auf die Landesverteidigung und den Katastrophenfall fest – nicht aber auf militärische Einsätze zur Unterstützung der Polizei. 

Das Bundesverfassungsgericht hatte allerdings 2012 geurteilt, daß die Bundeswehr bei Terrorangriffen mit „katastrophischen Ausmaßen“ auch im Inneren eingesetzt werden dürfe. Ob die Anschläge von Paris bereits in diese Kategorie fallen, oder erst ein sogenanntes „Paris plus“-Szenario, wird seitdem kontrovers diskutiert. 

Bei Getex handelte es sich um eine Stabsrahmenübung, das heißt, bis auf einige praktische Einsatzszenarien bei einer Pressevorführung in der Werdenfelser Kaserne im bayerischen Mur-       nau, waren keine aktiven Polizei- oder Bundeswehreinheiten beteiligt. Es ging zunächst einmal darum, die Zusammenarbeit der jeweiligen Kommandoebenen zu erproben. Das Szenario der Übung am Beispiel Bremen: Hier fordert ein Angriff von Terroristen auf zwei Schulen zahlreiche Tote und Verletzte. Zeitgleich finden in anderen Bundesländern ähnliche Terroranschläge statt. Die Polizei in Bremen und den anderen betroffenen Bundesländern ist daher auf sich allein gestellt. Deshalb fordert allein Bremen 1.000 Bundeswehrsoldaten zur Unterstützung an. Ähnlich reagieren die anderen betroffenen Bundesländer.

Die Ergebnisse der Übung waren ernüchternd. Vor allem die vorgeschriebenen bürokratischen Abläufe bei der Anforderung der Bundeswehr durch die Polizei erwiesen sich als zeitraubend. Bevor überhaupt ein Soldat in Marsch gesetzt werden konnte, mußten die Polizeiführer einen dreiseitigen Antrag mit einer ausführlichen Begründung ausfüllen. „Am zweiten Tag kommen die Bundeswehrsoldaten, die du am ersten Tag angefordert hast“, zitiert der NDR einen Spruch, der nach Angaben des Senders seit der Übung bei der Polizei kursiert. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) zog daher eine gemischte Bilanz. „Am ersten Tag waren wir zu langsam. Das hat zum Teil Stunden gedauert. Und deshalb haben wir dann in der Nacht vom ersten auf den zweiten Tag Schlüsse gezogen, Strukturen umgestellt, so daß wir am zweiten Tag sehr viel schneller waren. In der Spitze: Antragstellung bis Anforderung erfüllt: 20 Minuten.“ 

Doch auch rechtliche Einschränkungen machten sich bemerkbar. So wurden während der Übung nach Angaben von der Leyens zwei Anträge aus den Ländern auf Hilfe abgelehnt. Baden-Württemberg hatte etwa das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr für eine Geiselbefreiung angefordert, obwohl ein Spezialeinsatzkommando der Polizei verfügbar war.

Hoffen auf normative     Kraft des Faktischen 

Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) bekräftigte nach der Übung, daß trotz der Beteiligung von SPD-geführten Landesregierungen die Differenzen beim Thema Bundeswehr im Inneren bestehen bleiben. Und er sprach sich dagegen aus, künftig die Zusammenarbeit von Soldaten und Polizisten in der Öffentlichkeit zu üben: „Es ist nicht unsere Aufgabe, die Bevölkerung zu verunsichern“, sagt Mäurer.

Auch nach der Getex-Übung wird die Diskussion also weitergehen. Sicherheitsexperten hoffen für einen möglichen Ernstfall daher auf die normative Kraft des Faktischen. Es sei unwahrscheinlich, daß rechtliche Fragen im Ernstfall überhaupt eine Rolle spielen würden, heißt es mit Verweis auf Helmut Schmidt. Als Hamburger Innensenator hatte sich der SPD-Politiker 1962 während der Flutkatastrophe nicht um Paragraphen und Zuständigkeiten gekümmert, sondern das angeordnet, was notwendig war – trotz aller rechtlichen Bedenken.