© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/17 / 17. März 2017

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Sensationell aufgebauscht
Paul Rosen

Parlamentarische Anfragen waren immer schon ein wichtiges Mittel der Opposition, um die Regierung zu kontrollieren. Inzwischen hat sich ihr Charakter erweitert. Die Anfragen im Bundestag vor allem aus der Linksfraktion haben auch das Ziel, Druck aufzubauen, Themen zu setzen und neuartige Lagebilder zu erzeugen. 

3.313 Kleine Anfragen wurden in dieser Legislaturperiode bisher von den Fraktionen an die Regierung gestellt. CDU/CSU und SPD verzichten als Koalition weitgehend darauf, die eigene Regierung zu befragen (nur 35 Anfragen). Die Linke stellte 1.832 Anfragen bisher, und von den Grünen kamen 1.444 (Stand 1. März 2017). Gerade bei den Linken (aber auch bei den Grünen) fällt auf, daß der „Kampf gegen Rechts“ mit Abstand führendes Thema ist. 

Ende Februar machte eine Antwort der Regierung auf eine Kleine Anfrage der Linken Schlagzeilen: Mehr als 3.500 Angriffe auf Flüchtlinge und Flüchtlingsheime habe es im letzten Jahr gegeben. Das jedenfalls stand in einem Bericht der Funke-Mediengruppe, die unter anderem die Westdeutsche Allgemeine Zeitung und die Berliner Morgenpost herausgibt. Andere Medien wie Spiegel online und faz.net griffen die Meldung gerne auf und zitierten Jelpke aus dem Funke-Bericht: „Das sind nahezu zehn Taten am Tag.“ 

Die Empörungswelle schwappte ein ganzes Wochenende lang aus allen Radio- und Fernsehlautsprechern. Den Text der Regierungsantwort (veröffentlicht unter der Bundestags-Nummer 18/11298) schaute sich keiner der Empörungsjournalisten an. 

Die darin enthaltene Aufstellung des Bundesinnenministeriums listet über 20 verschiedene Straftatbestände auf, die „erkennbar im Zusammenhang mit der Asylthematik stehen“, insgesamt rund 3.500 Delikte für 2016. Zwei Delikte kommen überproportional vor: Die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (Paragraph 86a Strafgesetzbuch) wird in insgesamt 465 Fällen aufgelistet. Erwähnt werden Taten wie Hakenkreuzschmierereien zum Beispiel am 13. August in Rennenberg oder am 17. Januar im holsteinischen Reinfeld. „Volksverhetzung“ (Paragraph 130) gab es in 1.166 Fällen, etwa in Kehl, Welzheim, Augsburg und Bad Nenndorf. Auch eine „Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener“ (Paragraph 189) am 3. Dezember in Friedrichshafen wird dazu gezählt. Außerdem gehören zur Liste 614 Sachbeschädigungen und 321 Beleidigungen. 

Was gemeinhin unter Anschlägen verstanden wird, ist seltener in der Liste zu finden: 518 Körperverletzungen, 40 Nötigungen, 13 Sprengstoffdelikte. Die Statistik führt zudem 97 Brandstiftungen auf sowie jeweils fünf Mord- und Totschlagsversuche. 

Das sind immer noch sehr viele, ja zu viele Fälle; aber es sind nicht 3.500 „Gewalttaten“ gegen die 1,2 Millionen Asylbewerber in Deutschland. Zahlreiche Medien griffen den von der Linksfraktion angestoßenen Bericht gierig auf. Sie bekamen keine Sensation, sondern einen Beitrag zur Vertiefung ihrer Glaubwürdigkeitskrise.