© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/17 / 17. März 2017

„Einige EU-Staaten können den Aufstieg der Türkei nicht verdauen“
Auftrittsverbote für AKP-Politiker: Ankara sieht sich brüskiert und zieht alle Register
Marc Zoellner

Wut stand ihm ins Gesicht geschrieben, als Kemal K?l?çdaroglu vergangenen Sonntag vor die Menge trat. „Ich richte hiermit einen deutlichen Aufruf an unsere Regierung“, zürnte der türkische Spitzenpolitiker in Gegenwart Hunderter seiner Anhänger, die sich im südtürkischen Adana versammelt hatten. „Bitte setzt unsere Beziehungen zu den Niederlanden aus! Wir werden euch jegliche Unterstützung dabei gewähren.“

Daß K?l?çdaroglu der AKP-Regierung Recep T. Erdogans in aller Öffentlichkeit derart den Rücken stärkt, ist ungewöhnlich; sowohl vom Zeitpunkt als auch von der Person her: Denn immerhin steht in der Türkei im kommenden Monat die Volksabstimmung zur Reform der Landesverfassung an. Eine Neuordnung, welche unter anderem die Macht des Präsidenten Erdogan gegenüber Parlament und Regierung festigen und die türkische Nation nach den Vorbildern Frankreichs und den Vereinigten Staaten  in eine Präsidialdemokratie umwandeln soll. 

Als Vorsitzender der kemalistischen CHP, der größten Oppositionspartei im türkischen Parlament, zieht K?l?çdaroglu seit Wochen durch die Lande, um sein Wahlvolk auf ein „Nein!“ dazu einzustimmen. Doch vergangenen Sonntag war Schluß für den Kemalisten mit dem innertürkischen Zerwürfnis. „Diese Sache hat nichts mehr mit der Volksabstimmung oder einem Ja oder einem Nein zu tun“, beschwor der Oppositionsführer sein Gefolge. „Dies ist nun eine Sache der Nation.“

Nach einer Reihe von Auftrittsverboten türkischer Politiker in Deutschland in der vergangenen Woche hatten auch die Niederlande eine für vorigen Samstag geplante Veranstaltung des türkischen Außenministers Mevlüt Çavusoglu in der niederländischen Hafenstadt Rotterdam untersagt. Rund 40.000 Einwohner der Stadt, also rund jeder achte, stammen aus der Türkei. Unter diesen, die oft noch wahlberechtigt in der Türkei sind, wollte Mevlüt Çavusoglu für ein Ja zum Verfassungsreferendum werben. Doch noch am Vorabend entzog der Rotterdamer Bürgermeister Ahmed Aboutaleb die Erlaubnis zur Veranstaltung – offiziell aus Gründen der Sicherheit. 

Am folgenden Morgen erklärte Bert Koenders, der niederländische Amtskollege Mevlüt Çavusoglus, diesen gar zur unerwünschten Person. Çavusoglu  verlegte daraufhin den Veranstaltungsort auf das Gelände des türkischen Konsulats. Sein Flugzeug erhielt jedoch keine Landeerlaubnis, der AKP-Politiker mußte unverrichteter Dinge wieder Richtung Türkei abdrehen. „Die Hauptstadt des Faschismus“ seien die Niederlande, gab Çavusoglu noch im Flugzeug zu Protokoll und drohte dem kleinen Königreich mit weitreichenden wirtschaftlichen sowie politischen Sanktionen. 

Rechte der Türken in der Diaspora verteidigen

Auch der türkische Präsident ließ sogleich säbelrasselnd verlauten: „Das sind Nachfahren der Nazis, das sind Faschisten“, skandierte Erdogan zur Empörung der niederländischen Regierung. „Hindert unseren Außenminister am Fliegen soviel ihr wollt, aber von nun an werden wir sehen, wie eure Flüge in der Türkei landen!“

Zur Eskalation brachte den Konflikt jedoch eine weitere Ausweisung: Denn auch die aus Düsseldorf anreisende Bildungsministerin der Türkei, Fatma Betül Sayan Kaya, wurde vor den Toren des türkischen Konsulats in Rotterdam von niederländischen Bereitschaftspolizisten des Landes verwiesen. Auch sie wurde von der Regierung in Den Haag zur „unerwünschten Ausländerin“ erklärt. Tausende türkische Anhänger der AKP gingen daraufhin in Rotterdam auf die Straße. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Dutzende Verletzte beklagten gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu Ajansi (AA), mißhandelt worden zu sein. 

 Als Reaktion auf die beiden Ausweisungen ließ Ankara das niederländische Konsulat in der türkischen Hauptstadt absperren und dessen Botschafter, der derzeit außer Landes weilt, zur Persona non grata erklären. Erdogan bezeichnete die Niederlande als „Bananenrepublik“ und geißelte nach Angaben der Türkischen Rundfunk- und Fernsehanstalt (TRT) „einige EU-Staaten“, allen „voran Deutschland“. Diese könnten  den „Aufstieg der Türkei nicht verdauen“, so der Staatspräsident im türkischen Fernsehen. Vizepremier Numan Kurtulmus betonte dagegen, daß Ankara die „Rechte der 460.000 Menschen der türkischen Diaspora in den Niederlanden verteidigen und die nötige Antwort an die Niederlande erteilen“ werde.

„Die Türkei und die Niederlande sind zwei befreundete und verbündete Staaten, welche seit 405 Jahren ununterbrochen diplomatisch miteinander kommunizieren. Zu keiner Zeit hat es eine feindselige Einstellung untereinander gegeben“, begründete das türkische Außenministerium seine drastischen Schritte. „Doch mit ihren Maßnahmen hat die niederländische Regierung versucht, fast eine halbe Million unserer Bürger als Geisel zu nehmen und ihnen ihre fundamentalen demokratischen Rechte abzusprechen.“

Die Reaktion der Niederlande auf die türkischen Auftrittsgesuche steht nicht allein – auch in Dänemark und Österreich wurden mittlerweile AKP-nahe Veranstaltungen untersagt. „Worum es hier geht, ist nicht mehr nur eine Frage der Versammlungsfreiheit, sondern das ist eine Auseinandersetzung des politischen Islams mit den europäischen Werten“, unterstrich Österreichs sozialdemokratischer Bundeskanzler Christian Kern im österreichischen Fernsehen.

Kaum tiefer könnte der diplomatische Graben zwischen der Türkei und Europa sein als dieser Tage. Daß die kleinasiatische Republik noch als ernsthafter Beitrittskandidat zur Europäischen Union gehandelt wird, verneinen mittlerweile selbst Brüsseler Spitzenbeamte. Diesbezügliche Gespräche, verkündete Anfang der Woche Johannes Hahn, EU-Kommisssar für Europäische Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen, seien „de facto zum Stillstand gekommen“.

Nato-Mitgliedschaft? Ankara pocht auf Unabhängigkeit

Es verwundert daher kaum, daß Erdogan seit geraumer Zeit auch außerhalb der Europäischen Union und selbst der Nato nach neuen Bündnispartnern sucht. So werden türkische Truppen am 23. März erstmals gemeinsam mit chinesischen Einheiten zum „Tag der Republik“ in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad aufmarschieren. Auch mit Rußland, mit welchem Ankara bislang im Syrienkonflikt verfehdet war, wurde eine engere militärische Kooperation angekündigt. 

Die Türkei, so Erdogan, werde trotz Kritik seitens der Nato ihre Luftabwehrsysteme künftig aus Moskau erwerben; speziell die dort produzierten Boden-Luft-Raketensysteme vom Typ S-400. „Der Umstand, daß wir Nato-Partner sind“, so Erdogan, „bedeutet nicht, daß wir nicht unabhängig sind.“ Hinter beiden Handlungen steckt eine unmißverständliche Botschaft: Wenn ihr Europäer uns nicht wollt – wir haben noch genügend andere Partner.