© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/17 / 17. März 2017

In ihm herrscht gähnende Leere
Französische Präsidentschaftswahl: Emmanuel Macron als erster postmoderner Kandidat / Ein Porträt
Alain de Benoist

Es fällt leicht, sich über Emmanuel Macron, den früheren Wirtschaftsminister, zu mokieren, der der nächste Präsident der französischen Republik werden könnte: die kleine Mickymaus, die sich als Graf Rastignac verkleidet hat, das Kleine, das so groß wie ein Staatschef werden möchte, der Mikrometer (frz. micron), der sich zu einem Macron verwandelt hat, der Ken vom Pärchen Ken und Barbie, der christliche Fernsehprediger, der vor jedem den Unsinn herunterbetet, den dieser hören will. Doch all diese Zuschreibungen erfassen das Phänomen nur bruchstückhaft. Was zunächst auffällt, ist, daß Emmanuel Macron der erste „postmoderne“ Kandidat ist, den man jemals bei der Vorstellung zur Präsidentschaftswahl erlebt hat. Fundierte Argumente, überschwengliche Versprechen und für die Wähler bestimmte Beweisführungen – all das war noch Bestandteil der Moderne. Mit der Postmoderne ist man gefangen im Affekt in dessen Reinzustand – in der Emotion, in der Liebe, in der Ekstase. Das Gefühl überflutet alles, wie bei den Ansprachen von Gurus.

Sein einziger Standpunkt: gelungene Globalisierung

Einige werfen Macron vor, kein Programm zu haben und widersprüchliche Aussagen zu verbreiten. Doch man verlöre Zeit, wollte man sich darüber aufregen oder ihm etwas entgegensetzen. Im postmodernen System haben Widersprüche nicht die geringste Bedeutung, und es sind nicht Programme, mit denen man die öffentliche Meinung für sich gewinnt. Man gewinnt sie mit Körperhaltungen und mit Beschwörungsformeln. Es sind nicht die Worte, die zählen, sondern es ist die Metasprache. Indem Macron auf narrative Strategien zurückgreift, auf Überzeugungsmechanismen, die sich auf das stützen, was ihm die Algorithmen vorgeben, versucht er von einer einzigen Sache zu überzeugen: daß man mit ihm kommunizieren muß, daß man sich mit ihm vereinigen muß, daß man ihn so sehr lieben muß, wie er sich selbst liebt („Weil ich Präsident sein will, habe ich euch verstanden und liebe ich euch!“). In ihm herrscht gähnende Leere, doch diese Leere füllt ihn besser aus als jeder andere Inhalt. Eine Blase also, die jedoch stetig anschwillt. Ein politischer Mutant, ein typisch postmodernes Phänomen.

Jenseits der Banalitäten und der Platitüden, die er mit einer Unverfrorenheit aufhäuft, die nichts ins Wanken bringen wird, nimmt Macron einen konkreten Standpunkt ein, den man folgendermaßen zusammenfassen kann: gelungene Globalisierung, „Uberisierung“ der Gesellschaft und Prekariat für alle. So betrachtet ist Macron im vollsten Sinne ein Liberaler: er ist liberal in der Wirtschaft, ist liberal in „gesellschaftlicher“ Hinsicht, liberal in allem. Deshalb findet er gleichzeitig großen Anklang bei der „trendigen“ Linken, den realitätsfremden Ökonomen und den Anhängern der Mitte, die fasziniert sind vom Silicon Valley, von Jacques Attali (Wirtschaftswissenschaftler und langjähriger Berater des früheren französischen Staatspräsidenten Mitterrand) und Bernard Kouchner (Mitbegründer von „Ärzte ohne Grenzen“ und bis 2010 französischer Außenminister), von Alain Minc und Corinne Lepage, von Daniel Cohn-Bendit und Pierre Bergé.

Er verortet sich „außerhalb der Rechten und der Linken“, was aufschlußreich ist. Das wichtigste Merkmal des Populismus besteht ja tatsächlich darin, die horizontale Kluft zwischen Rechts und Links durch eine vertikale Kluft zwischen dem Volk und den Eliten zu ersetzen („die da oben“ gegen „die da unten“). Doch das Auslöschen der Kluft zwischen Rechts und Links läßt sich nicht nur an der Basis feststellen. Als Reaktion findet sie sich auch bei der herrschenden Klasse – mit dem Gedanken eines „nationalen Zusammenschlusses“, der darauf ausgerichtet ist, dem Populismus einen Riegel vorzuschieben und die „Aufsässigen“ beider Seiten auszuschalten. Dabei gibt es eine gewisse Logik: Zur selben Zeit, zu der er sich an der Basis mit einer aus der Linken hervorgegangenen Wählerschaft und einer aus der Rechten hervorgegangenen Wählerschaft verbündet, löst der Populismus an der Spitze einen Zusammenschluß von Fraktionen aus, die gestern noch Gegenspieler waren, heute jedoch keine Mühe haben, sich darüber bewußt zu werden, daß nichts sie wirklich voneinander trennt.

Zustimmung zu allem, was Grenzen überschreitet

Diese neue Strategie war bereits im Konzept des „Dritten Weges“ vorhanden, wie es zur Zeit von Tony Blair durch Anthony Giddens entwickelt wurde. Genau dieses findet man in Frankreich bei Emmanuel Macron wieder, dem Erben des „Blairismus“, wenn er uns versichert, „die wahre Kluft in unserem Land […] besteht zwischen Progressiven und Konservativen“, oder zu dem liberalen Guy Sorman, für den „die jüngste britische Volksabstimmung über den Ausstieg aus der Europäischen Union die konservative Rechte nicht von der linken Labour-Partei geschieden hat, sondern vielmehr die Anhänger einer Öffnung von denen einer Abkopplung“. Die „Abkopplung“ soll eigentlich für einen „Tribalismus“, also ein stammesgebundenes Denken, und eine „Abschottung“ stehen – es sollte aber klar sein, daß die „Öffnung“ die Zustimmung zu all dem bedeutet, was die Grenzen überschreitet, angefangen bei der Immigration und den Finanzmärkten. Die Einstellung von Macron stellt daher das spiegelverkehrte Gegenteil des Populismus dar. Sie strebt danach, die globalisierten Eliten jenseits ihrer Etikettierungen zu einigen – so wie die Populisten versuchen, das Volk zu einigen.

Aus dieser Sicht heraus stellte eine zweite Runde der Präsidentschaftswahl – bei der sich Marine Le Pen und Emmanuel Macron gegenüberstehen, und bei der somit keine der beiden großen Regierungsparteien präsent wäre, die Frankreich seit 30 Jahren abwechselnd regiert haben – tatsächlich eine historische Wende dar. Man sollte in einer solchen zweiten Runde jedoch nicht ein Votum für oder gegen den Front National, sondern ein Referendum über die Globalisierung sehen.

Foto: Emmanuel Macron: Er sieht sich weder als Rechter noch als Linker