© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/17 / 17. März 2017

„Die Betrüger namentlich nennen“
Altersbezüge: Am 21. März wollen ehemalige DDR-Flüchtlinge in Berlin erneut gegen den staatlichen Rentenbetrug demonstrieren
Paul Leonhard

Die Interessengemeinschaft ehemaliger DDR-Flüchtlinge hat in ihrem Kampf für Rentengerechtigkeit erneut eine Niederlage hinnehmen müssen. Das Bundesverfassungsgericht hat eine Verfassungsbeschwerde gegen die geänderte Bewertung von in der DDR zurückgelegten Rentenversicherungszeiten „nicht zur Entscheidung angenommen“. Der Beschwerdeführer habe sich „weder hinreichend mit der der geänderten Rentenberechnung zugrundeliegenden Rechtslage auseinandergesetzt, noch einen Verstoß gegen Grundrechte schlüssig dargelegt“, heißt es in der Begründung.

Geklagt hatte Gundhardt Lässig stellvertretend für rund 300.000 DDR-Flüchtlinge, die sich von der Bundesrepublik um einen Teil ihrer Rente betrogen fühlen. Hintergrund sind rückwirkende Veränderungen des Fremdrentengesetzes (FRG). Dieses sah in seiner Novellierung von 1960 vor, Vertriebene und Sowjetzonenflüchtlinge in das westdeutsche System einzugliedern. Berechtigte sollten bei den Renten so behandelt werden, als hätten sie ihr gesamtes Erwerbsleben in Westdeutschland verbracht. Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik änderte sich plötzlich die Rechtslage. Nach dem 1993 verabschiedeten Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) verloren Übersiedler ab dem Geburtsjahrgang 1937 ihre Rentenansprüche „West“ und wurden auf „Ost“-Niveau zurückgestuft. Bekannt wurde diese Neuregelung, als die ersten Betroffenen weniger Rente erhielten, als ihnen ausgerechnet worden war.

Zur Verwaltungsvereinfachung sei „die Vertrauensschutzregelung nicht mehr auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Rentenbeginns bezogen“, sondern gelte für alle Versicherten, die vor dem 1. Januar 1937 geboren sind und damit bei Inkrafttreten des RÜG 1991 bereits das 55. Lebensjahr vollendet hatten, während für die jüngeren Versicherten die allgemeinen Regeln zur Rentenüberleitung maßgeblich sind, erläutert das Bundesverfassungsgericht den Sachverhalt: „Diese Rentenberechnung kann zu einer geringeren Rente als bei Anwendung des FRG führen.“ Für die Betroffenen bedeutet das immerhin monatliche Einbußen von bis zu 500 Euro.

„Vertrauen in Gesetzeslage ist nicht schutzwürdig“

Während das Gericht die Auffassung vertritt, daß es keine geschützten Ansprüche auf diese höhere Rente gebe, weil sie nicht auf Eigenleistung beruhe, sondern ein „Akt besonderer staatlicher Fürsorge“ gewesen sei, hatte der Petitionsausschuß des Bundestages 2012 andere Schlußfolgerungen gezogen. DDR-Übersiedler und -Flüchtlinge sollten in den Bestand der Eingliederung vertrauen können. Aus Sicht der Abgeordneten blieb offen, ob der Gesetzgeber tatsächlich die negativen Auswirkungen auf die Gruppe der Übersiedler und Flüchtlinge im Blick hatte.

„Allein das Vertrauen in den Fortbestand einer gesetzlichen Lage ist nicht schutzwürdig“, heißt es dagegen in den Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts. Und auch auf die Politiker sollte sich niemand verlassen. Als Bündnisgrüne und Linke 2016 im Bundestag gemeinsam einen Antrag einbrachten, nach dem die Betroffenen die versprochenen Renten erhalten sollten, nutzten sie einen Entwurf der SPD, den einst Bundessozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) abgelehnt hatte. Diesmal lehnte ihn SPD-Bundessozialministerin Andrea Nahles ab.

Gegenüber dem ARD-Magazin „Plusminus“ begründete sie ihre Entscheidung mit „verfassungsrechtlichen Problemen“ und „Gerechtigkeitslücken“. Die Betroffenen wollen ihren Kampf für Gerechtigkeit fortsetzen. „Wir haben ein Recht auf unsere FRG-Rente“, heißt es in einem aktuellen Aufruf der Interessengemeinschaft ehemaliger DDR-Flüchtlinge an „alle betrogenen Flüchtlinge, Häftlinge und Alt-Übersiedler“. Für den 21. März rief Wolfgang Mayer von der Interessengemeinschaft zu einer Demonstration mit Lautsprecherwagen durch das Berliner Regierungsviertel auf: „Kämen am 21. März nur 0,1 Prozent der Betroffenen, wären wir gut 300 Mann.“ Auch dürfe man sich „nicht länger scheuen, die Betrüger namentlich zu nennen: die Sozialminister Blüm, Riester, Clement, Schmidt, Müntefering, Scholz, Jung, von der Leyen und Nahles“, so Mayer.

Interessengemeinschaft ehemaliger DDR-Flüchtlinge: www.flucht-und-ausreise.info