© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/17 / 17. März 2017

Pankraz,
Immanuel Kant und die Liebe zur NSA

Genau drei Jahre ist es jetzt her. Am 20. März 2014 begann der NSA-Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages mit der „Untersuchung von Ausmaß und Hintergründen der Ausspähungen durch ausländische Geheimdienste in Deutschland“. Herausgekommen ist bisher nichts, abgesehen von der Erkenntnis sämtlicher, extra dafür hochbezahlter Ausschußmitglieder, daß die National Security Agency (NSA), der größte staatliche Auslandsgeheimdienst der USA, tatsächlich ein Geheimdienst ist, also Daten sammelt, ohne das öffentlich zu machen.

Die Empörung unter den Ausschußmitgliedern war und ist  groß. Man sprach von mangelnder Transparenz, unerlaubten Eingriffen in die Privatsphäre, erregte sich zusätzlich darüber, daß der deutsche BND beim Austausch von Daten ungeniert mit der NSA zusammengearbeitet hatte. Einer zitierte sogar den großen Philosophen Immanuel Kant, der in seiner berühmten Friedensschrift von 1795 formuliert hat: „Folge als Politiker nur solchen Maximen, die der Publizität bedürfen, um ihren Zweck zu erreichen!“

Armer Kant! Er formulierte seinen politischen Imperativ zweifellos als Gegenwort zu der zu seiner Zeit dominierenden höfischen Arkanpolitik, wo alles durch Geheimabsprachen der Mächtigen geregelt wurde – und eines Tages marschierten dann plötzlich die Armeen, ohne daß „von unten“ noch etwas dagegen zu machen war. Damit ist es ja wahrhaftig endgültig vorbei.  Bevor heute aus einem, mag sein zunächst noch halbwegs vertraulichen, Kabinettsbeschluß echte, praktische Politik werden kann, bedarf es in jedem Falle geradezu brüllender Öffentlichkeit. Extra-Imperative sind hier überflüssig.


Trotzdem gibt es nach wie vor in allen politischen Regimen der Welt Geheimabsprachen, politische Dokumente höchster Geheimhaltungsstufe, staatliche Geheimdienste sonder Zahl, wo die Spitzel und andere „Geheimnisträger“ ein und aus gehen und deren Matadore sich argwöhnisch gegenseitig beäugen und informationell beklauen. Man darf sogar sagen: Die Geheimnistuerei, der Kampf um den Exklusivbesitz geheimer Daten und Informationsstränge hat im Zeichen von Internet, Big Data und „globaler Transparenz“ rapide zugenommen, und er wird immer raffinierter, siehe etwa die von allen Seiten betriebenen Hackerangriffe.

Eine richtige Dialektik von Geheimnistuerei und Transparenzhuberei läßt sich beobachten: Je mehr Transparenz, desto mehr Geheimnisstiftung, und je mehr Geheimnisstiftung, desto mehr Enthüllungseifer. Geheimhalter und Enthüllungsjäger stehen sich jedoch nur scheinbar unversöhnlich gegenüber. Schon oft ist herausgekommen daß gerade die „erfolgreichsten“ Enthüllungsjournalisten in Wirklichkeit Mitglieder oder enge Vertraute jener Geheimnisträger waren, die sie angeblich enthüllten. Und umgekehrt lancierten zahlreiche prominente Geheimnisträger in voller Absicht wichtigste Enthüllungen in die Öffentlichkeit.

Der spektakulärste Fall war bisher wohl der Fall Roman Malinowski während der vorletzten Jahrhundertwende im vorrevolutionären Rußland. Der Mann war führendes Mitglied der  Bolschewikenpartei, faktisch der zweite Mann hinter Lenin, Führer ihrer Duma-Fraktion und gefürchtet-bewundert wegen seiner Enthüllungen zahlreicher Regierungsgeheimnisse. Gleichzeitig war er aber führendes Mitglied der zaristischen Geheimpolizei Ochrana und offenbarte dieser alle Geheimnisse, die er als Häuptling der Bolschewiken mitbekam. Nach dem Oktober 1917 kam alles heraus, und Malinowski wurde exekutiert.

Russische Historiker weisen darauf hin, daß die Ochrana damals nur einen Teil von dessen  Infos an die offizielle Zarenregierung in Sankt Petersburg weitergegeben habe. Sie spielte ihr eigenes Spiel, welches durchaus nicht immer vollkommen mit dem der Regierung übereinstimmte. Und genauso verhält es sich mit politischen Geheimdiensten und ihren Chefs insgesamt, egal ob sie Diktaturen oder Demokratien dienen. Geheimdienstchefs sind nirgendwo bloße Minister, sie fungieren überall als eine Art Nebenregierung oder „Wahrheitszentrum“, auf das die Regierungen Rücksicht nehmen müssen.


Keineswegs immer muß das den Staaten zum Nachteil ausschlagen. Kraft der Datenfülle, über die die Geheimdienste verfügen, nicht zuletzt durch die vielen direkt dem Volk abgelauschten Spitzelberichte der „inoffiziellen Mitarbeiter“ sind sie früher und genauer über das, was wirklich passiert, informiert als die offiziellen Honoratioren an den Schalthebeln. Sie bilden sich ihre Privilegiertheit also nicht nur ein. Markus Wolf, der langjährige Chef des DDR-Auslandsnachrichtendienstes, der 1986 kaltgestellt wurde, wäre gewiß ein besserer Regierungschef als Erich Honecker gewesen.

Über die neulich bekanntgewordenen schweren Differenzen zwischen dem US-Präsidenten Donald Trump und dem Geheimdienst CIA (Central Intelligence Agency) läßt sich zur Zeit schwer etwas sagen. Die CIA ist gewissermaßen die direkte Spitzelabteilung der NSA; sie soll ihre Informationen weniger durch digital-technologische Maßnahmen als vielmehr durch schlichte, genaue Befragung von Einzelmenschen (Human Intelligence) beziehen. Gut möglich, daß der sich volksnah wähnende, eifrig twitternde Präsident mit der allzu ausgedehnten  und deshalb „volksfernen“ CIA-Bürokratie unzufrieden ist.

Wie aber auch immer, mit dem politischem Imperativ aus der Friedensschrift des Immanuel Kant aus dem Jahre 1795 ist dem aktuellen Ineinander  aus Transparenz-Sehnsucht und sorgfältiger Geheimhaltung schwerlich beizukommen, da helfen auch die teuersten Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages nichts. 

Ein neuer politischer Imperativ muß her. Er könnte etwa folgendermaßen lauten: Gehe als Politiker stets von der Tatsache aus, daß der Mensch ein Lebewesen ist, das – um zu überleben – sowohl ent-bergen als auch ver-bergen muß, daß also sowohl Transparenz wie Geheimnis notwendig sind und ein genaues Maß zwischen ihnen gebraucht wird!