© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/17 / 17. März 2017

Den Bildern nicht glauben
Dokumentarfilm im Kino: „Die letzten Männer von Aleppo“ werfen Fragen auf
Sebastian Hennig

Der progressive kalifornische Senator Hiram Johnson soll zu Beginn des Ersten Weltkriegs festgestellt haben: „Das erste Opfer eines jeden Krieges ist die Wahrheit.“ Inzwischen wissen wir, daß jedes weitere Opfer, so unschuldig es an sich sei, als Halbwahrheit auf dem Altar der parteiischen Lüge geopfert wird. Der Film „Die letzten Männer von Aleppo“ liefert die Probe aufs Exempel. Er will uns glauben machen, wir sähen einem heroischen Beharrungskampf der Stadtbevölkerung gegen die Folgen eines wahllosen Bombardements ziviler Einrichtungen zu.

Die Zivilschutzorganisation der Weißhelme haben wir dabei als private Selbsthilfe drangsalierter Einwohner Aleppos wahrzunehmen. Doch macht als erstes die schmucke Ausrüstung der Männer stutzig. Inmitten der Trümmerlandschaft rasen sie mit blitzblanken Helmen, mit dem gelbblauen Label ihrer Organisation auf der Kleidung und nicht etwa in ihren privaten Gebrauchtwagen durch verwüstete Straßen.

In solchen Situationen waren und sind es weltweit die Frauen, die Alten und die Kriegsgefangenen, die mit dem Aufräumen beschäftigt sind. Aber hier handelt es sich um junge Männer im wehrfähigen Alter. In Wirklichkeit sind es Rekruten westlicher Organisationen, deren Nichtregierungsstatus vor allem besagt, daß sie gegen die syrische Regierung gerichtet sind und kein direkter Zusammenhang zu den beauftragten Regierungen hergestellt werden soll. 

Das Drama über gut hundert Minuten wird sehr langweilig, sobald man sich nicht zur Betroffenheit entschließen will. Zugleich entsteht viel Zeit, um Fragen aufzuwerfen, was uns hier vorgemacht werden soll. Kein Wort verliert der Film darüber, wer die Weißhelme ausstattet. Dabei stellt selbst der deutsche Wikipedia-Eintrag der Weißhelme deren Unabhängigkeit in Frage. Diese Formation ist angebunden an Organisationen wie die Mayday Rescue Foundation und The Syrian Campaign. Diese wirbt auf ihrer Netzseite: „For a free and peaceful Syria, und jene hat ihren Sitz in den Niederlanden. In der englischen Wikipedia erfahren wir über die Mayday Rescue Foundation, sie sei von James Le Mesurier, einem ehemaligen britischen Armeeberater 2014 gegründet worden und betreibe derzeit hauptsächlich Büros im Mittleren Osten, in der Türkei und in Jordanien. An sich wäre daran nichts Fragwürdiges. Allein wie beharrlich uns der Film dies verschweigt, gibt zu denken. Le Mesurier macht auf dem Werbefoto ein Gesicht wie Martin Freeman als Dr. Watson in der BBC-Serie „Sherlock“, halb traumatisiert, halb entschlossen. Kintopp und Propaganda sind eineiige Zwillinge.

Wenn das nicht alles so ärgerlich wäre, könnte man darüber lachen. Denn die Bomben fallen ja wirklich, Frauen und Kinder sterben. Aber Aleppo ist durch städtebaulichen Wildwuchs schon zerstört worden, bevor es von Bomben zerstört wurde. Die unbewohnten Trümmerzeilen der Betonwohnburgen liegen wie ein unbezwingbares Kalkgebirge in der mediterranen Sonne. 

1945 in Dresden haben Frauen Brände gelöscht 

Wenn das Presseheft die Journalisten eigens mahnt, den syrischen Regisseur Feras Fayyad als den Autor des Films zu nennen und nicht den Co-Regisseur Steen Johannessen, dann legt das den Verdacht besonders nahe, daß es genau andersherum war. Die westlichen Marketingspezialisten werden in einem sicheren Hotel residiert haben, während ihnen die erprobten Haudegen des Aleppo Media Center zwischen September 2015 und Herbst 2016 die brauchbaren Aufnahmen beschafften. Diese schmutzige Feldarbeit wurde von der Nichtregierungsorganisation International Media Support mit Sitz in Kopenhagen unterstützt. Ein Fotograf des Aleppo Media Center erregte mit dem Foto des aus den Bombentrümmern geborgenen Knaben Omran Aufsehen. Bald darauf wurde bekannt, daß er mit den hierzulande als gemäßigt geltenden Zenki-Milizen posierte, die auf der Ladefläche eines Transporters einem Zwölfjährigen den Kopf abschnitten.

Da kommt einem sofort die Dresdner Kultur-Kamarilla in den Sinn, als sie unlängst einmal mehr das Gedenken an die Zerstörungen der Stadt im Februar 1945 unterlaufen wollte (JF 7/17). Es wurde viel berichtet über den gefeierten syrischen Nachwuchskünstler Manaf Halbouni, der seit acht Jahren in Deutschland lebt. Er kann darum kaum mehr über den gegenwärtigen Zustand in seiner Heimat wissen als wir. Mit Realien stellte er ein ungeprüftes Dokumentarfoto im Herzen des wieder aufgebauten Dresden nach und traf dabei knapp daneben (JF 8/17). Hat der Oberbürgermeister überhaupt gewußt, was die Aussage, Dresden sei keine unschuldige Stadt gewesen, nach sich zieht. Jedenfalls haben im Februar 1945 beherzte Frauen auf den Dachböden in der Inneren Neustadt die Brände gelöscht und ganze Straßenzüge gerettet. Sie wußten zu diesem Zeitpunkt nicht, wie es um ihre Männer an der Front steht.

Ihre Leidensgefährtinnen von Aleppo mögen sich zuweilen denken: Diese letzten Männer von Aleppo sind wirklich das Letzte. Sie tun wichtig, sind behäbig und stehen sich und anderen dabei im Weg. Hätte man sie in Ruhe und Frieden gelassen, so wären die kindlichen Männer die Freude ihrer barmherzigen und sanftmütigen Ehefrauen und Mütter geblieben. Während jene den Hausstand zusammenhalten, hätten diese Kindsköpfe bei Limonade und Tee auf der Gasse gesessen und über Gott und die Welt geredet, wie es seit Jahrhunderten in der Levante Brauch ist. Geb’s Gott, daß es wieder soweit kommt. Bis dahin mögen die Netzwerke angelsächsischer Philanthropen ihre Legenden anderswo anbieten. Wir können ihnen kein Wort und kein Bild glauben.