© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/17 / 17. März 2017

Ursprünge und Entwicklung der Begriffe „Demokraten“, „Republikaner“ und „Populisten“
Dem Namen nach
Traute Petersen

In der ältesten Demokratie der Neuzeit, den USA, ringen seit jeher zwei Parteien darum, Mehrheiten zu gewinnen und politische Ämter zu besetzen. Die eine der beiden Parteien nennt sich „Demokraten“. Bedeutet dies, daß die „Republikaner“ keine Demokraten sind? Wenn Demokratie diejenige Staatsform ist, in der das Volk herrschen soll, wieso protestieren dann monatelang „Demokraten“ gegen den demokratisch gewählten Repräsentanten dieses Staates, einen „Republikaner“, den sie zeitgleich als gefährlichen „Populisten“ kritisieren? Müßte der Begriff Populist, abgeleitet vom lateinischen populus, nicht zunächst einmal einen „Mann des Volkes“ bezeichnen, also eher als Ehrentitel denn als Schimpfwort gelten? Woher die polemische Aufladung dieses Begriffs? Und warum erscheinen in den demokratischen Gesellschaften Amerikas und Europas, wie kürzlich noch bei der Wahl des deutschen Bundespräsidenten, besorgte Beschwörungen der Gemeinsamkeit aller Demokraten eher als Ausdruck von deren Spaltung?

Das polemische Potential der drei Begriffe „Demokraten“, „Republikaner“, „Populisten“ ist keine Begleiterscheinung moderner Parteiendemokratie und Wahlkampfrhetorik. Wie vieles aus der heutigen politischen Terminologie stammen auch diese drei Begriffe aus der Antike. Da hier Sache und Begriff zum Zeitpunkt ihrer Entstehung noch weitgehend identisch sind, kann ein Blick auf diese Anfänge helfen, Bedeutung und Bedeutungswandel solcher Termini zu klären.

Auffällig gemeinsam ist allen drei Begriffen, daß sie von Anfang an als schillernde Kampfparolen in gesellschaftspolitischen Krisen fungieren. Ihre Stoßrichtung zielt auf die jeweils privilegierten oder führenden politischen Kräfte. Unter entsprechenden Parolen versammeln sich Gruppen, die sich als politisch oder sozial Benachteiligte verstehen – allerdings nicht in Form einer spontanen „Bewegung von unten“, in der etwa aufmüpfige Bürger mit Protesten oder Forderungen auf die Straße gehen. Vielmehr angeführt zumeist von Angehörigen des Establishments, die hierbei durchaus auch eigene Machtinteressen verfolgen. Da deren Durchsetzung innerhalb der Netzwerke der etablierten Machtelite auf Widerstand stößt, sucht man die Unterstützung einer breiten, nicht-elitären, unzufriedenen Klientel und beginnt an deren Spitze die Auseinandersetzung mit dem Establishment. Im Zusammenhang mit der Entstehung des Begriffs Demokratie sind diese Elemente bereits wie in einem Brennglas zu beobachten.

Der Begriff entwickelte sich im antiken Athen aus den wachsenden sozialpolitischen Spannungen zwischen Adel und nichtadligem Volk, dem „Demos“. Für den Adel bedeutete Herrschaft: die Regierungsgeschäfte in der Polis auszuüben. Nachdem die Angehörigen des Demos, vor allem der Mittel- und Unterschicht, entscheidend zum Sieg in den Perserkriegen beigetragen hatten, forderten deren Wortführer nun entsprechende politische Rechte. Im Gegensatz zum bisherigen adlig-oligarchischen „archein“ (anführen, regieren) setzten sie dabei auf „kratein“, auf den Gewinn der entscheidenden, ausschlaggebenden Herrschaftsgewalt. Ein Teil des Volkes, der Demos, wurde somit Partei und verlangte unter der Kampfparole „Demo-kratie“ die Herrschaft über das Ganze, die Verfügungsmacht über die gesamte Polis. „Demokratie“ bedeutete also zunächst nicht Herrschaft „des“ Volkes, das heißt aller männlichen Bürger, sondern Herrschaft der größeren Partei, des aufstrebenden, größeren Teils der Bürgerschaft über den kleineren.

In Rom gewinnt der Begriff populus neben der verfassungsrechtlichen eine neue sozialpolitische Bedeutung. Populus – „Volk“ – bezeichnet nun nicht mehr nur die Gesamtheit aller Bürger, sondern auch das „einfache“, „niedere“, „gemeine“ Volk. 

Unter der Herrschaft dieses Demos weitete sich der ursprüngliche Kampfbegriff zum Anspruch einer für alle Bürger normativ geltenden Staatsform, die über das Mehrheitsprinzip allen die gleichen politischen Rechte und sozialen Aufstiegschancen eröffnete. Im Zeichen dieser Demokratie erlebte Athen unter der Herrschaft des alljährlich demokratisch bestätigten Strategen Perikles eine politisch-kulturelle Blütezeit – nicht wegen, sondern gewissermaßen in ironischem Widerspruch zur offiziell geltenden Staatsform: „dem Namen nach eine Demokratie, in Wahrheit die Herrschaft des ersten Mannes“ (Thukydides).

Gleichzeitig polemisierte die unterlegene oligarchische Partei, die sich mit den neuen Mehrheiten nicht abfinden mochte, verächtlich gegen die Anfälligkeit der Demokratie für Demagogie und Pöbelherrschaft. Beide Lager, das demokratische und das oligarchische, fanden in dem erneut ausbrechenden Kampf interessierte Verbündete außerhalb Athens und außerhalb Griechenlands, so daß der Brandherd innergriechischer Rivalitäten sich bald zu einem nach damaligen Vorstellungen „globalen“ Machtkampf entwickelte, in dessen Verlauf Athen nicht nur seine hegemoniale Stellung in Griechenland verlor, sondern schließlich auch seine politische Freiheit an auswärtige Mächte, zuletzt an Rom.

Hier, in Rom, erlebte der Begriff „Republik“ eine andere Entwicklung. Hier richtete sich die Stoßrichtung nicht im Interesse aufstrebender Volksschichten gegen einen dominierenden Adel. Hier war es der Adel selbst, der mit der Vertreibung des letzten etruskischen Königs aus Rom eine Monarchie entmachtete, die die Herrschaft über das Gemeinwesen und dieses selbst als Privatangelegenheit eines einzelnen gehandhabt hatte. An die Stelle einer „res privata“ trat nun die „res publica“, eine öffentliche Angelegenheit, die alle römischen Bürger anging.

Ohne monarchische Spitze organisierte sich diese Republik freilich nicht demokratisch. Entsprechend der dy­archischen Formel „Senatus Populusque Romanus“ lag die faktische Regierung in den Händen des senatorischen Adels. Das Volk, abgestuft nach Ständen, Gruppen und Klassen, konnte in Abstimmungen lediglich ein zustimmendes oder ablehnendes Votum zu vorgelegten Fragen abgeben. Jahrhundertelang bot die republikanische Formel SPQR den gemeinsamen Rahmen, innerhalb dessen politische, soziale und ökonomische Spannungen zumeist mit klugen Kompromissen austariert wurden.

Als sich aber die stadtrömische Republik zu einem Weltreich aus- und überdehnte, wuchsen diese Spannungen bedrohlich an. Zwischen der gewinn- und machtorientierten Oberschicht und der ursprünglich freien, nun zunehmend verarmenden bäuerlichen Mittelschicht öffnete sich eine Kluft, an deren Enden sich zwei Parteien bildeten: auf der einen Seite die Optimaten, die „Besitzstandswahrer“ in der Senatsaristokratie, die ihre alten und neuen Privilegien verteidigten, auf der anderen Seite die Popularen als Wortführer der ins Proletariat absinkenden „Modernisierungsverlierer“, der land- und mittellosen Bürger, die bald außer Kindern und Stimmrecht nichts mehr besaßen.

 Bereits in der Namenswahl begründeten die Optimaten ihre qualitative Überlegenheit als die „Besten“. Die Namenswahl der Popularen erschien weniger eindeutig. Denn zum römischen populus, zur gesamten Bürgerschaft, gehörten ja auch die attackierten adligen Eilten. In ihrem Kampf gegen die Optimaten verstanden sich die Popularen aber vor allem als Sachwalter eines Teils dieser Bürgerschaft, der politisch-ökonomisch abgehängten „Loser“. Ähnlich wie die frühen athenischen „Demokraten“ agierten sie dem Namen nach als Vertreter des gesamten Volkes, faktisch als Interessenvertreter eines seiner Teile – im Unterschied zu Athen aber nicht des politisch aufstrebenden, sondern des sozial absinkenden Teils.

Damit gewinnt der Begriff populus neben der verfassungsrechtlichen eine neue sozialpolitische Bedeutung. Populus – „Volk“ – bezeichnet nun nicht mehr nur das Staatsvolk und die Gesamtheit aller Bürger, sondern auch das „einfache“, „niedere“, „gemeine“ Volk, auf das sozial Höherstehende gleichgültig oder abschätzig herunterschauen und herablassend von „Plebs“, „Proletariat“ oder „Pöbel“ sprechen – alliterativ bedingt und alternativ im Deutschen auch wohl von „Pack“.

Wieweit ähneln sich heutige „Populisten“ und antike Popularen mit ihren Angriffen auf das Establishment und ihrem diffusen Volksbegriff? Wieweit antike Optimaten und heutige Parteienkartelle mit ihrem Beharren auf eingespielten Machtstrukturen?

In ihren zunehmend aggressiven Auseinandersetzungen verloren die römischen Optimaten und Popularen mit dem Bewußtsein der gemeinsamen res publica auch die Kompromißfähigkeit: Hier diejenigen, die ihren überkommenen Führungsanspruch angesichts gewaltiger innen- und außenpolitischer Krisen unbeirrbar-trotzig verteidigten, dort diejenigen, die für Alternativen und Reformen mit teilweise revolutionären, sogar basisdemokratischen Elementen warben. Verfassungsbrüche, Mord und Totschlag eröffneten selbstzerstörerische Bürgerkriege, in denen sich keine Seite für längere Zeit behaupten konnte. Als sich schließlich ehrgeizige und machthungrige einzelne als Retter in der Not anboten, überließen ihnen Senat und Volk immer umfangreichere, außerordentliche Machtbefugnisse. Am Ende stand die Rückkehr der Alleinherrschaft im Kostüm einer angeblich „wiederhergestellten Republik“.

Wieweit ähneln sich heutige „Populisten“ und antike Popularen mit ihren Angriffen auf das Establishment und ihrem diffusen Volksbegriff? Wieweit antike Optimaten und heutige Parteienkartelle mit ihrem unbeirrbaren Beharren auf eingespielten Machtstrukturen und ihren einträglichen Netzwerken aus Postenschacher und Privilegien?

Und ähneln sich nicht auch manche Vertreter dieses Establishments und manche der von ihnen so ostentativ verabscheuten Populisten? Wenn man statt eigener Überlegenheit die Inkompetenz oder Korruption des Gegners ins Feld führt? Wenn politische Kontroversen zu ethisch-moralischen Ge- und Verboten umfunktioniert werden? Hier: „gut“, „anständig“ und „richtig“, dort „falsch“ und „böse“. „Retter der Demokratie“ gegen deren „Zerstörer“, vereint im Kampf um die „richtigen“ Fakten und Begriffe, um „Wahrheiten“ gegen „Fake News“.

Obwohl der Begriff Demokratie inzwischen, wie im Perikleischen Zeitalter, normative Bedeutung erlangt hat, lebt der ursprünglich polemische Charakter des Begriffs in solchen Auseinandersetzungen wieder auf. Offenbar hatten die Gründungsväter der USA bestimmte historische Vor- und Schreckbilder vor Augen, als sie für die von ihnen entworfene Verfassung statt des Begriffs Demokratie denjenigen der Republik wählten. War doch diese Verfassung zugleich der Gründungsakt, mit dem sich eine bis dahin bunt gemischte Bevölkerung als Bürgergesellschaft konstituierte: „E pluribus unum.“ Für dieses „unum“ benötigte die Verfassung wenige Sätze. Sie verlieh der neuen Bürgergesellschaft demokratische Rechte und Pflichten im Rahmen einer allen gemeinsamen res publica; auf den polemischen kratos-Begriff konnte der hier neu konstituierte Demos, anders als im antiken Athen, verzichten.

Am Ende des jüngsten amerikanischen Wahlkampfs ließen zwar wütende Verlierer Bilder des Gewinners in Flammen aufgehen, und protestierende Demonstrationszüge gehören nach wie vor fast zur Tagesordnung. Aber im Anblick des Sternenbanners legen dort „Demokraten“, „Republikaner“ und „Populisten“ nach wie vor einträchtig die Hand aufs Herz.

2017 wird für Europa ein Jahr der Wahlkämpfe, auf deren Härte uns schon jetzt „Demokraten“ wie „Republikaner“ und „Populisten“ mit provozierend-polemischem Vokabular einschwören – gleichzeitig mit rhetorischen Warnungen vor Spaltungen und in mahnenden Appellen an Gemeinsamkeiten. Mit welchen Blicken und Gesten werden sich am Ende dieser Wahlkämpfe wohl die europäischen Demokraten unter ihren diversen Hoheitszeichen versammeln –  unter den unterschiedlichen Trikoloren etwa Frankreichs oder Italiens, den verschiedenfarbigen lateinischen und griechischen, republikanischen und monarchischen Kreuzen, den roten polnischen und schwarzen deutschen Adlern?






Dr. Traute Petersen, war von 1989 bis 1993 Vorsitzende des Verbands der Geschichtslehrer Deutschlands. Tätigkeit im schleswig-holsteinischen Hochschul- und Schuldienst. Publikationen zu historischen, bildungspolitischen und kunstgeschichtlichen Themen unter anderem in der FAZ, der SZ, der Welt sowie in diversen Verlagen, zuletzt „Augustus. Die Inszenierung von Politik“ (2015).

Foto: Gaius Julius Cäsar, Augustus, Perikles (o. v. l. n. r.); Rußlands Präsident Wladimir Putin, US-Präsident Donald Trump und Marine Le Pen, französische Politikerin (u. v. l. n. r.): Immer im Namen des Volkes – Populisten in der Antike und heute