© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/17 / 17. März 2017

Nur eine politische Selbstvergewisserung
Eine Studie in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte zu Carl Schmitt und Hans Rothfels im Bann der Bewältigung
Ralf Heidbrink

Dirk Blasius, emeritierter Professor für Sozial-, Wirtschafts- und Rechtsgeschichte der Universität Duisburg-Essen, hat lange, auf Pfaden Michel Foucaults wandelnd, zur Geschichte der Psychiatrie in Deutschland geforscht. Daneben trat er mit soliden Studien zu Lorenz von Stein (1815–1890, JF 47/15), dem Vordenker des Sozialstaats, auf den Plan. Erst als er schon auf den Ruhestand zusteuerte, entdeckte er das Feld der Zeitgeschichte, beleuchtete „Weimars Ende“ (2005), gab sich hier aber vor allem einer Obsession namens Carl Schmitt hin.

Getrieben von der Furcht, die international auf Hochtouren laufende Rezeption eines der wirkungsmächtigsten deutschen Staats- und Völkerrechtler könnte den „Kronjuristen“ des Führerstaates hinter den modernen „Klassiker“ politischer Theorie verschwinden lassen und ihn damit den Mühlen der „Bewältigungsindustrie“ (Armin Mohler) entreißen, legte Blasius 2001 eine schmale Monographie über „Carl Schmitt. Preußischer Staatsrat in Hitlers Reich“ vor. Sie sollte der „Enthistorisierung“ Schmitts, die von seiner „politischen Theologie“ becircte Ideenhistoriker angeblich betrieben,  entgegenwirken.

Das Büchlein ist für die Schmitt-Forschung nur insoweit von Belang, als es erfreulich prägnant das Selbstverständnis einer im Korsett der Vergangenheitsbewältigung nunmehr gänzlich mumifizierten Zeithistorie offenlegt. Freilich formuliert als – übrigens nicht unberechtigter – an Schmitt adressierter Vorwurf: habe er doch mit Deutungen preußisch-deutscher Verfassungsentwicklung „Geschichtliches für Gegenwartszwecke formiert“ und dabei „historische Erkenntnisinteressen politischer Motivation“ untergeordnet. Schmitts „Rückblenden“ böten daher nur „politische Selbstvergewisserung im Medium der Geschichte“.

Exakter hätte Blasius, Jahrgang 1941, sein eigenes und zugleich das für seine akademische Alterskohorte repräsentative Interesse an Schmitt wie am Nationalsozialismus in toto nicht fassen können. Auch nicht das, was ihn bei seinem Vergleich der staatsrechtlich-verfassungshistorischen Exe-gesen des Juristen mit denen des Historikers Hans Rothfels (1891–1976) leitete (Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 1/2017).  

Über Rothfels und seinen Schülerkreis an der Universität Königsberg, zu dem auch Blasius’ Doktorvater Theodor Schieder zählte, ist um das Jahr 2000 ein typisch bundesrepublikanisches Scherbengericht abgehalten worden. Wie üblich ging es, zum Zweck „politischer Selbstvergewisserung“, um die Frage, ob Rothfels, ungeachtet seines Status’ als rassisch Verfolgter und Emigrant, nicht doch Schuld auf sich geladen habe. Weil seine konservativen Ideale, antidemokratisch, antiliberal, ultranationalistisch wie sie gewesen seien, mit wesentlichen Inhalten der NS-Weltanschauung harmonierten. Dies unterstellend, versahen die Ankläger Rothfels mitsamt der nicht-nationalsozialistischen Rechten der Weimarer Republik mit dem Odium mindestens der „Wegbereitung für den SS-Staat“.

Aus dieser Perspektive rückt der Historiker zudem dicht an Schmitt heran. Ziel von Blasius’ Vergleichsstudie ist es daher, die weltanschaulich-politische Distanz zwischen beiden Gelehrten wieder zu vergrößern.  

Abgesehen davon, daß peinlich viele Daten, Namen, Fakten nicht stimmen, ist das gesteckte Ziel vordergründig erreicht. Rothfels erscheint als guter konservativer Demokrat rehabilitiert, während der böse „Kronjurist“ weiter an Hitler gekettet bleibt. Solange wie Zeithistorie identisch ist mit reductio ad hitlerum (Jacob Taubes), kommt bei solchen Interpretationen tatsächlich stets heraus, was erwartet wird: „politische Selbstvergewisserung“ einer entpolitisierten, verschweizerten Intelligenz. 

Tunnelblick auf den Nationalsozialismus

Darum muß der im Bonner Windschatten der Geschichte sozialisierte Blasius überlesen, was seine „Wilhelminer“ unter der Oberfläche differierender Urteile über historische Vorgänge fest miteinander verband. Beide, nicht wie Blasius aufgewachsen in einem besetzten, friedensbewegten Land, sondern Bürger einer aufstrebenden Weltmacht, hatten von Clausewitz gelernt, daß der Krieg als „immer vorhandene Möglichkeit“ menschliches Handeln bestimmt (Schmitt). 

Und sie gaben dem Antiliberalen Goethe darin recht, daß der Mensch ein „kollektives Wesen“ sei, dem Primat des Staates und den Gesetzen des weltpolitischen Kampfes der „großen Mächte“ (Ranke) unterworfen. Darum stimmten Rothfels und Schmitt gerade in der Beurteilung von Bismarcks „Staatsstreichplänen“ gegen Ende seiner Kanzlerschaft überein. Für Schmitt hätte damit 1890 „der Sieg des Bürgers über den Soldaten“ noch verhindert werden können. Für Rothfels, diese Passagen zitiert Blasius lieber nicht, hätte die „Autonomie des Staates“, seine innere wie äußere Souveränität, durch Ausschaltung des Reichstags, der aufziehenden Parteienherrschaft, sich auf lange Zeit sichern lassen. Sorgen um das Schicksal der Demokratie sind diesen während der Weltwirtschaftskrise im Herbst 1929 fixierten Reflexionen fremd. 

Eher schon sprach aus ihnen „Hintzes Gesetz“, wonach der Grad der inneren Freiheit eines Staates abhängig ist von dem Druck auf seine Grenzen. Rothfels verkehrte als Berliner Privatdozent im Hause des Universalhistorikers Otto Hintze (1861–1940) und profitierte wie Schmitt von den weiten Perspektiven, die das Werk dieses Analytikers der ersten Globalisierung eröffnete. Der Name Hintze taucht bei Blasius gar nicht auf. Weil er eben mit neudeutschem Tunnelblick auf den Nationalsozialismus starrt.