Frauen zupfen sich das Kopftuch zurecht, dann lachen sie und machen Selfies. Männer schlagen ihren Mantelkragen hoch, um sich vor der Kälte zu schützen. Ein Kind greint, weil seine kleine Kerze erloschen ist. Ordner in Warnwesten begrüßen sich lachend mit dem arabischen Bruderkuß. Berlin trifft sich zur Terror-Andacht. Doch die Gedenkveranstaltung an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche am Breitscheidplatz, dort, wo drei Monate zuvor Menschen ermordet wurden, entwickelt sich zu einem politischen Skandal. Nicht nur weil Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) gemeinsam mit Islamisten feierte, sondern weil Ursachen und Schuld umgedeutet werden.
„Mein Kampf in der SPD war erfolglos“
Rückblick: Am 19. Dezember 2016 raste der islamistische Terrorist Anis Amri mit einem geraubten Vierzigtonner, zuvor hatte er den polnischen Fahrer des Lasters ermordet, auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche. Er ermordete zwölf Menschen, 54 wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt. Der Umgang der politischen Eliten der Bundesrepublik Deutschland mit dem Terroranschlag und den Opfern und Hinterbliebenen war schon kurz nach dem Anschlag in die Kritik geraten. Die Hauptstadt scheint allerdings aus der Debatte nichts gelernt zu haben.
Unter dem Motto: „Religionen für ein weltoffenes Berlin“ initiierte die islamische Gemeinde Mitte März eine Friedenskundgebung vor der Gedächtniskirche. Rund 500 Zuhörer, umringt von einem guten Dutzend Polizeifahrzeugen, waren dabei. Nach einem stillen Gedenken auf den Treppen der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ergriff ihr Pfarrer, Martin Germer, auf der Bühne, die auf dem Breitscheidplatz aufgebaut war, als erster das Wort. „Wir sind dankbar, daß es eine muslimische Gemeinde war, die nach dem Anschlag vom 19. Dezember die Initiative ergriff, zu zeigen, wir wollen uns nicht dem Haß aussetzen, sondern ein Zeichen für Liebe dagegensetzen.“ Und er zitierte den scheidenden Bundespräsidenten Gauck: „Die entscheidende Trennlinie in unserer Demokratie verläuft nicht zwischen Alteingesessenen und Neubürgern, auch nicht zwischen Christen, Muslimen, Juden oder Atheisten. Die entscheidende Trennlinie verläuft zwischen Demokraten und Nichtdemokraten.“ Um dann zu sagen, daß auf diesem Platz nur Demokraten stünden. Diese Feststellung scheint bei genauerer Betrachtung immerhin verwegen.
„Ich verweigere mich, diesen Terror als islamistischen oder islamischen Terror zu bezeichnen“, sagte Imam Mohamed Taha Sabri von der Neuköllner Begegnungsstätte ins Mikrofon. „Islam steht für Frieden. Islam steht für Vernunft.“ Und weiter: „Diese Terroristen sind Handlanger einer faschistischen Ideologie.“ Das Publikum klatschte. So kann man aus einem moslemischen Terroristen einen faschistischen Terroristen machen. Dann stimmt das Weltbild wieder.
Wer ist dieser Mohamed Tahar Sabri? Der Tunesier ist Imam der Dar-as-Salam-Moschee, die auch bekannt ist als Neuköllner Begegnungsstätte (NBS), der er ebenfalls vorsteht. Laut Berliner Verfassungsschutzbericht 2015 haben sowohl Moschee als auch Begegnungsstätte Verbindungen zur Islamischen Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD). Die IGD ist die mitgliedstärkste Organisation der Muslimbrüder (MB) in Deutschland mit 1.040 Anhängern, in Berlin soll sie 120 Mitglieder haben. 2013 soll Tahar Sabri dem Islamisten Muhammad al Arifi die Möglichkeit gegeben haben, in der Moschee zu predigen. Al Arifi soll gegen Juden, Homosexuelle und Schiiten gehetzt und Ehemännern empfohlen haben, ihre Frauen zu schlagen. Ungeachtet dessen zeichnete Müller Taher Sabri 2015 mit dem Verdienstorden aus.
Der Verfassungsschutz zählt einige der Initiatoren der Berliner Gedenksause zu den legalistischen islamistischen Gruppen. Laut dem bayerischen Verfassungsschutz verfolgen die ihre extremistischen Ziele „mit politischen Mitteln innerhalb der bestehenden Rechtsordnung. Die Vorschriften der Scharia dürfen ihrer Ansicht nach nicht relativiert werden.“ Legalistische Islamisten verfolgen eine Doppelstrategie: Nach außen geben sie sich tolerant, in den Organisationen gibt es antidemokratische und totalitäre Tendenzen. „Langfristig streben sie nach der Umformung des demokratischen Rechtsstaates in einen islamischen Staat.“ Darüber hinaus bieten sie sich, so das Amt, über ihre Dachverbände dem Staat als Sprachrohr der Muslime an.
Ungeachtet dieser Einschätzung und trotz der zuvor laut gewordenen Kritik an dieser Veranstaltung – auch wegen des Imams – ergriff Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) an der Gedächtniskirche das Wort: „Liebe Berliner, liebe Gäste. Am 19. Dezember war der Breitscheidplatz der Platz des Schreckens und der Trauer. Wir wissen, was die Täter bezwecken wollen, sie wollen uns in den Kampf der Kulturen treiben.“
Müllers Auftritt brachte bei einem Genossen das Faß zum Überlaufen. „Adé SPD“, so verabschiedete sich nach 23 Jahren Erol Özkaraca von seiner Partei. Der Jurist, fünf Jahre im Abgeordnetenhaus von Berlin, kritisiert seit Jahren den zu toleranten Umgang mit dem politischen Islam. Auf Facebook zog er eine bittere Bilanz: „Mein Kampf in der SPD für eine klare und eindeutige Abgrenzung und Auseinandersetzung in den letzten Jahren war vollkommen erfolglos.“