© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/17 / 24. März 2017

Der Politik die Grenzen setzen
Hans Herbert von Arnim: Der prominente Verfassungsrechtler und Parteienkritiker hat in Berlin sein neues Buch vorgestellt / Direkte Demokratie als Korrektiv
Thorsten Brückner

Es gibt Wissenschaftler, die sich in den Elfenbeinturm ihrer akademischen Forschungen zurückziehen. Und andere, die sich nicht zu schade sind, ihr Wissen in verständlichen Worten auch mit dem nichtakademischen Normalbürger zu teilen. 

Zu letzter Kategorie gehört der deutsche Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim. Sein neues Buch „Die Hebel der Macht – und wer sie bedient“ stellte der renommierte Wissenschaftler, der erfolgreich vor dem Bundesverfassungsgericht die Abschaffung der Fünfprozenthürde bei Europawahlen erwirkt hatte, am Montag in Berlin vor. Nicht nur optisch ein kleiner Dämpfer für die Podiumsdiskussion im Galli-Theater im Bezirk Mitte war die Abwesenheit der Linkspartei-Bundestagsabgeordneten Sahra Wagenknecht, die eigentlich mit von Arnim die Thesen seines Buches diskutieren sollte. Es handele sich um keine „diplomatische Absage“, stellte von Arnim zu Beginn klar. Frau Wagenknecht sei tatsächlich krank. 

Inhaltlich knüpft das Buch an frühere Werke des Professors an. Seine Kernthese: Die Parteien haben sich den Staat zur Beute gemacht. Aus einer grundgesetzlichen Demokratie sei ein exzessiver Parteienstaat geworden. Der Grund dafür sei, daß Parteien über die Institutionen entschieden hätten, die eigentlich dazu da seien, ihnen Grenzen zu setzen, wie etwa das Bundesverfassungsgericht.

Starre Listen sind verfassungswidrig

In seinem Eröffnungsvortrag stellte von Armin dann dar, wie sich das Parteien- und Abgeordnetenverständnis von der Gründung der Bundesrepublik bis heute verändert hat. „Das Abgeordnetenmandat war ein Ehrenamt, Parteienfinanzierung war verpönt, Ämterpatronage ausdrücklich verboten“, faßte er zusammen. Dennoch sei schon zu Beginn der Fehler der Schöpfer des Grundgesetzes gewesen, im Volk den „bissigen Hund“ zu sehen wie der erste Bundespräsident Theodor Heuss es formulierte. „Aber die Parteien sind vor Hitler eingeknickt“, stellte von Arnim klar. 

Dem parlamentarischen Rat sei nie in den Sinn gekommen, daß es Aufgabe der Bürger sein könnte, die Parteien zu kontrollieren. Vorbilder für eine solche Kontrolle sieht von Arnim auf Länderebene und lobt die direktdemokratischen Elemente unter anderem in der bayerischen Staatsverfassung, die nur mit Zustimmung des bayerischen Volkes geändert werden kann. Anders als das Grundgesetz sei die bayerische Verfassung auch von einer Mehrheit der Bürger in einem Referendum angenommen worden.

Am aktuellen Beispiel Baden-Württembergs machte der in Speyer lehrende Professor deutlich, wie das bloße Vorhandensein direktdemokratischer Korrektivmöglichkeiten in der Verfassung eine außer Kontrolle geratene Diätenpolitik zähmen kann. Dort hat der Landtag im Vorfeld der Bundespräsidentenwahl fernab des Radars der Medien eine Altersvorsorgeregelung beschlossen, die das Parlament nur eine Woche später auf Druck der Bevölkerung wieder zurücknehmen mußte. Als Vorbild für eine maßvolle Diätenpolitik preist der Verfassungsrechtler die Hansestadt Hamburg. 

Auch auf sein Leib- und Magenthema Wahlrechtsänderung ging von Arnim ein. Auf Länderebene unterstützt er die Direktwahl des Ministerpräsidenten. Auch müsse die Sperrklausel im Bund von derzeit fünf auf drei oder vier Prozent gesenkt werden. „Hätte die Klausel nur vier Prozent betragen, hätte das Lager der ‘rechten Mitte’ eine absolute Mehrheit bekommen und andere Bündnisse wären möglich gewesen“, schreibt er in seinem Buch über den Ausgang der Bundestagswahl 2013. Derzeit läuft eine Verfassungsklage gegen die Fünfprozenthürde – eingereicht von von Arnim – vor dem Bundesverfassungsgericht. Auch das System starrer Listen hält der Parteienkritiker für verfassungswidrig, da es das Unmittelbarkeitsgebot der Wahl verletze – suchen doch die Parteien die Kandidaten aus, und der Wähler kann nur das Gesamtpaket ablehnen oder annehmen.

Daß von Arnims Aufklärungsarbeit dringend notwendig ist, verdeutlichte am Ende der Veranstaltung die Wortmeldung eines Zuschauers, der sich über von Arnims Thesen ärgerte. 25.000 Euro Mitarbeiter- und Kostenpauschale für jeden Bundestagsabgeordneten seien doch „Peanuts“. Die „paar Euro“ gönne er „unseren Abgeordneten“, meinte der Publikumsgast. Bei soviel Ignoranz kann das nächste Buch von Arnims nicht früh genug kommen.