Zur großen Erleichterung der EU-Eliten haben die Niederländer verhindert, daß Geert Wilders mit seiner islamkritischen PVV bei den Parlamentswahlen stärkste Partei wurde. Doch wenn der Präsident der EU-Kommission Jean-Claude Juncker jubelt, daß das Ergebnis ein „klarer Sieg“ für Ministerpräsident Mark Rutte und seine nationalliberale Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) sei, blendet er völlig aus, daß ausgerechnet seine Regierungskoalition herbe Stimmenverluste hinnehmen mußte. Im Gegensatz dazu verzeichneten die PVV und kleinere Parteien an den Rändern Zuwächse.
Regierungskoalition wurde abgestraft
In einer ehrlichen Analyse hätte Juncker die vollständige Fragmentierung des politischen Spektrums im Land anerkennen müssen. Da die Niederlande keine Fünfprozenthürde kennen, ziehen dreizehn verschiedene Parteien in das aus 150 Abgeordneten bestehende Parlament ein. Diese Vielfalt an auch sehr kleinen und exotischen Parteien ist zwar nichts Neues, neu ist aber, daß immer mehr Parteien nötig sind, um eine handlungsfähige Koalition zu formen.
Bislang reichte die Verbindung der Liberalen der VVD mit den Sozialdemokraten der PvdA, um eine stabile Mehrheit zu erlangen. Diesmal aber hat die VVD als stärkste Partei – trotz ihres Schwenks nach rechts (JF 12/17) kurz vor den Wahlen – gerade einmal knapp über 21 Prozent der Stimmen auf sich vereinen können. Mit der PVV, das erklärten alle anderen Parteien schon vor der Wahl, wolle man nicht zusammenarbeiten, und so werden künftig vier bis sechs Parteien koalieren müssen.
Wie weit die politische Zersplitterung unterdessen reicht, belegt ein Blick in die Statistik: Erhielten bei der Parlamentswahl 2003 die drei stärksten Parteien noch annähernd 75 Prozent aller Stimmen, so waren es jetzt gerade mal 45 Prozent. Dieser Trend ist in vielen westeuropäischen Ländern zu beobachten: Die Parteien der Mitte schrumpfen, kleinere Parteien an den Rändern gewinnen dazu.
Diese Entwicklung erleben die Niederlande gerade intensiv: Die Sozialdemokraten der PvdA verloren mehr als Drei Viertel ihrer Wähler, müssen sich nun mit neun statt vorher 38 Sitzen im Parlament zufriedengeben und wurden zur Splitterpartei degradiert. Entsprechend hat der Noch-Innenminister der PvdA, Ronald Plasterk, schon Überlegungen angestellt, ob seine Partei nicht mit den Grünen fusionieren sollte – wenigstens als Fraktion.
Auch der ehemalige Amsterdamer Bürgermeister, Job Cohen (PvdA), regt an, aus den Grünen, der PvdA und den Sozialisten der SP eine neue Partei entstehen zu lassen.
Jesse Klaver, Spitzenkandidat der Grünen und mit einem Zugewinn von vier auf 14 Sitze tatsächlich größter Wahlsieger, sieht das ganz entspannt: Das solle die PvdA doch erst einmal unter sich klären. Klaver hat einen für die Niederlande ungewohnt poppigen, auf Jugendliche zugeschnittenen Wahlkampf geführt und läßt sich jetzt als neuer „JFK“ feiern. Immerhin wurde seine Partei mit knapp 20 Prozent in Amsterdam die stärkste Kraft.
Für Wilders hingegen hat sich das völlige Einigeln in den Wochen vor der Wahl nicht ausgezahlt: Nachdem bekanntgeworden war, daß einer der ihn bewachenden Sicherheitsleute seinen Aufenthaltsort an Kriminelle weitergegeben hatte, sagte er alle Auftritte ab. Auch im einzigen Fernsehduell, das er sich mit dem Ministerpräsidenten Rutte lieferte, gab er kein gutes Bild ab.
Seit es in den Niederlanden mit dem „Forum für Demokratie“ (FvD), „Geenstijl“ und „Für die Niederlande“ (VNL) drei neue EU- und auch islamkritische Parteien gibt, die aus dem Bürgerreferendum im vergangenen Jahr entstanden sind, verkörpert Wilders ohnehin für viele eher die Vertretung der „Wutbürger“. Dem FvD gelang es als einziger Kraft, mit Thierry Baudet (JF 27/16) und Theo Hiddema zwei Parlamentarier zu entsenden. Beide sind Juristen und leisteten sich schon ihren ersten Fauxpas, als sie Anfang der Woche erklärten, ihr IQ sei deutlich höher als der der meisten Parlamentarier.
Denk-Partei: Nur Männer bei der Wahlparty
Mit Denk ist erstmals eine islamische Partei, die es im Den Haager Stadtteil Schilderswijk sogar auf fast 50 Prozent der Stimmen gebracht hat, mit drei Mandaten im Parlament vertreten. Unterstützt wird die Partei von Salafisten, radikalen Imamen und Erdogan-Anhängern; so verwundert es auch nicht, daß beim Freudentaumel am Wahlabend nur Männer anwesend waren.
Nach ersten Sondierungsgesprächen Anfang dieser Woche zeichnet sich ein Bündnis aus VVD, den Christdemokraten der CDA, den Sozialliberalen der D66 und den Grünen ab. Geert Wilders sähe gerne eine Koalition aus VVD, PVV, CDA, der Rentnerpartei 50Plus, den Christen der SGP und FvD, schließlich dürften seine Wähler nicht übergangen werden. Klaver hingegen schwebt ein „christlich-linkes“ Bündnis ohne VVD und PVV vor, womit die beiden größten Parteien dann außen vor bleiben würden.