© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/17 / 24. März 2017

Sondereinflüsse und Fusionsgerüchte
EU-Autoindustrie: Der VW-Konzern hat sein Dieselgate noch längst nicht überstanden / Vorwürfe auch gegen Renault
Christian Schreiber

Weltkonzerne haben ungeahnte Möglichkeiten, Sozial- oder Umweltstandards zu umgehen und den Fiskus mittels Steuersparmodellen auf Abstand zu halten. Damit dies aber nicht den Ruf ruiniert, wird gegengesteuert: mit klassischer Lobbyarbeit und großzügigen Spenden. Amazon-Chef Jeff Bezos kaufte sich vor vier Jahren für eine Viertelmilliarde Dollar sogar die altehrwürdige Washington Post.  Starbucks setzt auf grüne Themen wie „Fair Trade“ und „umweltfreundliche Coffee Houses“ – oder auf Kampagnen wie „Race Together“ und das Versprechen, in den nächsten fünf Jahren weltweit 10.000 Flüchtlinge einzustellen.

Milliarden-Aufwendungen für „Rechtsrisiken“

Das nahm sich offenbar auch Mat­thias Müller zum Vorbild und posierte am Rande des Automobilsalons in Genf für die Aktion „Prominent gegen Rassismus“ vor der Kamera. In der Welt legte der VW-Chef vorige Woche nach: „Der Aufstieg von VW zur Weltmarke geht zurück auf Tausende Gastarbeiter, die in den sechziger- und siebziger Jahren ihre Heimat verließen und damit das deutsche Wirtschaftswunder erst ermöglichten.“ Dieser These wagte zwar bislang niemand zu widersprechen, aber diese Anbiederung an den Zeitgeist half Müller bei der Präsentation des VW-Geschäftsberichts auch nicht weiter: Die „Herausforderungen der Dieselthematik“ (Konzern-Sprech) kosten VW und die Aktionäre erneut Milliarden.

2016 belasteten „Sondereinflüsse in der Höhe von 7,5 Milliarden Euro das operative Ergebnis“ des VW-Konzerns. 6,4 Milliarden davon sind „Aufwendungen für Rechtsrisiken“ im Zuge von Dieselgate geschuldet. Im Vorjahr summierten sich diese Belastungen sogar auf 16,2 Milliarden Euro. Ohne den in den USA aufgedeckten Abgasbetrug wäre VW wohl wirklich auf dem „richtigen Weg“ (Müller) gewesen: mit 10,39 Millionen verkauften Fahrzeuge verdrängten die VW-Konzernmarken (Audi, Bentley, Bugatti, Lamborghini, MAN, Porsche, Scania, Seat, Škoda, Volkswagen) den bislang weltgrößten Autokonzern Toyota (10,2 Millionen) auf Rang zwei. Besonders erfolgreich waren Porsche und Škoda.

Aber der Dieselskandal ist längst nicht ausgestanden. Am 15. März durchsucht die Staatsanwaltschaft München die Geschäftsräume von Audi in Ingolstadt und Neckarsulm sowie die Rechtsanwaltskanzlei Jones Day, die von Volkswagen mit den internen Ermittlungen der Dieselaffäre beauftragt worden ist. Der zu Jahresanfang in Miami vom FBI verhaftete VW-Manager Oliver S. sitzt weiter in US-Haft. Ihm wird vorgeworfen, bei der Manipulation von Diesel-Abgaswerten bei Dieselautos mitgemacht und dies vor den US-Behörden verschleiert zu haben. Der Prozeß soll im Januar 2018 starten.

Am Sonntag wurde bekannt, daß der frühere VW-Vorstands- und Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch den Verkauf seiner milliardenschweren Konzernanteile plant. Der 79jährige hält 14,7 Prozent der Stammaktien der Porsche Automobil Holding SE, die wiederum über 52 Prozent der Stimmrechte am VW-Konzern verfügt. Die Familien Porsche und Piëch müßten dabei ihr Vorkaufsrecht nutzen– ansonsten könnte ein familienfremder Investor einsteigen. Das hätte dann ungeahnte Auswirkungen nicht nur auf Volkswagen, sondern die gesamte deutsche Autoindustrie.

Eine Hoffnung für VW ist, daß die Dieselgate-Folgen in der EU nicht so dramatisch werden wie in den USA. Denn geschummelt hat wohl auch die Konkurrenz. Die französische Antibetrugsbehörde wirft Renault vor, eine illegale Software in seinen Modellen installiert zu haben. Diese soll die Arbeitsweise des Motors bei Abgastests so verändern, daß der Ausstoß gesundheitsschädlicher Stickoxide (NOX) verringert wird. So erhalten die Fahrzeuge die notwendige Typgenehmigung. Im Realbetrieb sollen die NOX-Werte aber höher liegen – ähnlich wie bei VW. Renault weist allerdings jedes Fehlverhalten zurück. Keine der Abteilungen habe gegen nationale oder EU-Regeln verstoßen: „Es gibt keinen Schmu“, sagte Carlos Ghosn, Chef der Renault-Nissan-Allianz. Und selbst wenn: Renault ist zu 15 Prozent staatlich und die Franzosen sind in Brüssel gut verdrahtet, was mögliche Strafen nicht existenzgefährdend ausfallen läßt.

VW scheint auch weiterhin attraktiv. Wolfsburg schließt Übernahmeverhandlungen mit dem italienisch-amerikanischen Autobauer Fiat-Chrysler nicht mehr kategorisch aus: Es wäre aber „sehr hilfreich, wenn Herr Marchionne seine Überlegungen auch mir mitteilen würde und nicht nur Ihnen“, sagte Matthias Müller während der Bilanzpressekonferenz. Sergio Marchionne, Chef von Fiat-Chrysler hatte zuvor eine Übernahme durch Volkswagen ins Gespräch gebracht. VW habe derzeit andere Sorgen als Übernahmen, aber er ließ ein Hintertürchen offen: „Ich bin ganz zuversichtlich, was die Zukunft von Volkswagen betrifft. Mit oder ohne Herrn Marchionne.“ Auf dem Genfer Autosalon hatte Müller noch unwirsch reagiert: „Ich kümmere mich um VW, ich kümmere mich doch nicht um Fiat.“ 

2014 schlossen sich Fiat und Chrysler zusammen. Marchionne betonte damals, die Fusion bedeute „nach 115 Jahren das Ende eines sehr langen historischen Zyklus“. Der Zusammenschluß eröffne eine „neue Zukunft“. Damals hatte Marchionne Gerüchte über einen möglichen Zusammenschluß klar dementiert: „Unsere Firma an die Deutschen verkaufen? Niemals!“ Doch der siebtgrößte Autobauer weltweit hat große Probleme. Mit einem Minus von zehn Prozent rutschte Fiat-Chrysler beim Absatz auf dem wichtigen US-Markt im Februar so stark ab wie kein anderer Hersteller. 

VW-Geschäftsbericht 2016:  www.volkswagenag.com/