© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/17 / 24. März 2017

Extremismus und AfD
Den Volkswillen veredeln
Werner J. Patzelt

Extremismus ist als Begriff und Sachverhalt höchst umstritten. Die einen verwenden den Begriff als Schimpfwort für Radikale und Verbrecher. Die anderen halten ihn für eine Nebelbombe – genutzt, um Linke mit Rechten gleichsetzen zu können und beide als Bösewichte einer allzeit braven „Mitte der Gesellschaft“ gegenüberzustellen. (..) Die folgenden, oft wiederkehrenden Merkmale der Trägergruppen von Extremismus wurden in vergleichenden Untersuchungen ausfindig gemacht: 

Erstens ist da ein Selbstverständnis dahingehend, daß man sehr wohl in der Lage sei, in politischen Dingen ganz zweifelsfrei „die Wahrheit“ ausfindig zu machen. (...) Weil man also ohnehin „die Wahrheit“ kennt, braucht man sich – zweitens – nicht auf Diskussionen mit Andersdenken einzulassen, denn wer „die Wahrheit“ nicht kennt, ist dumm oder schlecht. Also gibt es keinen vernünftigen Grund, Andersdenkende zu akzeptieren (...). Diese beiden Überzeugungen, man selbst habe Recht und Andersdenkende brauche es deshalb nicht, finden – drittens – leicht einen gemeinsamen Nenner. Der lautet: Andersartiges ist bedrohlich – und nötigenfalls zu bekämpfen. (...)

Hinsichtlich der Risiken, daß aus Wutbürgertum und Populismus genau Rechtsradikalismus wird oder daß sich bereits vorhandene Prädispositionen zu einer extremistischen Grundhaltung mit klassischen Inhalten gerade rechten Denkens aufladen – völkischer Nationalismus, Sozialdarwinismus, Rassismus, politischer Autoritarismus – wissen wir inzwischen gar nicht wenig. Vieles Wichtige haben die Studien von Wilhelm Heitmeyer über „Deutsche Zustände“, die Leipziger „Mitte-Studien“ von Elmar Brähler, Oliver Decker und Johannes Kiess oder Bücher wie das von Andreas Zick über die „Fragile Mitte“ zutage gefördert. Diese Arbeiten zeigen, daß man sich keineswegs – was kenntnisreiche Wissenschaftler aber ohnehin nie taten – mit der Vorstellung beruhigen darf, allenfalls irgendwelche „abnormalen Gruppen“ an den „Rändern der Gesellschaft“ neigten zu extremistischen Haltungen und Taten, während die „gesellschaftliche Mitte“ wie ein Stabilitätsanker wirke – weshalb für die „Parteien der Mitte“ zu werben die beste Extremismusprävention wäre. (...)

Zweifellos haben politische Parteien Verantwortung für jene Extremismen, die sich um Inhalte herum entwickeln, für die – oder in deren Nähe – eine Partei ihrerseits steht. Wenn etwa linker Extremismus aktiv wird (wie in der Mordserie der RAF oder seit einiger Zeit bei Gewaltakten gegen Politiker der AfD und deren Eigentum), dann darf man schon hinsichtlich der damaligen bzw. heutigen Parteilinken danach fragen, ob derlei Gewalttätigkeit vielleicht ein wenig mit eigenem Reden, Tun oder Unterlassen zusammenhängen könnte. Und wenn der NSU eine rassistische Mordspur durch Deutschland zieht oder sich in Sachsen Leute zu gewalttägigen Anschlägen auf Unterkünfte von Migranten oder auf Autos von unliebsamen Politikern verabreden, dann darf man sehr wohl Leute aus Union und AfD danach befragen, welchen Einfluß wohl welches Reden, Handeln oder Nichtstun ihrerseits auf die Entstehung oder Verfestigung entsprechender Tätermilieus haben könnte.

Im übrigen diente es vor allem bequemer Selbstgerechtigkeit, wenn man sich mit dem vergleichenden Aufzählen wechselseitiger Versäumnisse aufhielte. Hilfreicher ist es stets, sich über die eigene Verantwortung klar zu werden. Deshalb geht es im Folgenden allein um die AfD.

Diese ist unzweifelhaft – freilich nicht allein, sondern gemeinsam mit der Union – für den politisch rechten Bereich unserer Gesellschaft zuständig. Obendrein erstreckt sich die Verantwortung der AfD auf jene Bereiche der politischen Mitte, in der – mit rechtsradikalen Inhalten auffüllbare – extremistische Haltungen hochkommen können. Und im einzelnen meint die Wahrnehmung solcher Verantwortung drei Dinge.

Die AfD insgesamt und auch jeder ihrer Landesverbände darf keinerlei Zweifel daran aufkommen lassen, daß sie um ihre Inhalte und Ziele innerhalb der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ringt, nicht aber diese Ordnung selbst

bekämpft. 

l Erstens darf die AfD insgesamt – und auch in jedem ihrer Landesverbände –  keinerlei plausible Zweifel daran aufkommen lassen, daß sie um ihre Inhalte und Ziele innerhalb der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ringt, nicht aber diese Ordnung selbst bekämpft. Leider entstehen daran um so mehr Zweifel, je öfter von AfD-Mitgliedern Deutschlands politische Ordnung als insgesamt undemokratisch und im Grunde abschaffenswert dargestellt wird. Allzuoft läßt sich auch im Internet, dem zentralen Kommunikationsmedium der AfD, recht klar erkennen, daß gar nicht wenige AfD-Anhänger das genauso sehen, ja sogar das Verfassungsrecht auf Widerstand für den aktuellen politischen Streit bemühen. Hieraus kann eine Radikalisierungsspirale bis hin zum offenen Extremismus entstehen. Dem zu wehren, wäre also nicht nur klug für die AfD, sondern ist außerdem ihre staatspolitische Pflicht.

l Zweitens muß die AfD bei ihrer Programmatik und bei ihren Äußerungen zu den Themen Einwanderungspolitik, Islam und multikulturelle Gesellschaft sehr darauf achten, daß sie jene potentiell kulturrassistischen Denkbilder mitsamt den sie begleitenden Emotionen, die es nachweislich quer über die gesamte deutsche Gesellschaft gibt, nicht mehr und nicht intensiver anspricht, als das jene Themen nun einmal rein sachlich erzwingen – und schon gar nicht in demagogischer Weise.

Gerade hier hat die AfD die für unsere politische Kultur so wichtige Aufgabe, nicht einfach wiederzugeben oder zu verstärken, was sich an „empirisch vorfindbarem Volkswillen“ in den Internetforen und an den Stammtischen des Landes äußert. Vielmehr muß die AfD sich bemühen, dasjenige, was ihre Anhänger, Mitglieder, ja auch Mandatsträger oft so schlicht und einfach denken, wünschen und sagen, zu demjenigen zu verbessern, was ihre Anhänger, Mitglieder und Mandatsträger wohl dann denken würden, wenn sie sich mit so schwierigen Themen wie „Migration unter den Bedingungen der Globalisierung“, „Integrationsaufgaben einer Einwanderungsgesellschaft“ und „freiheitssichernder Umgang mit dem Islam“ ebenso gründlich befassen könnten oder beschäftigt hätten, wie das wirklich sachkundigen Experten nun einmal möglich ist.

Eine solche „Veredelung des empirisch vorfindbaren Volkswillens“ zum „hypothetischen Willen“ einer gut informierten und rationalen Bürgerschaft, wie das Ernst Fraenkel – der in Berlin wirkende sozialdemokratische Gründervater bundesdeutscher Politikwissenschaft – einst genannt hat, ist gerade bei diesen so leicht auch demagogisch abhandelbaren Themen besonders wichtig. Und für die AfD selbst wären entsprechende Anstrengungen ohnehin ratsam, weil deren Gegner doch sehr sorgsam nach allem suchen, was die AfD als rassistisch beziehungsweise gruppenbezogen menschenfeindlich erweisen kann. Wenn man sich dagegen erfolgreich zur Wehr setzen will, darf man das alles einfach nicht sein!

l Drittens muß die AfD mit dem – gerade in unserer faktisch entstandenen Einwanderungsgesellschaft immer wichtiger werdenden – Themenbereich Heimat, Vaterland und Nation besonders sorgfältig umgehen. Verächtlich gemacht wurde eine positive Haltung zu Deutschland ja allenfalls in zweiter oder dritter Linie durch linke Propaganda von der Art „Nie wieder Deutschland!“ oder „Deutschland, du mieses Stück Sch…“ In erster Linie waren es schon die Verbrechen der Führer, der Träger und der Mitläufer des Nationalsozialismus, welche die emotionalen Beziehungen zu unserem Land und zu seiner Kultur für einen nicht gerade kleinen Teil der Deutschen so schwierig, ja zum nicht vergehenden Problem gemacht haben.

Der Lieblingsausweg von vielen Linken war das Hinarbeiten auf eine multi­kulturelle, also nicht mehr so „furchtbar deutsche“ Gesellschaft. Mit der verkoppelten sie die – nun wirklich gute – Idee der freiheitlichen demokratischen Grundordnung dahingehend, daß es ausreiche, unsere Verfassung einzuhalten, um zu diesem Land zu gehören. Viel mehr galt Linken an kultureller Integration als unnötig, ja manchem auch gar nicht als wünschenswert. Diese höchst distanzierte Haltung zum eigenen Land, zu dessen Kultur und zu dessen Staatsvolk empört nun aber viele, denen die deutsche Kultur schon wesentlich länger zu bestehen scheint als die deutsche Demokratie, und zwar ohne deshalb verachtenswert zu sein.

Gerade die AfD als Partei „deutscher Patrioten“ hat eine große Verantwortung dafür, daß deutscher Patriotismus fortan stets mit einem auf die freiheitliche demokratische Grundordnung bezogenen Verfassungsdenken verbunden bleibt. 

Auf einige der so Empörten wirken dann sogar jene Lehren als wenig wertvoll, die unser Land aus den Fehlern gezogen hat, die einst die Nazis an die Macht und zu ihren Verbrechen gebracht haben. Solchen Empörten scheint dann gerade unsere – wie ich glaube: weltweit vorbildliche – Erinnerungskultur das Verhältnis zum eigenen Land zu vergiften, ja ein positives nationales Denken zu verhindern. Dann erscheinen „Richtungswechsel um 180 Grad“ als erforderlich. Und manche setzen gar noch hinzu, daß Deutschland ja bloß ein „Grundgesetz“ habe, doch keine Verfassung, und auch deshalb noch nicht wieder ein richtiger, ein souveräner Staat wäre. Seiner jetzigen politischen Ordnung müsse man also keine Träne nachweinen.

Hier verbindet sich ein wundes und gerade deshalb wuchtiges Nationalgefühl mit einer Systemkritik, die an kulturelle und ethische Grundlagen unseres Staates rührt. Auch aus dieser Verbindung kann eine Radikalisierungsspirale entstehen und in einen Nationalismus münden, der unsere freiheitliche demokratische Grundordnung ins Visier nimmt. Solchen Nationalismus, verbunden mit Rassismus und kaum verhohlener Faschismusnähe, schreiben die Gegner der AfD dieser Partei denn auch gerne zu. Wenn man solche Vorwürfe erfolgreich zurückweisen will, darf man ihnen nicht den mindesten Ansatzpunkt im eigenen Auftreten geben.

Doch nicht nur um ihrer selbst, sondern auch um unseres Landes willen muß die AfD in ihren Reihen alles unterbinden, was nicht demokratischer Patriotismus ist, sondern sich als demokratiefeindlicher Nationalismus auswirken kann. Die AfD ist nämlich inzwischen jene Partei, in die sehr viele derer alle ihre Hoffnungen setzen, die sich als deutsche Patrioten verstehen. Also trägt gerade die AfD eine besonders große Verantwortung dafür, daß deutscher Patriotismus fortan stets mit einem auf die freiheitliche demokratische Grundordnung bezogenen Verfassungsdenken verbunden bleibt.

Aus allen diesen Gründen kommt der AfD gerade für die Prävention von Rechtsextremismus in Deutschland eine wichtige Rolle zu. Zu diesem Zweck hat sie gegen die Behauptung anzugehen, unser politisches System wäre gar keine Demokratie und gehöre deshalb beseitigt; sie hat jene gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zurückzudrängen, die sich – über sachliche Kritik hinaus – gegen Ausländer oder Muslime richtet; und sie muß unfreiheitlichen Nationalismus kleinhalten.

Zwar kann nicht einmal ein scharfer politischer Gegner der AfD in redlicher Weise nachsagen, ihre Programme oder das Auftreten aller ihrer Anführer erweise sie als extremistische Partei. Doch nicht wenige ihrer Anhänger, auch etliche ihrer Mitglieder und einige ihrer Mandatsträger scheinen persönlich durchaus zu jener extremismusbereiten inneren Haltung zu neigen, die eingangs beschrieben wurde. Für diese Haltung und für deren Träger gilt es deshalb einen unbestechlichen Blick zu haben. Ihm muß fester Wille folgen, aus dem jeweils Erkannten auch Konsequenzen zu ziehen – bei innerparteilichen Machtkämpfen, beim öffentlichen Auftreten von Parteiführern, bei der Ansprache von Anhängern und Wählern. Bei alledem bleibt gewiß noch einiges zu tun.






Prof. Dr. Werner Patzelt, Jahrgang 1953, lehrt Politikwissenschaft an der Technischen Universität Dresden. Bei seinem Text handelt es sich um einen Teil eines Vortrags, den er vergangenen Samstag auf dem von den AfD-Fraktionen in den Landtagen veranstalteten Extremismus-Kongreß in Berlin gehalten hat. 

Foto: Anhänger der AfD halten während einer Kundgebung eine deutsche Flagge und eine Parteifahne hoch: Sowohl um ihrer selbst wie auch um unseres Landes willen muß die AfD in ihren Reihen alles unterbinden, was nicht demokratischer Patriotismus ist, sondern sich als demokratiefeindlicher Nationalismus auswirken kann