© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/17 / 24. März 2017

Gekommen, um zu bleiben
Das Superwahljahr ist noch jung, die AfD ist es auch. Zwei Neuerscheinungen fühlen der Partei, die Deutschland verändert, auf den Zahn.
Christian Vollradt

Wenn man Journalisten eines in der Regel nicht nachsagen kann, dann ist es die Neigung zu übertriebener Selbstkritik. Im Gegenteil. Die Medienbranche gilt seit je als Revier der Bescheidwisser und Rechthaber. Da ist es schon wohltuend und hervorzuheben, wenn es auf Seite 1 eines bereits kurz nach Veröffentlichung als „Standardwerk“ geltenden Buches heißt: „Man kann sagen, daß ich in bald vier Jahren als AfD-Berichterstatterin mehrmals versagt habe. Immer wieder habe ich die Entwicklung falsch eingeschätzt, immer wieder mußte ich meine Erwartungen korrigieren.“ Für das Nachrichtenmagazin Spiegel beobachtet Melanie Amann die Alternative für Deutschland praktisch von Beginn an. Nun hat sie am Anfang des Superwahljahres die Ergebnisse ihrer Arbeit auf gut 300 Seiten zusammengefaßt. Daß der Untertitel die „Wahrheit über die AfD“ verspricht, ist vielleicht etwas dick aufgetragen. Einen guten Einblick in Geschichte, Personal und Richtungskämpfe der Partei erhält man ohne Zweifel.
Als der Verlag das Buch unlängst vorstellte, konnten die zahlreich erschienenen Medienvertreter eine interessante Beobachtung machen. Der für das Marketing als Promi-Gast eingeladene Kanzleramtschef Peter Altmaier – Vertreter des für den Aufstieg der AfD mitverantwortlichen CDU-„Reformer“-Flügels – rutschte zusehends unruhig auf seinem Stuhl herum, als Autorin Amann zwei Quintessenzen ihrer Beobachtungen preisgab: Erstens sei die AfD selbstverständlich vom Wesen her eine Volkspartei (wenn auch eine noch kleine), zweitens sei sie kein vorübergehendes Phänomen, sondern auf absehbare Zeit Bestandteil des deutschen Parteiensystems. Denn trotz aller zweifelohne in der AfD vorhandenen Sondermänner, -frauen und -linge repräsentiert die Partei eben durchaus Bürgerlich-Etablierte.
Noch unangenehmer dürfte Altmaier aufgestoßen sein, was Amann am Schluß ihres Buches als eines von mehreren denkbaren Szenarien prognostiziert. Mag derzeit auch noch manches im Forderungskatalog der AfD jenseits des politisch Verhandelbaren sein, so könne das in zehn Jahren schon ganz anders aussehen. „Je mehr die AfD in den Parlamenten ihre Kanten abschleift und sich verbürgerlicht (...), desto schwieriger könnte es der CDU fallen, sich ihr zu verweigern.“ Wie, so fragt die Verfasserin rhetorisch, solle „die CDU im Jahr 2021 ihrer Basis klar- machen, daß zwar eine Kenia-Koalition mit SPD und Grünen möglich ist, nicht aber ein Bündnis mit einer ideologisch viel ähnlicheren AfD?“ Diese Annäherung werde zunächst in den Ländern beginnen. Das Paradoxe: Den Horror vor dieser Zukunftsvision teilt der Super-Merkelianer Altmaier ausgerechnet mit den 150prozentigen auf der rechten Außenbahn der AfD.
Amann gliedert ihre Beschreibung der AfD nach Epochen und setzt entlang verschiedener Wegmarken Porträts führender Köpfe der Partei dazwischen. Die Autorin widersteht dabei der Versuchung, bewußt „runterzumachen“. Selbst in den eher psychologisierenden Passagen bemüht sich Amann um Ausgewogenheit. Das werden manche der Porträtierten naturgemäß anders sehen. Das aus Parteikreisen überlieferte Bedauern eines prominenten Mitglieds, es habe „leider nichts Neues über mich erfahren“, gehört sicherlich in die Kategorie unerfüllbarer Erwartungen.
Eindeutig zu wenig Platz räumt die promovierte Juristin dem Phänomen politischer Gewalt ein – und zwar dort, wo AfD-Mitglieder oder -funktionäre Opfer sind. Wenn sie von Linksextremen „geoutet“ oder sogar tätlich angegriffen werden, wenn ihre Veranstaltungen blockiert und gestört, wenn ihre Häuser beschmiert, ihre Autos angezündet werden. Dies hätte eine ausführlichere Darstellung verdient, gerade wenn andererseits ein (möglicher) Zusammenhang zwischen AfD-Rhetorik und der „Gefahr gewaltbereiter Anhänger“ problematisiert wird. Und nicht immer sind „Larmoyanz und Verfolgungswahn“ im Spiel, wenn sich Konservative (oder „Rechte“) über ihre gesellschaftliche Ausgrenzung beklagen ...
Selbst in ihrer überwiegend kritischen Einschätzung der noch jungen Partei läßt Amann deren positive Effekte nicht unerwähnt. So werde die etablierte Konkurrenz gezwungen, Position zu beziehen: „Mit den Worthülsen des Wahlkampfs von 2013 wird man den Wählern in Zukunft nicht mehr kommen können.“ Auch die eigene Zunft kommt nicht ungeschoren davon: Die Existenz der AfD zwinge Journalisten „zu mehr Vorsicht und Neutralität in ihrer Arbeit“. Vermeintliche Tatsachen entpuppten sich als Glaubenssätze, weil die AfD „im guten Sinne viele Selbstverständlichkeiten in Frage“ stellt. „So können Kritiker der Eurorettung oder einer ungebremsten Zuwanderung nicht mehr pauschal als rechte Hetzer, Fremden- oder Europa-Hasser abgetan werden.“
Andererseits können Amanns Beobachtungen über Radikalisierungstendenzen nicht pauschal als irrelevant abgetan werden. Und wer wollte ihrer Feststellung widersprechen: „Hätte die AfD im Jahr 2013 schon so geklungen wie heute, hätte sie sich wohl nicht etabliert.“
Auch Justus Bender, Redakteur der FAZ, hat seinen beruflichen Schwerpunkt zu einem Buch gemacht. Wie Amann scheut er sich nicht, ab und an die Ich-Form anzuwenden; und wie seine Kollegin vom Hamburger Magazin gesteht der Frankfurter seine gelegentliche Ratlosigkeit. Vielleicht deswegen trägt seine 200seitige Veröffentlichung eine Frage im Titel „Was will die AfD?“
Dabei steht auch hier am Anfang das Eingeständnis eigener Ratlosigkeit vor dem Phänomen der AfD. Eine Theorie nach der anderen habe er verworfen, gesteht Bender seinen Lesern. Schließlich zieht er Platon zu Rate und attestiert der Partei einen „Freiheitsrausch, der autoritäre Züge annimmt“. Den Vorwurf der Demokratiefeindlichkeit lehnt Bender mit Blick auf die AfD ausdrücklich ab. Seiner Meinung nach sind die Mitglieder eher „Hyperdemokraten und Hyperliberale“, die nach Befreiung vom Rationalismus der repräsentativen Demokratie strebten. Ihren Appellen an das Bauchgefühl sei nur mit Realpolitik beizukommen, meint Bender – und muß sich fragen lassen, wer bei den so virulenten Themen Euro-Rettung oder Asylmißbrauch denn irrationaler argumentiert, die AfD oder nicht eher die Etablierten.
Benders Analyse ist dort stark, wo er der Frage nach den ständigen innerparteilichen Verwerfungen nachgeht und wieso gerade parteiintern der Ton besonders rauh ist und der Streit besonders erbittert geführt wird. Für viele Parteimitglieder ist der FAZ-Journalist daher ein rotes Tuch. Bender beschreibt diverse Anfeindungen. Fast scheint es, als kokettiere er mit seiner Unbeliebtheit. Denn andererseits gehört er zu den Berichterstattern, denen exklusiv brisante Partei-Interna zugespielt werden. Während Amann verschiedene Zukunftsszenarien für die Partei durchspielt, wirkt Benders Was-wäre-wenn einer AfD-Machtübernahme (mit Kanzler André Poggenburg) etwas spleenig.
Manchmal laufen Amann wie Bender Gefahr, die besonders Lauten in der Partei mit den besonders vielen zu verwechseln. Und von Korrespondenten, die die AfD schon lange begleiten, erwartet man auch, daß sie bei der Einschätzung der politischen Metaebene zwischen Vordenkern und Selbstinszenierern zu unterscheiden wissen.
Melanie Amann: Angst für Deutschland. Die Wahrheit über die AfD: wo sie herkommt, wer sie führt, wohin sie steuert. Droemer Verlag, München 2017, broschiert, 318 Seiten, 16,99 Euro
Justus Bender: Was will die AfD? Eine Partei verändert Deutschland.Pantheon Verlag, München 2017, broschiert, 208 Seiten, 14,99 Euro